Dass ich als Frau es wage

Die "King Kong Theorie" von Virginie Despentes als feministisches Manifest

Von Annika NickenigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Annika Nickenig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleich zu Beginn von "King Kong Theorie" stellt Virginie Despentes heraus, für wen sie diesen Text verfasst hat: für die hässlichen Frauen, die unzufriedenen, die schlechtgefickten, die selbstzweifelnden, die niemals perfekten - um dann zu postulieren, dass alles andere ohnehin ein Trugbild ist, dass es die perfekte Frau nicht gibt und nicht geben kann. Damit ist nicht nur festgelegt, für wen, sondern auch was Despentes in ihrem Essay zu beschreiben ansetzt. Es geht ihr um die Kehrseite kultureller Bilder von Geschlecht und Sexualität, um das Aufdecken einer Realität, schonungslos und nicht beschönigend. Die französische Skandal-Autorin und Regisseurin von "Baise-moi" widmet sich in ihrem neuesten Text auf provokative Weise den Themen Vergewaltigung, Pornografie und Prostitution und untersucht dabei gängige Meinungen und Argumentationen auf ihre ideologischen Implikationen.

Das Idealbild ist für Despentes folglich nicht die perfekt inszenierte Weiblichkeit, sondern ein ganz anderes Geschöpf, das sie für besonders subversiv hält: der titelgebende King Kong, dem Wesen jenseits geschlechtlicher Zuschreibungen und ideologischer Domestizierung. King Kong lebt, bevor er gefangen und in die Zivilisation verschleppt wird, in einem paradiesischen Zustand außerhalb der heterosexuellen Normativität, in einer Art multipler Hybridität: "King Kong ist jenseits von Männlein und Weiblein. Das Biest befindet sich an der Nahtstelle zwischen Mensch und Tier, Erwachsenem und Kind, Gut und Böse, Primitiv und Zivilisiert, Schwarz und Weiß." Despentes' Statement, sie könne sich eher mit King Kong als mit Kate Moss identifizieren, muss in diesem Sinne verstanden werden, über das subversive Potential dieser Hybridität. Sowohl in ihren literarischen Werken als auch in ihrem theoretischen Text manifestiert sich das Ideal der Überschreitung von Klassen- und Geschlechtsgrenzen auf wiederholte Weise: in ihrem Roman "Les Jolies choses" (deutsch "Pauline und Claudine") beschreibt die Autorin die strategische Aneignung einer geschlechtlichen Identität der Hauptfigur Pauline und ihr gezieltes Erlernen weiblicher Attribute und Verhaltensweisen als "plötzliche[n] Übertritt in eine ganz andere gesellschaftliche Klasse". In "King Kong Theorie" erklärt sie, dass Porno-Schauspielerinnen vor allem deshalb Unbehagen auslösen, weil sie in den Filmen so etwas wie eine 'maskuline' Form der Sexualität verkörpern: "Darstellerinnen in Pornofilmen haben eine männliche Herangehensweise an ihre Sexualität." Und in "Baise-moi", Despentes bekanntestem Roman, ist es die Waffe in der Hand von Frauen, als Übernahme der phallischen Gewalt, die Skandale auslöste. Hier ziehen die Protagonistinnen Manu und Nadine, beide Opfer von sexueller Gewalt, auf einen Rachefeldzug mit Road-Movie-Charakter: sie klauen ein Auto und Waffen, fahren quer durch Frankreich, unternehmen gewaltsame Raubüberfälle, haben Sex in billigen Hotels und dunklen Hauseingängen, töten Menschen, um an Geld zu kommen, aber auch ohne Grund, trinken literweise Bier und Whisky und amüsieren sich. Allesamt Verhaltensweisen, die üblicherweise - so Despentes - Männern vorbehalten sind. Dabei spricht "Baise-moi" eine sehr viel härtere Sprache als "King Kong Theorie". Und doch ist dieser neue Text als retrospektiver Kommentar auf Despentes' bisheriges literarisches Werk lesbar. Nicht die literarischen Texte veranschaulichen in diesem Fall die Theorien, vielmehr bietet das Buch eine nachträgliche Erklärung oder Untermauerung für das, was praktisch und entschlossen uns in den Texten schon vor Augen tritt.

In "King Kong Theorie" ist neben der Diskussion um die unangemessene Rolle der Frau und das Übertreten von 'Grenzen' bereits der Textstatus hybrid: das Buch ist zugleich Manifest und Ratgeber, ist autobiografische Konfession wie auch Kunst-Essay, es zitiert feministische Philosophie und Theorie sowie Ikonen der weiblichen Popgeschichte. Die Ansätze so unterschiedlicher Aktivistinnen und Künstlerinnen wie Angela Davis, Courtney Love und Virginia Woolf werden in Despentes' Text miteinander in Dialog gesetzt. Trotz dieser Elemente von Subversion und Selbstbestimmung sind es jedoch vor allem die traumatischen Aspekte, die zur Sprache gebracht werden, allen voran die Erfahrung von gewaltsamer Sexualität. Dabei fordert Despentes etwa für Betroffene von Vergewaltigungen das Recht, das Erfahrene als das benennen zu dürfen, was es ist, und wendet sich gegen Argumentationen, Restriktionen und Ratschläge, die jungen Mädchen eine Mitschuld an dem Geschehen geben, weil sie sich nicht vorsichtig genug verhalten haben oder weil sie danach weiter leben wie bisher.

