Absicht Integration

Die junge Türkin Inci Y. erzählt in ihrem zweiten Buch "Erzähl mir nix von Unterschicht" vor ihrer Absicht und ihrem Scheitern, in der deutschen Gesellschaft anzukommen

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem Bestseller "Erstickt an euren Lügen - Eine Türkin in Deutschland erzählt" ist nun ein weiteres Buch der unter dem Pseudonym Inci Y. berichtenden Türkin erschienen. In ihrem ersten Band lüftete sie stellvertretend für viele junge Türkinnen den Vorhang des Schweigens und ermöglichte dem Leser einen Einblick in die deutschtürkische Gesellschaft.

Hinter "Erzähl mir nix von Unterschicht - Die Geschichte einer Türkin in Deutschland" verbirgt sich die Geschichte einer Deutschtürkin, die versucht, der Unterschicht zu entkommen und trotz aller Rückschläge immer wieder aufsteht. Diese Schicksalsbeichte macht die Chancenlosigkeit all jener deutlich, die mit gar keiner oder nur einer schlechten Ausbildung ihr Leben in unserer Gesellschaft bestreiten müssen. Dies betrifft Personen mit Migrationshintergrund in besonderer Weise. Fast 10 Prozent dieser Menschen haben keinen allgemeinen Schulabschluss (gegenüber 1,5 Prozent der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund) und 51 Prozent (gegenüber 27 Prozent) keinen beruflichen Abschluss. Diese Tatsache birgt ein enormes gesellschaftliches Konfliktpotential.

Inci Y. wurde in Deutschland geboren. Aber schon im Kindesalter schickten sie ihre Eltern jahrelang in die Türkei zu ihrer Großmutter. Später wurde sie dort zwangsverheiratet. Nach der Geburt ihrer zwei Kinder und der Trennung von ihrem gewalttätigen Mann versucht die junge Mutter, ohne Schulabschluss und Ausbildung in Deutschland einen Neuanfang zu starten. Das Buch beschreibt ihre Odyssee durch die zuständigen Behörden, deren Mitarbeiter überwiegend einen schlechten Eindruck beim Leser hinterlassen. Sie schildert die Emanzipation einer jungen Türkin von der eigenen Familie sowie von der (deutsch-)türkischen Community, die einer erfolgreichen Integration offensichtlich im Wege stehen. Das Buch weist darüber hinaus auf die Hindernisse hin, denen man in Deutschland begegnet, wenn man sich im unteren Bildungssektor bewegt.

Migranten und Einwanderer betrifft das Problem der Armut und der Bildungsdefizite in besonderer Weise. Deren regulärer Aufenthalt ist zumeist an feste Arbeits- und Wohnbedingungen geknüpft. Diese Zwangslage wird nicht selten von Arbeitgebern und Vermietern ausgenutzt, wie Inci Y. zeigt. Auch Ämter und Behörden waren ihr gegenüber erst zur Kooperation und Beratung bereit, als sie von vermeintlich einflussreichen Personen begleitet wird. Ihr Integrationswille stieß zu häufig auf Widerstand. Inci Y. führt deutlich vor Augen, dass Integration immer von zwei Seiten her geschehen muss, denn ohne die tatkräftige und moralische Unterstützung ihrer deutschen Freunde gäbe es wohl mindestens eine weitere gescheiterte Deutschtürkin in unserer Gesellschaft. Auch wenn die junge Frau schließlich keinen Ausbildungsplatz und damit die Chance auf ein besseres Leben bekommt, so hat sie doch begriffen, dass es sich für die eigenen Kinder zu kämpfen lohnt, um diesen eine Chance in der deutschen Gesellschaft zu verschaffen.

Dieses Buch ist die Dokumentation einer misslungenen Integration. Ob dies letztlich an den deutschen Ausländer- und Einwanderungsgesetzen oder an den starren Durchsetzungsverordnungen in den Ämtern lag, die Schuld in der schamloser Ausnutzung gesetzlicher Aufenthaltsbedingungen durch Vermieter und Arbeitgeber zu suchen ist oder Inci Y. letztlich an sich selbst gescheitert ist, diese Einschätzung bleibt dem Leserurteil überlassen.


Titelbild

Inci Y.: Erzähl mir nix von Unterschicht. Die Geschichte einer Türkin.
Piper Verlag, München 2007.
272 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783492051330

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