Benn-Bilder-Buch

Gottfried Benns Leben in Fotos und Texten, zusammengestellt von Holger Hof

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Brecht hat einen solchen Band, Ernst Jünger hat einen solchen Band, Thomas Mann hat sogar mehrere solcher Bände: Wer es in der deutschen Literatur zu etwas gebracht hat, dem blüht auch irgendwann einmal, dass sein Leben und Werk in einem volumigen Bildband zusammengeworfen, mehrfach umgerührt und angerichtet werden. Nun eben auch Gottfried Benn, was überfällig war. Denn neben den oben genannten Großschriftstellern ist er einer der prägenden und einflussreichsten Gestalten in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Rainer Maria Rilke ist vielleicht noch hinzuzuzählen, Stefan George hat nicht weniger Jünger gehabt, als die bisher genannten. Wie sie hat Benn gewirkt, das heißt Nachahmer und Bewunderer gefunden, und daneben eben auch noch jede Menge Feinde.

Heute mögen es vor allem die Freunde sein, für die der, wohl um ein Jahr verspätet erschienene Band gedacht ist. Aber eigentlich gibt es dem Band eine angenehme und unaufgeregte Note, dass das Benn-Jahr 2006 vorüber ist und das Benn-Bilder-Buch nicht automatisch hochgejubelt oder bekrittelt wird, sondern einfach nur erscheint und Beachtung finden mag. Zumindest in diesem Sinne ist das Kalkül der Verlags - mag es auch aus der Not geboren sein - aufgegangen: Der von Holger Hof zusammengestellte Band steht als Einzelveröffentlichung neben wenigen anderen Bänden, statt eingereiht in der Schar die Jubilarpublikationen, über die die Übersicht zu behalten und adäquate Einsicht zu nehmen selbst den meisten Rezensenten die Zeit und die Ruhe fehlt.

Also ein Blick in den Band. Natürlich finden sich hier alle Standards der Benn-Foto-Ikonografie wieder, die das öffentliche Bild des Dichters prägen. Benn in Uniform, Benn im Arztkittel, die Rechte aufgestützt, Benn vor dem Mikroskop. Die verschlafen wirkenden Augen, das runde, wenig einnehmende Gesicht, das gleichwohl für attraktiv gehalten worden sein muss. Der Arzt, der Offizier, der Dichter. Das Fatale der Fotografie ist, dass sie die Vorstellung von dem, der diese Texte geschrieben hat, konkretisiert, auch zu Lasten des Textes. Seine Leichtigkeit oder Schwere werden notgedrungen mit dem realen Gesicht und der realen Gestalt aufgerechnet: Wie kann dieser vierschrötige Mann solche Texte geschrieben haben? Im Widerspruch und in verdeckter Entsprechung zu den dichterischen Klischeestandards ist es in diesem Fall nicht die "hohe Stirn", die "edle Gestalt", der "ernste Blick", mit dem der "Dichter" ausgestattet ist. Man mag Stefan George für einen wenig attraktiven Menschen halten (was viele seiner Zeitgenossen definitiv anders gesehen haben), dennoch entspricht er zweifelsohne deutlich mehr dem Klischeebild des "Dichters" als es der feiste Benn tat. Was entlarvend ist für den Betrieb, der visualisieren will, was vielleicht nur imaginativ Bildmacht erhält, nämlich Literatur. Entlarvend ist das allerdings auch für den Betrachter selbst, der mehr oder wenige angestrengt danach sucht, den realen Benn in Übereinstimmung mit dem Bild zu bringen, das seine Texte in der Vorstellung hervorrufen. Und dabei die Kluft zwischen beidem zu kaschieren sucht. Denn ist es nicht das Spezifische der Imagination, das sie zwar die Realität bearbeitet und verarbeitet, sie zugleich jedoch überschreitet? Übertrifft? Überwindet? Gerade deshalb hat sie ja, selbst in den weniger elaborierten Formen, die Fähigkeit, die Flucht aus dem begrenzten Diesseits zu ermöglichen.

Aber der Bildband regt eben nicht nur zu einigen Reflexionen über das Verhältnis des Autors zu seinem Bild, von Imago und dessen fotografischer Variante an, sondern erfüllt auch ganz praktische Funktionen. Hier wird nämlich auf knapp 280 großformatigen Seiten zusammengestellt, was für Benn typisch und daher an dieser Stelle abdruckreif ist: Eigene Texte, Fotos und andere Dokumente, einige Erläuterungen - und das Ganze chronologisch geordnet. Hier finden sich Notizen zu Benns letztem Gedicht "Was schlimm ist", der Zeitungsdruck zu "Wie Miss Cavell erschossen wurde", faksimilierte Tagebuchseiten, Notizzettel und hingekritzelte Entwürfe. Auch Postkarten sind darunter, besonders apart die der Hannöverschen Stadthalle, die mit der Bitte an den langjährigen Vertrauten und Briefpartner Oelze versehen ist, zehn Tage lang nicht zu schreiben. Weggefährten und Feinde sind abgebildet, und auch bislang unbekannte oder unbeachtete Fotos wie zum Beispiel die von der gutgelaunten Ausflugsgesellschaft mit dem Ehepaar Hindemith im Berliner Grunewald. Da sieht man, dass auch Komponisten mit ihren Frauen albern und Dichter verdammt "cool" dreinschaun können.

Das alles gibt den Anschein eines kompletten Lebens, zumal hier ja eben nicht nur die offiziellen und öffentlichen Dokumente versammelt sind, nicht nur die publizierten Texte, sondern auch die privaten und nichtöffentlichen. Allerdings ist am Ende niemand Benn damit in irgendeiner Form näher gekommen - was im Übrigen auch für sämtliche Biographien gilt. Das ist nicht Benn, sondern auch nur wieder ein (zusammengestelltes) Benn-Bild. Was diesen schläfrig blickenden Herrn zu einem der größten Lyriker des 20. Jahrhunderts gemacht hat und warum er sich zumindest zeitweise auf die falsche Seite des Nationalsozialismus geschlagen hat - diese Fragen wird man auch mit diesem Band nicht lösen können. Aber möglicherweise ist das auch völlig überflüssig, solange man die Texte hat.


Titelbild

Holger Hof (Hg.): Benn. Sein Leben in Bildern und Texten.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007.
256 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-13: 9783608953459

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