In diesen Argumentationen, und dies gilt auch für die Themenbereiche Prostitution und Pornografie, finden sich immer wieder Provokationen, Widersprüche, ambivalente und streitbare Statements, die jedoch gängige Diskurse und Ideologien auszuhebeln versuchen. Diese nämlich werden in den wenigsten Fällen von dem Wunsch nach besseren Lebensbedingungen für Sexarbeiterinnen getragen, sondern dienen häufig vielmehr dazu, die bestehenden hierarchischen Verhältnisse weiter zu stützen. Despentes' Darstellung von Prostitution und Pornografie als Möglichkeiten der Selbstbestimmung, in denen die bürgerliche Sexualmoral unterwandert wird, sind deshalb nicht als Verherrlichung zu verstehen, sondern als realistische Berücksichtigung der Tatsache, dass die Hierarchie grundsätzlich Bestandteil der heterosexuellen Beziehung ist. Die sexuell manifestierte Gewalt des Mannes über die Frau ist, Despentes' Ansicht nach, "in Wahrheit das Herzstück, der Sockel unserer Sexualität. Als zentrales Opferritual ist sie bis weit in die Antike zurück in den Künsten allgegenwärtig und wird in Texten, Statuen und Gemälden wieder aufgegriffen - als eine Konstante, die sich über mehrere Jahrhunderte hinweg gut durchgesetzt hat. In den Gärten von Paris genauso wie in den Museen: überall ständig wiederkehrende Abbildungen von Männern, die Frauen zum Geschlechtsakt zwingen."

Die Rückbindung der sexuellen Gewalt an eine kunstgeschichtliche Tradition macht zudem deutlich, welch bedeutende Rolle der Repräsentation oder (ästhetischen) Darstellung von Sexualität und Geschlechterrollen für die Konstruktion und Perpetuierung von Hierarchien zukommt. Zentrales Anliegen der Autorin, sowohl in den literarischen Werken wie in ihren theoretischen Aufsätzen, ist es daher, gegen die Formen und Diskurse von Gewalt vorzugehen, die den Betroffenen die eigene Sprache raubt. Die aggressive (und damit 'männliche') Reaktionsweise, wie sie in "Baise-moi" vorgeführt wird, ist für Despentes ein ebenso zentrales Anrecht wie das der Darstellung überhaupt - denn Frauen scheint noch immer, so konstatiert sie, das Recht auf die Repräsentation weiblicher Sexualität verwehrt.

So zumindest deutet sie die erlebten Anfeindungen, die ihr und ihren Kolleginnen nach Fertigstellung von Buch und Film entgegen geschlagen sind, in Form von Kritikern, die daran Anstoß nehmen, "dass ich als Frau es wage, in meinem Buch Frauen in der Form auftreten zu lassen." Genau deshalb widmet sie ihr Manifest der Regisseurin und den Schauspielerinnen von "Baise-moi", Karen Bach, Raffaëla Anderson und Coralie Trinh Thi. Auf einer persönlichen Ebene ist dieses Recht auf Darstellung zugleich ein Zwang zur Verarbeitung: die erfahrene Vergewaltigung ist für Despentes niemals abgeschlossen, sondern steht im Zentrum ihrer Poetologie, ist Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Produktivität: "Für mich weist die Vergewaltigung vor allem diese eine Besonderheit auf: Sie macht besessen. Ich werde immer wieder an sie erinnert. Das geht nun schon zwanzig Jahre so, und immer wenn ich glaube, jetzt kann ich endlich damit abschließen, komme ich wieder darauf zu sprechen. Weil mir noch etwas anderes einfällt, was dazu zu sagen wäre, auch wenn es einen Widerspruch bildet. Romane, Kurzgeschichten, Lieder, Filme. Immer wieder bin ich fest davon überzeugt, dass ich damit abschließen kann. Dass ich es abhaken kann, dass über dieses Ereignis bereits alles gesagt worden und dem nichts mehr hinzuzufügen ist. Doch es haut nicht hin. Mit der Vergewaltigung nimmt alles seinen Anfang."


Titelbild

Virginie Despentes: King Kong Theorie.
Übersetzt aus dem Französischen von Kerstin Krolak.
Berlin Verlag, Berlin 2007.
168 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783827007551

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