Kanadas geistiger Komet

Philip Marchands Biographie des Medien-Gurus Marshall McLuhan

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Kanada-Schwerpunkt in einem Internet-Magazin - da darf der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan (1911 - 1980) nicht fehlen. Der "New York Times" galt er einst als "wichtigster Denker seit Newton, Freud und Einstein". In den sechziger Jahren gab es eine regelrechte McLuhan-Hysterie, für deren Verbreitung in erster Linie Künstler sorgten. Er wurde als "Prophet der psychedelischen Kunst" gefeiert. Heute ist sein Ruhm verblasst, sein Institut für Kultur und Technologie wurde geschlossen, seine wichtigsten Einsichten sind public domain geworden und werden kaum mehr auf ihren Urheber zurückgeführt, darunter auch sein wohl berühmtestes Wort "Das Medium ist die Botschaft".

Marshall McLuhan war der wissenschaftlichen Welt als Enfant terrible bekannt, das mit unkonventionellen Ansichten, Ideen und Methoden die Friedhofsruhe der Geisteswissenschaften gestört hatte und dementsprechend mit Vorsicht zu genießen war. Er machte sich Feinde, nicht nur innerhalb der akademischen Welt, der er zugleich neue Impulse gab, sondern auch bei den Kulturrevolutionären der Gegenkultur der sechziger Jahre, den theologischen Reformern, die er besonders erbittert attackierte, bei den Medien, in der Politik und in der Werbebranche, aus der er seine aufmerksamsten Rezipienten rekrutierte. "Werbung", so McLuhan, sei "die großartigste Kunst in der Geschichte der Menschheit".

McLuhan war ein offensiver Verfechter der neuen Medien; als "Denkzentrum für Medienforschung und Kommunikation" glaubte er an die Kraft und die Notwendigkeit der technischen Innovation, versuchte aber, die eigenen Kinder vor dem verderblichen Einfluss eines zu starken Medienkonsums abzuschirmen. In den siebziger Jahren war McLuhan Berater des kanadischen Premier Pierre Trudeau, denn Trudeau verkörperte wie kein anderer McLuhans Ideen über die Macht von Auftritt und Image einer öffentlichen Person.

Marshall McLuhans Biograph Philip Marchand folgt den Spuren des Meisters minutiös. Er beginnt seine Darstellung des Lebens in der Generation der Eltern und Großeltern, schildert die unverplante, glückliche Kindheit Marshalls, die nur von den zahllosen Umzügen in den ersten acht Lebensjahren überschattet war - sie führten von Edmonton nach Nova Scotia. Die Eltern hatten ein Faible für das Esoterische und frönten einer Pseudowissenschaft des 19. Jahrhunderts, der Phrenologie. Marshalls Schädel wies ihn angeblich als intelligenten jungen Mann aus, der über die große Gabe der Freundschaft und Loyalität verfüge.

Als Junge wollte McLuhan noch Priester werden, ihn faszinierte die Idee, im Chorgestühl gotischer Kirchen gregorianische Gesänge anzustimmen. Er war bibelfest und belesen. Er könnte unzählige Gedichte auswendig und las sich noch vor dem Studium bei den englischen Klassikern fest. Den Kriegsausbruch 1939 erlebte er mit seiner jungen Frau in Cambridge, wo er, finanziert durch ein kanadisches Stipendium, an seiner Dissertation über Thomas Nashe und die Bedeutung des Triviums (Grammatik, Logik und Rhetorik) arbeitete.

Philip Marchand verfolgt die verschiedenen Stadien des Forschers und Publizisten bis ins Detail. Die Entstehung und Wirkung seiner berühmtesten Arbeiten, darunter "Die mechanische Braut" (1951), "Die Gutenberg-Galaxis" (1962), "Krieg und Frieden im globalen Dorf" (1968) und "Das Medium ist Massage" (1967), wird genauestens dargestellt. Gelegentlich fehlt dem Biographen etwas Abstand zur eigenen Methode; vor allem muss Marchand ein sehr gefestigtes Weltbild haben: Seine Beobachtungen verraten eine bisweilen allzu schlichte Sicht auf die Dinge und wirken dann unfreiwillig komisch. Die Darstellung von Marshall McLuhans Eltern ist ein Beispiel dafür. So schildert er etwa Elsie Marshalls Vorliebe für starke Männer, "wenn sie Autorität und Klugheit ausstrahlten - wie Anwälte und Minister". Oder er erwähnt James McLuhans Ehrgeiz, seine Mitmenschen an Wissen zu übertrumpfen, "vor allem wenn es sich um gebildete Leute handelte - wie Pastoren und Lehrer". Philip Marchand ist auch ein Klatschgeschichtler, der sich nicht zu schade ist, den Frauengeschichten McLuhans nachzusteigen.

So folgt die McLuhan-Biographie all den Verstiegenheiten und Irrtümern ihres Subjekts. Zu McLuhans Irrtümern zählt die Vorstellung, dass das gesamte Leben auf dem "psychologischen und metaphysischen Verständnis christlicher Grundsätze beruhe"; wenn man folglich dessen Gesetze erkannt habe, so könnten selbst Krankheit, Sünde und Tod aus der Welt verbannt werden; ein zweiter Irrtum war, dass sich die Werbung der fünfziger Jahre für zukünftige Leser als interessanter erweisen könnte als die zeitgenössische Literatur; McLuhans berühmtester Irrtum war wohl, dass er für das Jahr 1980 den Tod des Buches prognostizierte. Stattdessen starb er selbst.

Titelbild

Philipp Marchand: Marshall McLuhan.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1989.
432 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3421053065

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