Die Pickel von Silicon Valley

Douglas Coupland erzählt vom Leben diesseits und jenseits der Tastatur

Von Timo KozlowskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Timo Kozlowski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anfang der 90er Jahre war Douglas Coupland für ein Marketingphantom teilweise mitverantwortlich. Die Werbeindustrie hatte damals den Kontakt zu ihren Zielgruppen verloren. Karen Ritchie, Direktorin einer großen amerikanischen Werbeagentur verwendete den Titel von Douglas Couplands Buch "Generation X" in einer Rede vor amerikanischen Zeitungsverlegern in der Zeit, als Grunge neu und Kurt Cobain noch am Leben war, et violà - Generation X und ihr Schöpfer waren auf einmal in aller Munde. Diese post-postmoderne Generation war auch in Couplands folgenden Büchern das Thema, bis hin zu seinem aktuellen Roman "Girlfriend in a coma" und "Microsklaven", der eben als Taschenbuch erschienen ist.

In "Microsklaven" ist das Tagebuch zu lesen, das Daniel Underwood in sein PowerBook tippt. Am Anfang arbeitet er noch als Bug-Tester bei Microsoft im Hauptgeschäftssitz in Redmond, Seattle, wo er mit seinen Freunden Michael, Bug, Susan, Abe und Todd - alle arbeiten ebenfalls bei Microsoft - in einem Gemeinschaftshaus wohnt. Dort haben sie es sich eigentlich gemütlich eingerichtet inmitten verschiedenster Memorabilien der Popkultur, Jahrgängen von Fachzeitschriften für Macintosh-Computer, einer THX-Anlage, Arbeitswut und einem Terminkalender, der ihnen keine Freizeit läßt. Dan und seine Freunde zählen zu einer Gruppe von jungen Leuten, die als Nerds bezeichnet werden. In der High School sind Nerds die Teenager, die sich - blass und pickelig - für Mathematik und Computer interessieren und alle Nebula- und Hugo-Award- Gewinner (die zwei renommiertesten Science-Fiction-Preise der USA) seit 1960 auswendig können. Nerds sind bei ihren Klassenkameraden nicht sonderlich beliebt, nach der Schule erhalten sie jedoch die gut bezahlten Programmiererjobs bei Microsoft, Apple und Konsorten. Die Programmierer bei Microsoft sind in "Microsklaven" von so gut wie allem abgeschirmt, das auch nur im entferntesten an das normale Leben erinnern könnte, so dass sie sich aus der Pubertät nicht herausentwickeln müssen, so lange sie die Liefertermine für ihren Programmcode einigermaßen einhalten. An diesem Lebensstil hätte sich nichts geändert, aber dann verschwindet Michael eines Tages nach Kalifornien ins Silicon Valley, um dort eine eigene Softwarefirma zu gründen. Deren Produkt soll den Namen Oop! tragen. Oop! ist ein Multimediaprodukt, das Lego sehr ähnlich, aber um einiges vielfältiger kombinierbar als die skandinavischen Plastiksteinchen ist. Es gelingt Michael, seine alten Freunde und dazu noch Daniels Freundin Karla von Microsoft abzuwerben, und so ziehen sie im Autokonvoi von Seattle nach Kalifornien, um dort das Leben jenseits von Tastatur und C++ zu entdecken. Insofern erzählt "Microsklaven" von einer verspäteten Phase des Erwachsenwerdens.

In "Girlfriend in a coma" tauchen kaum Computer auf, dafür schildert der Roman wie am 28. Dezember 1997 die Welt untergegangen ist. Der Beginn der Geschichte, die in Vancouver spielt, liegt allerdings rund 17 Jahre zurück, als Richards Freundin Karen, nach dem gemeinsamen "ersten mal", in ein 17-jähriges Koma fällt. In dieser Zeit wird per Kaiserschnitt Megan, das gemeinsame Baby von Richard und Karen, entbunden. Richard wird zum Alkoholiker, kann sich aber letztendlich fangen, als er fürs amerikanische Fernsehen Location Scout in Vancouver wird. Diese Stadt ist in der amerikanischen Film- und Fernsehindustrie äußerst beliebt, weil man sie auf der Leinwand mit wenigen Handgriffen in jeden amerikanischen Ort verwandeln kann. Auch die restlichen Mitglieder ihrer Clique kommen weder von ihrem alten Viertel los, noch kann man behaupten, dass sie etwas aus ihrem Leben gemacht hätten. Da wacht Karen völlig überraschend aus ihrem Koma wieder auf, und es scheint kurz so, als würde sich nun alles zum Guten wenden. Aber Karens Probleme mit dem Ende der 90er Jahre - und Visionen vom Weltuntergang. Nach Weihnachten 1997 schlafen auch prompt alle Menschen ein und sterben. Nur die Freunde um Richard und Karen werden verschont und auf eine überirdische Probe gestellt: die letzte Chance, die Menschen doch noch zu retten.

Wenn man nur die Inhaltsangaben hört, dann erscheinen sowohl "Microsklaven" als auch "Girlfriend in a coma" als recht moralinsaure Bücher. Dies trifft glücklicherweise nur auf "Girlfriend in a coma" zu. Besonders gegen Ende nimmt die Moral überhand, wenn der Geist eines an Leukämie verstorbenen ehemaligen Mitschülers den Überlebenden doziert, was sie falsch gemacht hätten und was in den letzten beiden Jahrzehnten alles nicht richtig gelaufen sei. Dabei erzählt Coupland noch nicht einmal etwas Neues, sondern wärmt alte Platitüden von der beschleunigten und wertelosen Gesellschaft neu auf und klatscht diese Klischees dem Leser derart unsubtil um die Ohren, dass man am liebsten in die Buchseiten hineinschreien würde: "Ja! Ist schon gut! Verstanden, weiß ich doch alles schon!"

Gäbe es nicht ein paar gleiche Motive und Bilder, die Coupland in beiden Romanen verwendet, man würde nicht glauben, dass beide vom selben Autor stammten. In "Microsklaven" sind die darin auftauchenden Figuren sehr lebendig, glaubwürdig und darüber hinaus auch noch sympathisch, und in der Welt, in der sie leben, kann man den Anfang der 90-er wunderbar wiedererkennen. So treffend und mit einer feinen Ironie durchsetzt hat man diese Zeit nur selten beschrieben gesehen. Auf die Frage nach einem Buch, das das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts treffend charakterisiert, sollte "Microsklaven" zumindest in die engere Auswahl für die Antwort gezogen werden.

Titelbild

Douglas Coupland: Girlfriend in a Coma. Aus d. Amerikan. v. Tina Hohl.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999.
351 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3455011748

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Titelbild

Douglas Coupland: Microsklaven. Aus dem Amerikan. von Tina Hohl.
Goldmann Verlag, München 1999.
461 Seiten,
ISBN-10: 3442435617

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