Wie dünn ist der Materialismus heute?

Was hat Daniel C. Dennetts "Süße Träume" für die Bewusstseinsforschung zu bieten?

Von Erik PorathRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erik Porath

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einer der pointiertesten Verfechter des wieder auflebenden Materialismus ist der Wissenschaftsphilosoph Daniel C. Dennett, Direktor des Center for Cognitive Studies an der Tufts University. Auch in seinem neuesten Buch, einer Aufsatzsammlung mit dem Titel "Süße Träume", befasst er sich mit der Wissenschaft des Bewusstseins. Dabei liefert er über weite Strecken methodologische Essays zur Untersuchung mentaler Phänomene, vor allem über den Dritte-Person-Forschungsansatz, den er mit dem Neologismus "Heterophänomenologie" kennzeichnet. Nach 150 Seiten beginnt er dann mit der Vorstellung eigener Skizzen zur Theorie des Bewusstseins. Auf diese Weise gewinnt man einen Einblick in die - vornehmlich im angelsächsischen Kontext geführten - Debatten der letzten 15 Jahre zwischen medizinisch-biologischer Hirnforschung, kognitionswissenschaftlichen Ansätzen und der philosophy of mind, die sich insbesondere um die Beschaffenheit und Entstehung mentaler Phänomene drehten.

Dennetts klares Plädoyer für eine materialistische und funktionalistische Ausrichtung der Forschung - eine überdeutliche Absage an jeglichen Obskurantismus - ist sicherlich nicht nur als ein persönlich geprägtes atheistisches Bekenntnis des Autors zu verstehen. Vielmehr richten sich seine 'Kampfbegriffe' "naturalistische Wende", "funktionaler Materialismus" oder "kognitionswissenschaftliche Entzauberung" gegen das zunehmend wissenschaftsskeptische Klima in der amerikanischen Öffentlichkeit, das als erstarkender religiöser Fundamentalismus in der Politik wie auch in den Auseinandersetzungen um den Kreationismus und intelligent design im Schulunterricht sichtbar ist.

Dennetts Methode der Heterophänomenologie

Welchen Zugang hat nun die "Heterophänomenologie" zu solchen Phänomenen, die wir normalerweise mit Bewusstsein verbinden? Dennett entwickelt die These, dass das Argumentieren aus einer verallgemeinerbaren Dritte-Person-Perspektive - als Ausweis wissenschaftlichen Vorgehens, das sich nur auf öffentlich zugängliche, intersubjektiv nachprüfbare Daten bezieht - keineswegs, wie manche meinen, den Bezug auf die Erste-Person-Perspektive ausschließe. Im Gegenteil: die heterophänomenologische Methode beziehe die Selbstbekundungen von Probanden ein, neben der Beobachtung ihrer Verhaltensäußerungen durch den (Bewusstseins-)Forscher, - die Dritte-Person-Perspektive -, und durch objektivierende, technisch-apparative Untersuchungsmethoden, wie sie vor allem in der medizinisch-lebenswissenschaftlichen Forschung etabliert sind. Dafür spielen die Geräte und bildgebenden Verfahren der Hirnforschung (EEG, CT, PET, fMRT et cetera) eine ausnehmend wichtige Rolle, weil sie sich direkt jenem Organ zuwenden, in dem nach allgemeiner Überzeugung der Geist angesiedelt ist, das Bewusstsein erzeugt wird und alle möglichen mentalen Vorgänge (Vorstellen, Erinnern, Denken, Fühlen, Wollen, Planen, Entscheiden) realisiert werden.

Dabei interessieren den Bewusstseinsforscher vor allem die Inkonsistenzen, die sich zwischen einzelnen Datengruppen ergeben (wenn etwa verbale Äußerungen nicht mit unwillkürlichen körperlichen Signalen korrespondieren) und einen Erklärungsbedarf anzeigen, der nicht schnell durch den einen oder anderen Aspekt der erhobenen Datenmengen zu beantworten ist. So sind Selbstbeschreibungen nicht verlässlicher als Schwitzen, und welche Rolle der Schweiß jeweils spielt, ist eine Frage der richtigen Interpretation. Dennett gewinnt auf diese Weise eine gewisse Distanz von radikal eliminativen Ansätzen, die all das, was nach Maßgabe der eigenen Theorie unerklärlich ist, als irrig, unwichtig oder illusionär deklarieren.

