Klare Sache

Robert B. Parkers Anamese eines Schulmassakers

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vieles schwappt aus den USA ins gute alte Deutschland hinüber: Serienmörder, Fernsehserien, Privatpanzer á la Hummer, Coca Cola, MacDonalds und Schulmassaker - und was davon das Schlimmste ist, ist noch lange nicht raus. Aber nehmen wir einmal an, dass Schulmassaker ganz weit oben in der Liste der üblen Dinge steht, und gehen wir einmal davon aus, dass die Gründe letztlich immer dieselben sind, wie auch die Reaktionen darauf. Da gibt es beispielsweise dieses Schulmassaker in der Dowling School, einer Privatschule für einigermaßen wohlhabende Mittelschichtkinder irgendwo bei Boston. Suburbs eben, schlimmer kann's nicht kommen, wenn man jung ist und alles andere will als dort zu enden. Zwei 17-Jährige marschieren eines Tages in die Dowling School und erschießen ein paar Mitschüler und Lehrer mit automatischen Waffen. Beide werden verhaftet, beide gestehen - und alle wollen nur, dass diese Tat aus ihrem Leben verschwindet. Der Dorfpolizist, weil er und seine Leute Schiss hatten, sich in die Schießerei zu werfen, der Schuldirektor, weil er aus seiner Schule ein Junior College machen will, dafür Ruhe braucht (und Geld), die Eltern, weil sie ihre Kinder nicht verstehen und sie lieber im Gefängnis sehen, als sich darüber im Klaren zu werden, dass sie selber ein Teil des Problems sind. Nur die Großmutter eines der Jungen glaubt nicht an seine Tat und beauftragt (reich genug dafür) den Detektiv Spenser, um herauszubekommen, was wirklich geschehen ist. Denn weshalb die Tat? Woher die Waffen? Woher können die beiden so gut schießen, wie sie's können?

Dass sich am Ende am Hergang und an den Tätern nichts geändert hat, ist das eine - und schon eine Überraschung, kinotrainiert darauf, hinter jeder Ecke eine neue verdeckte Tatvariante zu erwarten, wie man ist. Dass sich zugleich am Ende der Tathergang ganz anders darstellt, weil er Sinn und Verstand hat, soll heißen: weil er tatsächlich motiviert ist, ist die andere Überraschung. Das Böse ist nicht immer und überall, es hat Ursachen, die mit simplen Schwarz/Weiß-Schemata nichts zu tun haben. Spenser kann der schönen und reichen Großmutter Lilly Ellsworth, die ihn beauftragt, nicht versprechen ihren Enkel zu entlasten. Aber er kann ihr versprechen herauszubekommen, was wirklich geschehen ist. Ein Versprechen, das er auch hält. Außerdem kriegt der junge Mann, den niemand wirklich kannte, der nie wirklich da war, ein wenig langsam, still und verschlossen, seine Chance. Und das ist vielleicht die dritte Überraschung dieses Textes von Robert B. Parker; dass nämlich das Rechtssystem der USA, das sonst gern als durchweg moralin oder völlig korrupt präsentiert wird, hier vor allem menschlich wirkt: Jeder hat eine Chance verdient, so groß sein Verbrechen auch gewesen sein mag. Insbesondere dann, wenn sich nach und nach herausstellt, dass das Ganze kein sinnloses gewaltverliebtes Massaker war, in dem Rache an der Schule, Rache an den Mitschülern, Rache an den Erwachsenen, Rache an der Welt, die die Täter nicht versteht, Rache auch an ihnen selbst, die nirgendwohin gehören, die Hauptrolle spielen. Sondern ein ganz anderer, simpler Grund: Liebe. Eine illegitime Liebe zwar, aber immerhin. Und kann Liebe der Quell des Bösen sein?

Aber werden wir nicht pathetisch, bleiben wir lieber cool, wie unser Held Spenser. Parkers großes Pfund ist seine Fähigkeit, knappe, ironisch kommentierte Dialoge zu schreiben, in denen es keinen Firlefanz und kein Geplapper gibt, sondern alle Beteiligten ganz schnell zur Sache kommen. (Und die Qualität seines Übersetzers ist es, dass er dafür einen angemessenen deutschen Ton findet.) Dass dabei seine Hauptfigur Spenser ganz besonders gut wegkommt, versteht sich von selbst. In den dialogischen Zweikämpfen ebenso wie in den tatsächlichen. Das trägt gelegentlich ein bisschen dick auf: "Wer einmal im Leben im Ring gestanden hat, der verliert hier draußen nicht viele Kämpfe." Jepp, das sitzt. Genauso wie die Schläge, die Spenser an einen gewissen Animal (einer von denen, die am See rumhängen) und an Cromwell (der Chef von denen, die immer Sonnenbrillen tragen und Revolver - und außerdem mit Autos rumfahren, die Blaulicht tragen) verteilt. Das kann eigentlich nicht gut gehen, geht es aber. Und das ist dann doch des Guten zuviel. Seitdem Superman abgetreten ist, hat es kaum einen cooleren Helden gegeben als Spenser, sollte man meinen. Aber Krimihelden nimmt man bekanntlich eine Menge ab, auch wenn's ziemlich unglaubwürdig und überzogen ist. Vor allem dann, wenn sie dabei das Hollywood-Pathos so wunderbar durch den Kakao ziehen wie Parker: Ein Mann ist nur soviel Wert wie sein Wort? Na, dann wird auch der vom Hund Pearl zerkaute Joghurtbecher vom Teppich eines der zahlreichen Polizisten, Anwälte und Staatsanwälte, die durch diese Krimi schweifen, geklaubt. Ein Mann, ein Wort - man sieht's gerade an den kleinen Dingen, auch, welche Krimis was taugen. Der hier schon.


Titelbild

Robert B. Parker: Der stille Schüler.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Frank Böhmert.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2007.
214 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783865320681

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