Der heilende Eros

Ferdinand Fellmanns Anthropologie des Paares

Von Petra RoggeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Rogge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Weit oben auf der Agenda steht momentan der Mensch. Im Trend liegen solche wesenhaft daseinsmäßigen Äußerungen wie jene zum Anfang und Ende menschlichen Lebens, zur personalen Autonomie und Würde, zu Chancen und Risiken von Eingriffen in das Leibkörperwesen Mensch oder auch zum Lebensstil des Einzelnen in der Gesellschaft.

Prekär sind diese Überlegungen in gleich zweifacher Hinsicht. Wer hier in entscheidender Absicht vorgeht, der unterlegt zum einen seiner Antwort ein Wissen darüber, was den Menschen als Menschen auszeichnet. Das aber ist längst nicht ausgemacht. Zum anderen gibt sich hier der Mensch den Bescheid über das ihm Wesenhafte selbst, womit er "zugleich weiß, dass er es nicht weiß" (Max Scheler). Wer dann noch eine der wichtigsten Antworten der philosophischen Anthropologie aufnimmt und das nicht Verdrahtetsein (Ernst Tugendhat) des Menschen oder seine exzentrische Positionalität (Helmuth Plessner) voraussetzt, dem wird der Mensch immer auch ein Unbekannter bleiben müssen. Was das Entscheiden in obigen Fragen nicht eben leicht macht.

Einen interessanten Ausweg aus den Unsicherheiten um das Wesen des Menschen bietet das Buch "Das Paar" von Ferdinand Fellmann. Der Autor, emeritierter Philosophieprofessor der TU Chemnitz, übergeht ganz einfach das unbekannte menschliche Einzelwesen, um sich dem noch viel weniger bekannten menschlichen Paarwesen zu widmen. Eine Lösung, die in Zeiten des Einzelspiels oder flüchtigen Zweierspiels vielleicht positiv verwundert. Aber auch Bedenken hervorruft, denn Fellmann anempfiehlt dem in mannigfache "Aporien des Lebens" verstrickten Menschen, sich heilen zu lassen: Dies nicht etwa über den Glauben, da Gott lange schon von der Bühne abgetreten sei. Auch nicht über die Vernunft, da hier eine allein Symptome bekämpfende "Sinnvermittlungsindustrie" vorherrsche. Fellmanns Antwort auf das "moderne Krisenbewusstsein" des Individuums ist der gesundmachende Eros. "Eine erotische Rechtfertigung des Menschen", so der Untertitel seiner Arbeit, die als Beitrag zu einer philosophischen Anthropologie um die "Rettung eines humanen Menschenbildes" bemüht ist und dafür den Weg wählt über die in Paarliebe einander verbundenen Männer und Frauen samt der daraus naturgemäß hervorgehenden Kinder.

Am Anfang war das heteroerotische Paar. In den Worten Fellmanns heißt das: "Der Mensch [ist] erst als Paar zum Menschen geworden". Zu den gedanklichen Stützen der Idee von einer Zweisamkeit an sich zählt der Autor (neben dem biblischen Paar) die Kugelmenschen, die Platon im Symposion den Komödiendichter Aristophanes vorführen lässt: Sie, die ursprünglichen, rundgestaltigen, doppelgesichtigen und vielgliedrigen Menschen hatten in ihrem Übermut die Macht der Götter begehrt, wofür sie von Zeus in zwei Hälften geschnitten und von Apollon Gesicht und Hals nach innen gewendet bekamen, ihren Frevel nun stets vor Augen. So voneinander getrennt, machte sich eine jede Hälfte auf die Suche nach ihrem Komplement. Fanden sie sich, so blieben sie doch aufgrund ihrer anatomischen Disposition ohne Erfüllung. Bis schließlich Zeus ein Einsehen hatte und ihnen die Geschlechtsteile einander wieder zuwendete. Für Fellmanns "Apologie des Paares" dient der Mythos als Fingerzeig, den Eros als das dem Menschen wesenhaft eigene Drängen zur "liebenden Vereinigung" zu sehen - auf das aus zweien wieder das ursprünglich Eine werden kann.