Wenn also insbesondere von philosophischer Seite immer wieder behauptet wird, Bewusstsein sei etwas "Unerklärliches, Nicht-Reduzierbares oder Transzendentes", so deutet Dennett dies als eine rhetorische Strategie der Selbstimmunisierung gegen Kritik, denn Unerklärbares kann per definitionem nicht erklärt werden. Dabei liege doch die Beweislast dieser Auffassung bei ihren Verfechtern, die gute Gründe für die Existenz des von ihnen als so geheimnisvoll bezeichneten Phänomens des Bewusstseins anführen müssten. Dennetts scharfe Verurteilung jeglicher Mystifikation des Bewusstseins führt folgerichtig zu einer Kritik an jener vermeintlich unvermittelten Phänomenalität des Erlebens, die in der bewusstseinstheoretischen Rede von "Qualia" und in "How-it-is-like-to-be"-Argumenten (Thomas Nagel) behauptet wird: ein "Komplott aus ungeprüften Voraussetzungen und zirkulären Definitionen".

Die Spitze der Dennett'schen Polemik richtet sich also gegen die "Qualophilen" und damit gegen Positionen, die sowohl das Irreduzible der Qualia als auch ihre Unmittelbarkeit im Bewusstsein behaupten. Dagegen setzt Dennett das erkenntnistheoretische Argument, niemand - auch nicht der Inhaber der Erste-Person-Perspektive - könne etwas über Bewusstseinsqualitäten wissen, wenn er nicht einen durch die intersubjektive Sphäre der Interaktion vermittelten Zugang zu ihnen wähle. Wenn also "Mysterianer" - wie Dennett seine Lieblingsfeinde nennt, die ihrerseits vom "Devil Dennett" sprechen - behaupten, "Qualia" seien wissenschaftlich unbeschreibbar, dann (v)erklärten sie die in Rede stehenden Phänomene quasi zu meta-physischen Wesenheiten. Dagegen stützt Dennett sich auf die szientifische Maxime, was wirklich sei, müsse auch wissenschaftlich untersuchbar sein - eine Maxime, die allerdings die Frage nach dem Status des Wissens der Wissenschaften im Verhältnis zum nicht-, außer- oder vorwissenschaftlichen Wissen unberührt lässt. Damit bleibt auch die vielversprechende Forschungsfrage, ob eine Wissenspoetik des Bewusstseins hier eine andere Reichweite hätte, aus Dennetts Perspektive ausgeschlossen.

Das Problematische an Dennetts Position besteht zudem darin, dass er sowohl materialistisch als auch funktionalistisch argumentiert. Während er als Materialist keine okkulten Entitäten oder Kräfte akzeptiert und ganz auf kausale Verursachung durch wissenschaftlich bestimmbare Eigenschaften der natürlichen Welt setzt, kann er sich als Funktionalist jederzeit auf die zu realisierende Funktion zurückziehen, unabhängig davon, wie sie konkret materiell realisiert wird. Einerseits also genügt es ihm, Kognition als Funktion zu fassen, andererseits muss er auf der Verwirklichung der postulierten Funktionalität in der Welt bestehen. Für diesen Widerstreit bietet die Hirnforschung ein fruchtbares Terrain, handelt es sich doch bei ihren Gegenständen um verkörperte Intelligenz. Gerade angesichts der Ergebnisse der modernen Hirnforschung macht Dennett Zugeständnisse, wenn er auf Einwände gegen einen radikalen Funktionalismus hin einräumt, es könne durchaus nicht gleichgültig sein, dass das Gehirn in Form neuronaler Materie (und nicht etwa als Blechdosen) realisiert sei .

Bewusstsein als mechanischer Hirnprozess oder als Instanz?

Nach fünf vornehmlich methodologischen Kapiteln mit zum Teil angestrengten Passagen voller Gedankenexperimenten und deren absurden Konsequenzen - etwa über die Frage, ob die Farbforscherin "RoboMary", die zwar alles wisse, was man in objektiver Einstellung über Farben und Farbwahrnehmung wissen könne, aber bloß mit Schwarz und Weiß Erfahrung habe, noch eine Überraschung erlebe, wenn sie tatsächlich eine Farbwahrnehmung machen könnte - stellt Dennett das von ihm favorisierte Modell des Geistes vor: im sechsten Kapitel beansprucht er die Frage zu beantworten, ob die Forschung bereits dabei sei, das Bewusstsein zu erklären; im siebten Kapitel, einem der kürzesten des Buches, entwirft er seine "Phantasieecho-Theorie" des Bewusstseins.

