Kultur des Rituals und Performative Turn

Christoph Wulf und Jörg Zirfas interessante Einblicke in die Ritualforschung

Von Friedrich W. BlockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedrich W. Block

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rituale sind allgegenwärtig, allein schon im populär-, medien- und konsumkulturellen Bereich: Nationalhymne vor dem Länderspiel, Heidi Klums Abservieren einer Topmodel-Kandidatin oder die 562 Artikel, die Ebay unter dem Stichwort "Ritual" anbietet, etwa das "Ritual zur Partnerrückführung mit schneller Wirkung" (für 9,99).

Weit mehr noch sind Rituale Mittel der Welterzeugung und -interpretation, notwendige Instrumente für die Entwicklung von Gesellschaftssystemen und ihre Rückbindung an individuelles Leben.Die Beobachtung der Omnipräsenz von Ritualen ordnet sich einem "performative turn" zu, also dem Wechsel vom Modell des Textes zu dem der Aufführung in der (Selbst-) Beschreibung von Kultur, einem Wechsel, der für den Übergang zum 20. Jahrhundert ausgemacht wird.

Mit dem von Christoph Wulf und Jörg Zirfas im Kontext des Berliner Sonderforschungsbereichs "Kulturen des Performativen" herausgegebenen Band zur "Kultur des Rituals" liegt ein neuer Meilenstein der Ritualforschung unter performativer Perspektive vor. Der Band leistet zweierlei: Er entfaltet den aktuellen theoretischen Diskurs und bietet zugleich ein breites Spektrum konkreter Einzelstudien, deren Gegenstände zeitlich vom Mittelalter bis zur Gegenwart und inhaltlich von Folterpraktiken über das Geistliche Spiel oder Falun Gong bis zu Polit-Talkshows oder Daniel Spoerris Fallenbildern reichen.

Nach einer dichten Einführung der Herausgeber, die hervorragend über Geschichte, Gegenstandsbereich und Methodologie der Ritualforschung orientiert, sind die Beiträge des Bandes in die Themenbereiche "Inszenierung von Macht", "Dynamik symbolischer Ordnungen" und "Magie der Ästhetik" geordnet. Macht sei rituelle, performative Praxis. Der Fokus auf das Wie der Durch- beziehungsweise Aufführung von Macht liefert Bedeutungsschichten über kodifizierte Symbolwelten hinaus; er zeigt, wie hier mit Erinnerung, Kontinuität, Übergängen, Krisenbewältigung, Differenzbearbeitungen et cetera. kultürlich umgegangen wird. Andersgesagt erhalten, so der zweite Hauptaspekt, Transformationen zwischen und innerhalb symbolischen Ordnungen (wie politische oder religiös-sakrale Systeme) im Ritual eine Form und werden hier besonders anschaulich. Das Ästhetische ritueller Prozesse, wie es an bestimmtem Instrumentarium, an der Nähe zur Theaterpraxis, auch an medialer Eigenlogik festgemacht wird, zielt besonders auf Wirkungsmöglichkeiten vor allem sinnlicher oder emotionaler wie auch Sinn gebender Art.

Es wird deutlich, dass die drei im Band abgeteilten Themenblöcke Prinzipien des Rituals behandeln, die sich an und für sich durchdringen und bedingen, daher nicht von einander zu trennen sind. Es handelt sich also um (einleuchtende) Perspektivierungen, wobei der so prominent verwendete Begriff der "Magie" eine stärkere theoretische Auffächerung verdient hätte. Der Fokus auf das Performative rückt bestimmte Bedeutungsgrößen ins Licht, so insbesondere den Körper, insofern rituelles Handeln 'einverleibt' wird und andererseits Aufführung von Körpern ist, dabei Sprachliches und Nonverbales im Geschehen vereinend, wie die Beiträge zu Folter (Zirfas), geistlichem Spiel (Kasten), Tier- und Menschenopfer (Michaels) oder zur Meditationspraxis von Falun Gong (Bell) anschaulich machen.

Gleichwohl erscheint der von den Herausgebern postulierte, ein wenig als 'Paradigmenwechsel' inszenierte Primat des Performativen gegenüber 'traditionellen' Erklärungsmodellen, die mit Textmetaphorik arbeiten, etwas sehr absolut - schließlich habenText-, Symbol-, Sprach-, Zeichen- und Medientheorien durchaus schon differenzierte Instrumente zur Beschreibung von Prozess, Handlung und Performanz entwickelt. Das zeigen zum Beispiel auch die Beiträge zu einer Soziologie des Symbols (Soeffner) und zum Einfluss der Sprache auf rituelle Vorgänge (Jäger). Dass sich Rituale wohl am ehesten über komplementäre Zusammenhänge strukturaler und prozessualer Dimensionen erschließen, macht die Sache nicht einfacher. Der vorliegende Band liefert aber in Anbetracht dieser Komplexität auf anregende Weise eine gute Grundlage für die weitere Forschung.


Titelbild

Christoph Wulf / Jörg Zirfas (Hg.): Die Kultur des Rituals. Inszenierungen. Praktiken. Symbole.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2004.
369 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-10: 3770540174

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