Hinter Glasziegeln, im Neonlicht

Erzählungen, Essays und Aufsätze des 1954 in Plauen geborenen Schriftstellers Utz Rachowski geben Auskunft über das Leben in einem zerrissenen Land

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der DDR-Schriftsteller Stefan Heym hatte 1974 mit der von ihm herausgegeben Textsammlung "Auskunf" versucht, einen Überblick über aktuelle DDR-Literatur zu präsentieren.

Ebenfalls im Westen wurde 1978 von ihm der Band "Auskunft 2" herausgegeben. Doch in den vier Jahren zwischen dem Erscheinen beider Bände lag die Ausbürgerung des kritischen Liedermachers Wolf Biermann, Autoren wie Reiner Kunze, Sarah Kirsch oder Bernd Jentzsch hatten mehr oder weniger gezwungenermaßen die DDR verlassen. In seinem Vorwort fragte Stefan Heym: "Aber sind sie deshalb aus der DDR-Literatur ausgeschieden? Wurde ihre Haltung zu den Dingen, wurden ihre Betrachtungsweisen nicht in diesem Staat geprägt, unter diesen besonderen Bedingungen? Zum Guten oder Schlechten, trägt ihre Feder nicht den Stempel Made in the German Democratic Republik?"

Utz Rachowski, Jahrgang 1954, wäre somit ein in jeder Hinsicht geborener DDR-Schriftsteller, der allerdings in der DDR so gut wie keine Möglichkeiten gehabt hatte, seine Texte zu veröffentlichen.

Wegen seiner Gedichte war Utz Rachowski im Herbst 1979 verhaftet und nach einer Gerichtsverhandlung zu 27 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Impressionen aus dem Gefängnis und kennzeichnende Verhörszenen bilden ein wiederkehrendes Trauma in Rachowskis Texten. Eindrucksvoll gestaltet sich diese verschlossene Welt in ihrer nüchternen Darstellung und Rachowski wählt dann kurze Sätze, die wie hervorgestoßen wirken. Seinem Zellenkollegen war vorgeworfen worden, sich als Lagerverwalter illegal bereichert zu haben. Mit Streichhölzern rechneten sie zuweilen seine Einkünfte nach. "Die Streichholzbilanzen fielen allabendlich zu seinen Gunsten aus: S. kämpfte um seine Persönlichkeit, als er glaubte, er könne für sein Recht kämpfen, hinter Glasziegeln, im Neonlicht, untermalt von den diffusen Geräuschen der Nahverkehrsmittel, deren jede Linie er auswendig wußte".

Die Stärken von Utz Rachowskis Texten liegen in ihrer Dichte und Prägnanz. Motive und Bilder aus der Zeit seiner Kindheit werden evoziert. Rachowski bündelt seine Prosazeilen, um dann Schritt für Schritt die erwähnten Aussagen zu entfalten: "An diesem Tag fiel ein Regen wie schwarzes Bier, und Großmutter hatte nur ein dünnes blaues Kleid an, mit einer Küchenschürze darüber, sie nahm keinen Regenschirm mit auf den Weg". So ungewöhnlich dieser Text "Die einzige Fahne" beginnt, so unvermittelt endet er mit seiner Pointe.

In seinen Essays spannt Rachowski einen weiten Bogen. Er beschäftigt sich am Beispiel seines Vaters mit der aktiven Mitläuferschaft im "Dritten Reich". Als Freiwilliger in der Waffen-SS war Rachowskis Vater am Polenfeldzug beteiligt. Der Autor versucht, dem kruden Antisemitismus seines Vaters auf die Spur zu kommen, indem er dessen Handeinträge und Anstreichungen seiner Lektüre der Luther-Bibel nachliest. Ab Seite neunundvierzig enden die Eintragungen in roter Farbe: "Hätte er weitergelesen, lange genug, wäre er auf das Buch Esther gestoßen und das Buch Daniel, und er hätte vielleicht zu diesem Preis kein Deutscher mehr werden mögen, zu dem Preis, den unweigerlich zahlt, der dem Denken des Antisemitismus verfällt oder sich ihm, gedankenlos, anschließt. Der Preis ist Mord."

Seit 1973 hatte Utz Rachowski Kontakte nach Polen und mehrmals seine damalige Freundin in Warschau besucht. Er war angetan von der dortigen kulturellen Öffnung, hatte aber damals Wolf Biermann nicht überzeugen können: "die mit ihrem Katholizismus!". Biermann korrigierte diese eminente Fehleinschätzung in den 1980er-Jahren, nach der eindrucksvollen Erhebung der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc selbstkritisch in einem Lied: "Besser mit Gott im Herzen, die Revolution gemacht, als mit Marx im Arsch und zum Hohn, die Konterrevolution".

Eindrucksvoll sind auch die Essays mit den Erinnerungen an die Jugendzeit im vogtländischen Reichenbach. Der spätere Dichter und Dissident Jürgen Fuchs war mit Rachowski an der gleichen Schule. Als nichtangepasste Jugendliche orientierten sie sich an Persönlichkeiten wie den oppositionellen Marxisten Robert Havemann, hörten heimlich Lieder von Wolf Biermann und lasen Gedichte von Reiner Kunze. Bald schon hatten sie begonnen, selbst Gedichte und kurze Texte zu verfassen.

Im Frühjahr 2007 hat Utz Rachowski den erstmals verliehenen Reiner-Kunze-Preis erhalten.


Titelbild

Utz Rachowski: Red mir nicht von Minnigerode. Erzählungen. Aufsätze.
Thelem Universitätsverlag, Dresden 2007.
264 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783937672465

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