Dennett erläutert die Eigenschaften und Fähigkeiten des Geistes zunächst in der Metaphorik des Computer-Modells: Bewusstsein wird als workplace beziehungsweise workspace, also als Arbeitsspeicher, als Arbeitsbereich vorgestellt. Dabei ist es ihm wichtig, auf die Identität von Phänomen und Entstehung hinzuweisen: Der workspace sei Bewusstsein, nicht etwa seine Ursache; dementsprechend sei Bewusstsein keineswegs ein Effekt, der von diesem workplace zu unterscheiden wäre. Alle Gehirnprozesse seien kausal miteinander verbunden, und einige von ihnen würden aufgrund der konnektiven Interaktion eben bewusst. Bewusstsein sei also eine Eigenschaft der physiologischen Prozesse - wie andere natürliche Eigenschaften des lebendigen Organismus auch, etwa Bewegung, Verdauung, Fortpflanzung -, die durch nichts anderes zustandekomme als durch eine spezifische Art und Weise hochgradig vernetzter Zusammenarbeit von einfachen Komponenten. Diese Zusammenarbeit lasse sich in bestimmbaren Konstellationen beschreiben und analysieren. In diesem Sinne sei Bewusstsein prinzipiell erklärbar; zwar sei man noch nicht so weit, doch befinde man sich auf dem richtigen Weg. Bewusstsein allein spiele also keinerlei ursächliche Rolle, bilde demnach keine - von anderen verursachenden Konstellationen zu unterscheidende - signifikante Instanz und bleibe, kausal betrachtet, ein Epiphänomen.

Hier zeigt sich also, was Dennett am meisten fürchtet: die Auffassung, Bewusstsein sei eine von allen anderen Gehirnprozessen zu unterscheidende Instanz. Wenn jedoch Bewusstsein ontologisch und/oder systemisch-prozessual grundsätzlich nicht von anderen Hirnprozessen zu unterscheiden wäre, hätte man nicht nur den Grund beseitigt, Bewusstsein für etwas - wissenschaftlich gesehen - Besonderes und Erklärungsbedürftiges zu halten, sondern zugleich auch alle Kriterien, es in dieser Hinsicht überhaupt identifizieren zu können. Über Bewusstsein wäre dann also nichts anderes zu sagen als das, was sich über Hirnprozesse generell sagen ließe. Damit aber wäre seine Auffassung als besonderes Phänomen nurmehr eine façon de parler, eine wissenschaftlich unhaltbare Redeweise, die es scharf zu kritisieren gälte. Hält man andererseits aber an dem Phänomen Bewusstsein als einer mentalen/psychischen Unterscheidung fest, dann ist dies in einem wissenschaftlichen Kontext nur dann sinnvoll, wenn ihm eine Stelle in der Theorie, eine Funktion im System zugewiesen werden kann. Gegen Dennett beziehungsweise malgré lui könnte man gerade funktionalistisch behaupten: Nur wenn dem Bewusstsein eine Funktion zugesprochen wird, ist es der Möglichkeit nach ein wirkliches Phänomen, das sich für den Funktionalisten wissenschaftlich zu thematisieren lohnt.

Zwar behauptet Dennetts materialistisch-funktionalistische Argumentation, Bewusstsein könne allein als eine spezifische Weise der Verknüpfung verstanden werden, doch gerade dieses Spezifische bleibt unerklärt. Denn der Hirnforscher stützt sich allein auf apparativ ermittelte Messwerte, um Gehirnvorgänge zu untersuchen (physikalische und chemische Zustände und Veränderungen des Gehirns, quantifizierbare Intensitäten und deren räumlich-zeitliche Parameter). Die entsprechenden Forschungen der letzten Jahrzehnte begrüßt Dennett ausdrücklich, er beruft sich nicht nur wiederholt auf sie, sondern begründet die Empirizität seiner Methode gerade in der Verpflichtung, das Wissen der zuständigen Wissenschaften zur Kenntnis zu nehmen. Das Verhalten und die Selbstbekundungen von Probanden, die jedem Beobachter in der Dritten-Person-Perspektive zugänglich sind, können zwar zur weiteren Interpretation hinzugezogen werden, gehen aber über die Ebene der Gehirnprozesse hinaus, auf denen ja laut Dennett Bewusstsein basieren soll. Man kann jedoch zeigen, dass die Deutung von Messwerten des Gehirns auf diese transzerebralen Interpretationsrahmen notwendig angewiesen ist (Sigrid Weigel). Dennett möchte jedoch nicht einfach beobachtend-interpretativ vorgehen, sondern beschreitet programmatisch den umgekehrten, konstruktiven Weg, um die Generierung von Bedeutung und Denken aus den elementaren, nicht mit Bewusstsein behafteten und ohne Bedeutung operierenden Mechanismen des Gehirns aufzuzeigen.

