Porträts, kalt wie die Hölle

Jane Urquharts fragt nach dem Leben hinter der Kunst

Von Stefanie Regine BrunsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Regine Bruns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich entdeckte früh, daß die Untermalung - die Originalszene - mich vor mindestens ebenso schwierige Probleme stellte wie das Werk als Ganzes, nicht nur intellektuell, sondern auch visuell, da ich wollte, dass in genau definiertem Maße etwas von den Linien, den Formen und der Komposition im fertigen Gemälde schwach sichtbar sein sollte. Bei alledem quälte mich monatelang die Angst, daß Pentimenti auftreten könnten, diese gespenstischen Wiedergänger von Linien und Formen, die der Künstler in einem frühen Stadium der Arbeit gemalt und später wieder übermalt hat, um sie für immer zu tilgen. Irgendwann, so fürchtete ich, würden sie an die Oberfläche meiner Bilder kommen wie Wasserleichen, aufgedunsen und obszön, gleichgültig wie viele Schichten Zinkweiß, Titanweiß und Bleiweiß ich auch auftrug."

Der bekannte amerikanische Maler Austin Fraser blickt als alter Mann auf sein Leben zurück und überdenkt seine Maltechnik. Er fürchtet sich vor Pentimenti, jenen durchschimmernden Schatten in seinen Bildern. Gleichermaßen fürchtet er sich vor den Schatten der Vergangenheit. Nicht ohne Grund: Fraser hat sein Modell Sara 15 Jahre lang gemalt und geliebt. Dann, als sie seiner Kunst nicht mehr dienlich ist, verlässt er sie plötzlich ohne ein Wort des Abschieds. Seinen besten Freund George und dessen Freundin Augusta treibt er in den Selbstmord, als er mit einer früheren Geliebten von George auftaucht. Er lebt allein für die Kunst, das Leben selbst muss dahinter zurücktreten. Der alternde Maler bekennt, dass er "der Liebe aus dem Weg gegangen" sei. Er verkörpert den Typ des gefühlskalten Ästheten, der seine Beziehung beendet, als ihn ein Malerkollege durchschaut: Seine Portraits von Sara sind "kalt wie die Hölle".

Die Kanadierin Jane Urquhart hat mit ihrem Roman "Übermalungen" großen Erfolg gehabt. Das sinnlich und metaphernreich formulierte Buch erhielt den renommiertesten Literaturpreis Kanadas, den Governor's General Award. Dies liegt sicherlich auch an dem kühlen, ruhigen Erzählton, der jeglichen Kitsch vermeidet. Liebe, Freundschaft, Verlust und Schuld sind die zentralen Themen des Romans.

Austin Fraser übermalt seine Bilder immer wieder, um sich nicht zu seiner ursprünglichen Motivation zu bekennen. Er malt realistische Szenen seines Lebens und überdeckt sie dann wieder mit weißer Farbe, um die Erinnerung an sie auszulöschen und sich damit von ihnen zu befreien. Fraser ist ein Amerikaner, der Kanada aus dem Blickwinkel eines Fremden sieht. Oft beschreibt er die weite kanadische Landschaft mit ihren Wäldern und Seen als ob er sie gerade malte. Sein Blick für Licht, Farbe und Formen wird hier deutlich spürbar.

Im Roman gibt es zwei unglücklich liebende Paare: den Porzellanhändler George und seine Freundin Augusta, die gerade den Ersten Weltkrieg in Europa erlebt haben, und den Maler Fraser mit seinem Modell Sara. Austin Fraser zerstört beide Beziehungen, ohne die Schuld daran auf sich zu nehmen. Auch George ist ein Künstler, er bemalt mit Begeisterung und großer Geduld Porzellan. Vom jungen Kunststudenten Fraser wird er dafür belächelt. Der anspruchsvolle Akademiker aus der Großstadt hat keinen Sinn für dieses unauffällige Kunstgewerbe, er beschäftigt sich lieber mit den neuen Kunsttheorien und -richtungen seiner Zeit. Kurz bevor George Selbstmord begeht, zerschmettert er seine geliebte Sammlung kleiner Porzellanfiguren. Nun sitzt der alte Austin Fraser allein in seinen durchgestylten Architektenhaus und klebt diese kleinen Nippesfiguren. Er muss sich erinnern, um herauszufinden, wie es zu seiner innerlichen Kälte kam. Dabei kann er nicht streng chronologisch vorgehen, sondern muss den intensivsten Gefühlen seines Lebens nachspüren. Seine ausführliche Lebensrückschau endet schließlich in Selbsterkenntnis: "meine Beziehungen zu Orten und Menschen waren schwierig und flüchtig. Mehr noch ich gab Beziehungen mit erschreckender Beiläufigkeit auf". Am Ende seines Lebens ändert er sogar noch mal seine Maltechnik. In seinem letzten Bild verzichtet er auf die Übermalung. Er malt seinen Freund George, dessen Frau Augusta, sein Modell Sara und sich selbst - Menschen, deren Leben er durch seine kalte, ästhetische Distanz zerstört hat.

Titelbild

Jane Urquhart: Übermalungen.
Berlin Verlag, Berlin 1997.
394 Seiten,
ISBN-10: 3827000815

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