Nun unternimmt Ferdinand Fellmann nicht etwa den Versuch, die Strafe der Götterväter als zu Retournierendes zu inszenieren. Im Gegenteil ist für den Autor die von Zeus vollzogene Teilung für das "moderne Selbstverständnis des Menschen" durchaus brauchbar. Darum, weil das (mit dem Anderen) Einswerdenwollen zwar als beständiges, aber nur teilweise zur Erfüllung gelangenden Streben angenommen werden muss, der Mensch also immerfort zu etwas hindrängt, was sich ihm nie ganz erschließt. Dies steht für Fellmann einerseits "für das aktive Leben der Menschen", also für Kulturalität. Zugleich, im Hinblick auf die Nachtseite kultürlicher Bemühungen, gilt es, die "für immer verlorene Einheit" zu ersetzen. Eben durch das Paar, welches den humanen Anteil des Menschenbildes garantiert, der für den Autor aktuell auf dem Spiel steht. Die Paarung selber hat dabei die Funktion, auf immanente Weise Ganzheit und "innerweltliche Gewissheit" zu sichern oder auch "Vertrauen in die Welt" durch das Vertrauen des Paar-Einen in den Paar-Anderen zu gewährleisten. Durch den Glauben, so Fellmann, des Paar-Einen an den Paar-Anderen und über "die Anerkennung und Gestaltung der gegenseitigen Begierde in der erotischen Liebe wird der Mensch zum Maß aller Dinge". So verstanden, hätte der von der Bühne abgetretene Gott über den Eros im Paar seinen Ersatz gefunden. Ganz folgerichtig nennt Fellmann deshalb sein "Projekt" der Rechtfertigung des Menschen durch den Eros den "Versuch, innerweltliche Wege der Versöhnung zwischen Individuum und Gesellschaft" aufzuzeigen. Ein schmaler Grat zwischen theologischer und philosophischer Anthropologie, wie der Autor selbst betont.

Der Eros ist hier eine Art von medicamentum simplex. Fellmann macht ihn zum "anthropologischen Medial" und schreibt ihm das heilend Vermittelnde, das jede Form von Entfremdung Überwindende, fest ein. Und er soll verstanden werden als "Schema", da er auch den Liebesbruch und neue "Anschlüsse" für die Paar-Einzelnen zulässt, also gleichermaßen zu binden wie zu trennen vermag. Dies sind die tragenden Annahmen von Fellmanns Verteidigungsrede. Eine weitere besagt, dass der Mensch allein als Paar-Einer im Paar-Anderen gerechtfertigt ist. Sich selbst zu nahe stehend, kann er sich erst aus der Paarform heraus "als Individuum in seiner Einzigartigkeit selbst erfahren und bestimmen".

Rechtfertigung, das bedeutet hier nicht einfach Begründung und entsprechend mögliche Begründungsvielfalt, da das zu Begründende von situativer und sonstiger Mannigfaltigkeit gekennzeichnet ist. Fellmann nutzt den Rechtfertigungsbegriff aus dem Glaubensdiskurs, um ihn von dort - und gegen die Varianzen des Sinnbegriffs - in das Innerweltliche zu heben: Rechtfertigung ist dann ganz schlicht die "Klärung der Lust in der Paarbeziehung". Der Eros als Rechtfertigungsschema bietet dann dem in einem "Schwebezustand zwischen Selbstbehauptung und Hingabe" sich aufhaltenden Paar-Einzelnen die Form von Erlösung oder gar Befreiung und insofern "Gerechtigkeit", die er dem Autor zufolge nötig hat, um sich sowohl mit sich wie auch mit der Gesellschaft immer wieder in Einklang bringen zu können.