Dabei übergeht er zahlreiche theoretische und auch forschungspraktische Möglichkeiten, Bewusstsein zu modellieren, wie sie in der Geschichte der Erforschung psychischer/mentaler Phänomene aus den letzten zwei Jahrhunderten bekannt sind. Die Frage nach der "Enge des Bewusstseins" - die Informationstheoretiker als die geringe Bandbreite des Kanals bezeichnen würden - kann bei Dennett gar nicht erst im Zusammenhang mit Bewusstsein aufkommen, da er sie allein für die vorgeordneten, unbewussten kognitiven Prozesse reserviert und dem Bewusstsein keinen eigenständigen, systemischen Status zubilligt. Man muss allerdings kein "Mysterianer" sein, um in Erwägung zu ziehen, Bewusstsein als ein unterscheidbares, selbstorganisiertes, distributives Teilsystem des Gehirns (Wolf Singer) zu begreifen, das prinzipiell in dem Maße, wie es verursacht wird, selbst Wirkungen auslösen kann. Da Dennett diese Denkmöglichkeit jedoch ausschließt, braucht er auch nicht danach zu fragen, worin denn die Bedingungen für einen Übergang vom Status nicht-bewusster zu bewusster Hirnaktivität bestehen. Von einer "Schwelle des Bewusstseins" (Herbart) zu sprechen, die psychophysische Vermessung solcher Schwellen zu betreiben (Weber, Fechner), Ausschlusskriterien für Bewusstwerdung oder psychische Widerstände (Freu) zu erörtern, die zeitliche Rahmung (das "Drei-Sekunden-Fenster", Ernst Pöppel) zu umreißen, all das kann Dennett sich ersparen. Stattdessen erfolgt die geradezu gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, es sei eben die spezifische Konstellation, die Bewusstsein ausmache. Konstellativ ist im Gehirn mit seinen neuronalen Vernetzungen jedoch alles, und man würde doch gern wissen, was denn das Spezifische der Konstellation des Bewusstseins ist. Bei solchen Fragen zieht sich Dennett auf den mangelnden Wissensstand heutiger Forschung zurück, um im selben Atemzug an der prinzipiellen Erforschbarkeit des Bewusstseins festzuhalten.

Metaphern, Modelle und fehlende Erklärung

Aus dieser Verlegenheit sucht Dennett sich gegen Ende seines Buches mit Hilfe einer langen Kette von wechselnden, einander ablösenden Modellbildungen und metaphorischen Beschreibungen herauszuwinden, die alle erläutern sollen, was er unter Geist und Bewusstsein zu verstehen gedenkt. Ohne den Namen Gerald Edelman zu erwähnen, entwirft Dennett seine Modelle ausgehend von der Rahmenvorstellung eines Neuronalen Darwinismus. Die betreffenden Textpassagen changieren zwischen einem Resümee seiner eigenen geistigen Entwicklung seit Beginn der 1990er-Jahre und einer explorativen Suchbewegung nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Ausgehend vom "Vielfache-Entwürfe-Modell (Multiple Drafts Model)" (so Dennett noch 1991) über das "Ruhm im Gehirn-Modell" beziehungsweise das "Modell des zerebralen Ruhmes" (so Dennett 1996, 1998, 2001) bis hin zu seiner heutigen Auffassung des Bewusstseins als "Instant-Replay-Angewohnheit" durchläuft der Text eine Metamorphose von Begriffen, Bildern, Modellen, Metaphern. Dennett reformuliert zunächst "Aufmerksamkeit" durch "Dominanz", setzt dann erneut an und verschiebt das Bildfeld von "Entwurf" zu "Ruhm", wenn er vom siegreichen Bewusstsein "im Konkurrenzkampf mit anderen Ereignissen" spricht. Dann wieder ist die Rede von "Einfluß" und "Folgen" im Sinne von "Relevanz", dann von "Echo", "Nachhall", "Erinnerungen", weiter von der "Fähigkeit, sich etwas bewußt in Erinnerung zu rufen", die wiederum als "ein rekursives positives Feedback" gekennzeichnet wird - was vielleicht mehr über die autosuggestive Machart des Textes als über das verhandelte Phänomen verrät -, und schließlich kommt noch eine alte Bekannte ins Spiel, die Gewohnheit ("Instant-Replay-Angewohnheit", S. 189).

