Umstritten, aber bedeutend - Gottfried Benn wird besichtigt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sein literarisches Werk lässt ihn zu den bedeutendsten Autorinnen und Autoren des 20. Jahrhunderts gehören. Seine Person aber ist heftig umstritten: Gottfried Benn war nicht nur Autor von bahn- und tabubrechenden Werken wie "Morgue", den "Rönne"- Novellen oder den "Statischen Gedichten", er hat nicht nur gegen die anerkannten Geschmacksgrenzen verstoßen.

Benn hat auch die Grenzen des politisch Tolerierbaren überschritten, als er sich 1933 auf den Nationalsozialismus einließ, die Gleichschaltung der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste betrieb und damit mitverantwortlich für die Vertreibung von Autoren wie Heinrich Mann oder Alfred Döblin gewesen ist. Trotz dieser von umfangreichen Essays begleiteten Entgleisung wurde Benns Rang als Lyriker und Essayist literaturhistorisch kaum je in Frage gestellt. Dieser Studien-Band gibt einen Überblick über sein Werk.

Darüber hinaus werden Benns Texte neu sondiert und bewertet. Wie sich zeigt, ist der Autor nicht nur der Repräsentant eines extremen Expressionismus, einer Dichtung des Elementaren und ein Vertreter einer moderaten Moderne nach 1945 - er hat weder seine Wirkung noch seine Brisanz zu Beginn des neuen Jahrtausends verloren. Und das ist eine literarische Seltenheit.

Der vorliegende, von Walter Delabar und Ursula Kocher herausgegebene Band unternimmt eine umfassende Sichtung des Werks Benns. Der Forschungsstand wird berücksichtigt und zusammengefasst präsentiert. Zudem werden neue Ansätze unternommen, die von den Konventionen der Benn-Forschung abweichen. Der Band bietet außerdem eine chronologisch geordnete Arbeitsbibliografie der Forschungsliteratur zu Benn seit 1985.

Walter Delabar: Inversionen des Begehrens. Gottfried Benns Morgue. Dieter Hoffmann: Totalität und totalitär. Gottfried Benn und die Expressionismusdebatte. Olaf Berwald: Unfreundliche Übernahme. Benns Nietzscherezeption. Carolina Kapraun: "O gieb in Giftempfängnis das Ich, dem Ich vorbei." Das poetologische Konzept des "Rausches" bei Gottfried Benn. Thomas F. Schneider: Der Dichter in der Etappe. Der Bild des Ersten Weltkriegs im Werk von Gottfried Benn 1915-1928. Friederike Reents: "Vom armen Hirnhund zum Prinzen Vogelfrei". Die poetologische Bedeutung der Tierbilder beim frühen Benn. Martin Rehfeldt: Gehirne lesen. Zur Schwierigkeit der Lektüre von Texten eines 'modernen Klassikers'. Timm Menke: Benns Text zum Oratorium "Das Unaufhörliche" und Brechts Lehrstück "Die Maßnahme". Matthias Uecker: "Können Dichter die Welt ändern?" Gottfried Benn und die Politik des Weimarer Literaturbetriebs. Torben Fischer: "Der Drang der Schriftsteller, eine öffentliche politische Rolle zu spielen, ist die Ursache ihres Verfalls." NS-Engagement, innere Emigration und Erinnerungsdiskurs bei Gottfried Benn. Ursula Kocher: "Dank für Brief." Friedrich Wilhelm Oelzes Briefwechsel mit Gottfried Benn. Jens Dechert: Probleme der Lyrik. Die Neubestimmung der Lyrik nach 1945. Hans-Joachim Hahn: Gottfried Benns "großer Aufstieg" nach 1945. Werner Jung: Bloß eine Anleitung für Mitläufer? Wellershoff und Benn. Silke Grothues: Gottfried Benn und Thomas Mann nach 1945. Aufbruch in die 'Zweite Moderne' oder Durchbruch zur Postmoderne. Christiane Nowak: Forschungsliteratur zu Gottfried Benn (1886-1956). Eine Arbeitsbibliographie (1986-2005).

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.


Titelbild

Walter Delabar / Ursula Kocher (Hg.): Gottfried Benn (1886-1956).
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2007.
390 Seiten, 39,50 EUR.
ISBN-13: 9783895285516

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