Fellmanns gedankliche Konstruktion von Paar, Eros und Rechtfertigung wirft so manche Frage auf, die der Autor seiner Leserschaft gerne abnimmt. Etwa, indem er die Verteidigungsrede als Form seiner Arbeit wählt und damit das zu Verteidigende als bereits nicht mehr zu Hinterfragendes vorstellt. Gestützt auf das (empirische) Argument des gehäuft Anzutreffenden ("Aber trotz aller Schwierigkeiten leben die meisten Männer und Frauen nach wie vor als Paare zusammen.") wendet sich Fellmann mit seiner Rede just den Lesern zu, die "ihre Lebensform durch [s]eine Vision gerechtfertigt finden".

So hat der Autor auch gar keine Schwierigkeiten, die in homoerotische Liebe Gefallenen durch sein heteroerotisch ausgerichtetes Raster fallen zu lassen. Solche Paare, so Fellmann, sind "von Natur aus unvollständig". Erstens, da sie dem Mensch als Maß aller Dinge aufgrund fehlender Nachkommenschaft nicht gerecht werden können. Denn "nur Kinder in ihrem unerschütterlichen Weltvertrauen geben die Gewissheit, dass das Leben weitergeht."

Warum dieses Lebensziel der Menschen, als Paar durch den Eros im Kind "über alle von ihnen verursachten oder hereinbrechenden Katastrophen triumphieren [zu] können", nur für heteroerotisch orientierte Paare erfüllbar sein soll und warum es überhaupt zu erfüllen sein sollte, mag der Autor nicht näher erläutern und muss dies auch nicht. Denn seine Rede will nicht ausgewogen, sondern emphatisch sein. Ganz im Sinne einer guten Verteidigung ist jene von Fellmann wortreich und für die heteroerotische Paaranhängerschaft wohl auch wirksam, wenn er im Jargon des aus "Lebenserfahrung" sprechenden Alltagsmenschen für den gegnerischen Part (für den postmodernen flexiblen Menschen, den nur scheinbar selbstsicheren Generation-Golf-Typ oder für die "auf ihre Partialtriebe bedachte Neue Frau") einen Negativdiskurs aufmacht.

Ob die Verteidigung als Beitrag zur philosophischen Anthropologie geschickt und klug zu nennen ist, kann dagegen angezweifelt werden. Dass der dem "Plädoyer für das Paar" zugrunde liegende Sachverhalt zunächst mit der Welt der Mythen inszeniert wird, um ihn dann mit Verve durch die Welt der Sozialphilosophie, der Verhaltensforschung, Psychologie und Soziologie, der Ethnologie und Kultur- und Sozialgeschichte zu treiben, ist zwar nicht unbedingt eklektisch zu nennen. Schöpferisch aber kann die Idee des Autors, dem unbekannten Menschwesen das noch weniger bekannte Paarwesen vorweg zu stellen, nur werden, wenn tatsächliche Argumentationsspielräume entstehen könnten. Die aber werden von Fellmanns heteroerotischer Fokussierung sowie seinem Gebrauch ins Innerweltliche gewendeter religiöser Elemente viel zu stark eingeengt. Verlockend dagegen wäre, den Eros als "Radikal" in den eigenen Lebensentwurf abseits teleologischen Bahnens aufzunehmen. Die Idee der Paarliebe als anthropologische Konstante könnte lohnend sein, wenn der Autor seine Vorstellung, dass die "Sehnsucht nach Vereinigung vom Streben nach Penetration des männlichen in das weibliche Geschlecht getragen wird", um andere Formen der Vereinigungssehnsüchte erweitern könnte. Oder seine Behauptung, dass "die erotische Liebe ihren Ort" allein bei jungen Paaren hat, während das ältere Paarwesen vor allem von "unverbrüchlicher Solidarität" bestimmt wird, weitere "Anschlüsse" erfahren könnte.


Titelbild

Ferdinand Fellmann: Das Paar. Eine erotische Rechtfertigung des Menschen.
Parerga Verlag, Berlin 2005.
337 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3937262245

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