Wozu nun diese schwindelerregenden Verschiebungen? Auf seiner Suche nach einer belastbaren Darstellung entfernt sich Dennett immer mehr von der technomorphen Sphäre, um zunächst auf politisch-soziales Terrain zu gelangen und letztlich - zumindest in diesem Buch - bei einer psychologischen, erfahrungsgesättigten Alltagsgewissheit zu landen. "Bewußtsein ist also eher Einfluß als Ruhm - eine Spielart relativer 'politischer' Macht in den einander widerstreitenden Prozessen, die in die Kontrolle über den Körper münden. In einigen Oligarchien besteht unter Umständen die einzige Möglichkeit, zu Macht zu kommen, darin, mit dem König bekannt zu sein - demjenigen, dem es allein zusteht, Macht und Privilegien zu verteilen. Unsere Gehirne sind demokratischer, tatsächlich sogar anarchistisch. Im Gehirn gibt es keinen König, kein Cartesianisches Theater, keine Überwachung des staatlichen Fernsehprogramms; aber gleichwohl üben Gehalte im Laufe der Zeit stark unterschiedlich große politische Macht aus. Eine Theorie des Bewußtseins muß erklären können, wie einige relativ wenige Gehalte zu dieser politischen Macht gelangen, während die meisten anderen, nachdem sie ihre bescheidenen Taten in den laufenden Projekten des Gehirns vollbracht haben, in Vergessenheit geraten."

Einerseits herrscht in Dennetts Modell des Geistes also kein König, sondern Demokratie oder gar Anarchie, andererseits aber ist von "laufenden Projekten des Gehirns" die Rede. Offenbar gibt es demnach einen volonté de tous, der von allen bestimmt, aber durch Mehrheit entschieden wird, nicht jedoch einen volonté général, der von einer repräsentativen Instanz wahrgenommen wird und das Gemeinwohl vertritt. Statt des Cartesianischen Theaters der beobachtenden externen Instanz, inszeniert Dennett hier eine Art demokratischen Marktes der Abstimmung, das heißt eine Agora der prozeduralen Entscheidungen ohne externen Adressaten. Das geht mit der Umbuchung des Begriffs der Beobachtung einher: Während man den Begriff gewöhnlich in der dreistelligen Bedeutung X beobachtet Y verwendet, möchte Dennett im Grunde sowohl die zentrierende Subjektinstanz der Beobachtung als auch die Position eines isolierbaren Gegenübers streichen und gegen den Interaktionsprozess einer Abstimmung vieler Akteure untereinander einlösen. Dass eine solche Population von Akteuren tatsächlich Mehrheitsverhältnisse hervorbringen kann, würde niemand bestreiten; dass dies allerdings den Charakter der Bewusstheit kennzeichnen soll, bleibt Dennetts Behauptung. Gut funktionalistisch identifiziert er kurzerhand den Effekt des Bewusstseins mit seinen Konsequenzen, bleibt jedoch den Nachweis schuldig, dass das Gefühl des Subjekts, hier und jetzt etwas zu erleben, dadurch schon erklärt sei.

Insgesamt leistet Dennetts Buch also einen interessanten, wenn auch durchaus eigenwilligen Durchgang durch neuralgische Knotenpunkte der Debatten über Bewusstsein im Berührungssektor von Hirnforschung, Kognitionswissenschaft und philosophy of mind, übernimmt sich jedoch hinsichtlich seines Anspruchs einer konsistenten Darstellung einer möglichen Theorie des Bewusstseins. Etwas kleinlaut räumt Dennett denn auch am Ende ein, es sei ihm nur um die Herausforderung seiner Gegner gegangen, endlich ihrer Beweislast gerecht zu werden und überprüfbare, intersubjektiv zugängliche Indizien für das Geheimnis des Bewusstseins vorzubringen, das es seiner eigenen Meinung nach gar nicht gebe. Da man sich für eine Untersuchung des Bewusstseins jedoch der heterophänomenologischen Methode bedienen müsse, sei er - Dennett imitiert hier die Pascal'sche Wette - letzten Endes auch dann zufrieden, wenn es nicht gelinge, das Geheimnisvolle des Bewusstseins wissenschaftlich zu erklären. Schließlich habe sich dann wenigstens seine Methodologie bewährt, könne man doch auf keinem anderen Weg zu einer wissenschaftlichen Ansicht des Geheimnisses gelangen als durch Heterophänomenologie. Da bleibt man verdutzt mit der Frage zurück, ob der selbsternannte "dünne Materialist" Dennett sich hier nun eher dicke tut oder tatsächlich dünne macht.


Titelbild

Daniel C. Dennett: Süsse Träume. Die Erforschung des Bewußtseins und der Schlaf der Philosophie.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
216 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783518584767

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