Grautöne

Walter Mosleys eindringliche Fallstudie über die Veränderung der Welt in den 1960er-Jahren

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

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Über den Rassismus zu reden und zu schreiben ist das Eine, ihn zu erleben ist das Andere: die alltägliche Erniedrigung, die kleinen unaufälligen Abfälligkeiten, die Selbstverständlichkeiten, in denen sich Verachtung und Unterdrückung nur halbwegs verbergen. Walter Mosleay setzt mit seiner Easy Rawlins-Geschichte in dem Moment an, in dem die Watts-Aufstände in Los Angeles 1965 gerade vorbei sind. Es ist der Tag danach. Es herrscht die trügerische Ruhe nach dem Sturm. Wie sehr die Aufstände die Gesellschaft der 1960er-Jahre erschütterten, zeigt noch der sachliche Ton, in dem die BBC über die Aufstände berichtete: "Mindestens 28 Tote und hunderte Verhaftete forderte das letzte Wochenende, an dem Aufstände in Los Angeles tobten. Bewaffnete Nationalgardisten wurden in den Straßen der kalifornischen Stadt eingesetzt, in denen viele der Läden und Büros in rauchenden Trümmern liegen. Etwa 500 Geschäfte, die meisten in Besitz von Weißen, wurden Berichten zufolge in überwiegend von Schwarzen bevölkerten Vierteln zerstört."

Die Gewalt ist ausgebrochen, und sie ist schwarz. Die Polizisten - weiß und schwarz - sind Partei, weil sie die Ordnung wiederherstellen wollen, weil es die Schwarzen sind, die Gewalt anwenden, weil das Verständnis dafür, dass sich hier Wut Bahn gebrochen hat, dort endet, wo der Widerstand gegen die Unterdrückung als Vorwand dafür herhalten muss, alte Rechnungen zu begleichen oder zu plündern. Wenn es eine Lehre dieses Krimis gibt, dann die, dass es weder weiß noch schwarz gibt, nicht nur gut und böse, sondern dass die Realität in den verschiedensten Schattierungen und Grautönen auftritt.

Der Ausgangspunkt für die Ermittlungen Easy Rawlins sind die Aufstände, ist der tobende Mob, den er so gefährlich wie unsinnig findet, auch wenn er verstehen kann, warum es ihn gibt. Er - selber schwarz - beschützt seinen weißen Schuster, der ihm später seinerseits das Leben retten wird - und bei dieser Gelegenheit trifft er Detective Melvin Suggs, einen weißen Polizisten, der ihn zum Polizeichef der Stadt führt. Der mag ein Rassist sein und ein Machtmensch. In jedem Fall hat er erkannt, dass sich die Welt ändert - und das dauerhaft. In dieser Situation kommt ein Mord an einem schwarzen Mädchen nicht gelegen, zumal dann, wenn dieses Mädchen zuvor einen weißen Mann davor beschützt hat, von einem schwarzen Mob umgebracht zu werden. Eine Kleist'sche Konstellation? Nicht in der von Kleist angeordneten Komplexität, aber immerhin in einer ähnlichen Grundstruktur: Die Helferin ist das Opfer, das Opfer wird zum Täter, nicht zuletzt um die anfängliche Basisfigur der überlegenen weißen Macht wieder herzustellen. Allerdings käme das sehr ungelegen.

Also setzt der Deputy Commissioner von Los Angeles einen schwarzen Ermittler auf die Spur des Geschehnisses an, um am Ende ein Ergebnis zu haben, das auch nur einigermaßen die Chance hat, die gerade abflauenden Unruhen nicht wieder anzuheizen. Das ist für beinahe alle Beteiligten eine neue, ungewohnte Situation: Die Polizisten dürfen diesen Schwarzen nicht verhaften, schikanieren und zusammenschlagen wie sie wollen. Die Schwarzen müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass einer von ihnen versucht, unabhängig von der Hautfarbe die Wahrheit herauszufinden. Die Gesetzestreuen müssen akzeptieren, dass es manchmal die Gauner sind, die dem Guten zum Sieg verhelfen. Und die Gauner haben offensichtlich ihren Spaß daran.

Rawlins macht sich auf die Suche in den Communities, er findet den weißen Mann, und er findet den Mörder, er entdeckt zusammen mit Suggs, dass es sich die Mordermittler in viel zu vielen Fällen zu einfach gemacht haben. Der Schlüssel liegt in dem rassistischen Paradigma, in der konstruierten Differenz zwischen schwarz und weiß, die nicht unterschiedliche Hautfarben definiert, sondern die Teilhabe an den gesellschaftlichen Chancen, die Möglichkeiten, gesellschaftliche und individuelle Ressourcen in Anspruch zu nehmen und zu nutzen.

Die Lösung schließlich ist in ihrer Konstruktion beinahe ein episches Theater zu nennen: Sie ist erkenntnisfördernd. Sie dient nicht dazu, einen Mordfall aufzulösen - das ist bestenfalls als kleines konstruktives Vehikel zu verstehen. Nein, diese Mordermittlung ist ein kleines Kammerstück in Sachen Aufklärung über den Rassismus und die Gewalt, die er gegen alle ausübt, gegen die Täter und gegen die Opfer.

Zugegeben, Mosleys Krimi lässt sich auch als gewöhnlicher Schmöker lesen, wenngleich er selbst dabei von seiner Intelligenz nichts verliert. Dafür hält auch der machistische schwarze Held her, immer mit dem losen Mundwerk zur Stelle, gelegentlich auch mit den Fäusten und das recht kundig. Der Fall ist einigermaßen interessant angelegt, wie auch die Lösung. Gutes Futter für zwischendurch - was aber auch nicht das Schlechteste ist, was man über einen Krimi sagen darf.


Titelbild

Walter Mosley: Little Scarlet. Ein Easy Rawlins Krimi.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Uda Strätling.
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2007.
304 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783596168330

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