Exkursion in die Schmerzenswelt

Sergej Kusnezow schreibt über die Nähe von Serienkiller und Masochismus

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der russische Kriminalroman hat eine eigentümliche Entwicklung hinter sich gebracht, vom antikapitalistischen Krippenspiel hin zur exzessiven Feier von Schmerz und Gewalt. Dabei hat er ein Profil beibehalten, das ihn von den auch nicht wenig brutalen bis geschmackverlorenen Krimistücken westlicher, insbesondere amerikanischer Provenienz definitiv unterscheidet. Er ist noch härter, noch bitterer, er geht noch schärfer mit der Modernisierung ins Gericht, und er lässt seine Figuren noch hilfloser gegen die neuen und alten Mächte des Bösen ankämpfen, als dies im Westen der Fall ist. Eine Art asiatischer Despotismus? Ob der Wiederkehr solcher Stereotypen mag man sich möglicherweise nicht freuen. Aber was hilft es?

Sergej Kusnezow bestätigt dieses Gesamtbild, auch wenn Klappentexte, in denen angekündigt wird, unsere Hauptfigur werde in die dunklen Abgründe der russischen Hauptstadt gezogen, eigentlich vermuten lassen, dass es so wild nicht sein wird. Immerhin, politisch ist das Ganze nicht gemeint, sondern hier sind die dunklen Abgründe der Gewalt und des Schmerzes gemeint. Xenia, eine junge und allzu dynamische Internetjournalistin, ist auf der Karrierebahn steil nach oben. Sie weiß, wie sie was auch immer erreichen kann, ist aber noch nur Chefin eines zweitrangigen Newsportals, das sich bloß mühsam behaupten kann (auch wenn es wohl ökonomisch erfolgreich ist). Bis eben eines Tages ein Serienmörder sein Unwesen zu treiben beginnt. Und das mit ziemlich ausgefallenen und grausamen Tötungsweisen. Das Internetportal und der Serienmörder kommen zusammen, als Xenia dem Serienkiller eine Website widmet, die schnell einigermaßen große Prominenz erhält. Xenia ist damit berühmt, ihr Portal ist angesagt - und es dauert auch nicht lange, bis der Serienkiller darauf aufmerksam wird. Immerhin ist er einer von vielen Moskauern und bekommt mit, was in der Stadt vorgeht. Er ist ein integrer Teil der Gesellschaft mit einem normalen Sozialleben, ja sogar mit einem normalen Sexualleben - bis auf seine tödlichen Seancen.

Beinahe genretypisch sind die Figuren auf Gegenseitigkeit angelegt. Und so neigt denn auch Xenia in ihrem Privat- und Sexualleben zu einer eher gewalttätigen und schmerzhaften Variante, gegen die das normale Leben im Bett in der Tat wie Vanille schmecken wird. (Auch das gehört zu Standardausstattungen von Karrieristen, wie das Beispiel Diederich Heßling zeigt). Masochistische Praktiken der "normalen" Frau und sadistische Praktiken des "anormalen" Mannes entsprechen einander, und so kommen Xenia und ihr Gegenpart in der Tat einander immer näher. Erst chatten sie, dann befiehlt "alien" ihr und schließlich begegnen sie einander.

Dass diese Begegnung nicht konfliktfrei und harmonisch verläuft, ist in der Ausstattung des Paares bereits angelegt. Insofern ist alles, was dem Ende zustrebt, nicht wirklich überraschend. Gerade das aber ist die Qualität dieses Textes: Er provoziert vielleicht, aber er überrascht nicht, er ist konsequent und er strebt einem absehbaren Ende entgegen, das dann aber auch wirklich gelesen sein will.

Kusnezow nimmt sich dafür eine Menge Zeit und Seiten. Lange Zeit führt er die beiden Figuren und Handlungsstränge beinahe unberührt nebeneinander her, es geschieht lange nichts, außer dass Xenia sich nach ihrem nächsten Liebhaber sehnt und der Serienkiller seiner Leidenschaft nachgeht. Aber schließlich vereinigt er sie.

Kusnezow beerbt sicherlich die ganze Tradition des Serienkillergenres. Er ist, wie zahlreiche Passagen zeigen, belesen, ja kundig. Das Paradigma, an dem sich Kusnezow orientiert, ist offensichtlich Thomas Harris' "Schweigen der Lämmer", was auch sonst, literarisch und cineastisch. Bestenfalls "Natural Born Killer" kann sich dem noch nähern. Zumindest der deutsche Titel lehnt sich auch bewusst an die Schmetterlings-Metapher an, die in Harris' Thriller eine so besondere Rolle spielt. Und er wird dieser Tradition durchaus gerecht. Wenn überhaupt, dann muss sich Kusnezow lediglich vorwerfen lassen, dass er seinen Text zu systematisch anlegt und abhandelt. Die inneren Monologe des Serienkillers haben sich zudem mittlerweile zu einem derart gängigen Stilmittel entwickelt, dass ein Verzicht darauf beinahe schon ratsam wäre. Solche Ratschläge jedoch sind bestenfalls als Marginalien anzusehen, die Kusnezows Beitrag zum wohlig-schaurigen Genre nicht großartig berühren können. Allerdings wird nicht jeder Geschmack an diesem Krimi finden. Wie auch.


Titelbild

Sergej Kusnezow: Die Hülle des Schmetterlings. Thriller.
Aus dem Russischen von David Drevs.
Heyne Verlag, München 2007.
430 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783453432611

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