Alte Gewissheiten schwinden dahin

Horst Althaus über Denkgebäude von Thomas Hobbes bis Carl Schmitt

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Horst Althaus, bekannt geworden als Verfasser hochgelobter Bücher über die vorsokratische Philosophie, über Georg Friedrich Wilhelm Hegel und Friedrich Nietzsche und andere Themen, stellt in diesem Band eine Vielzahl philosophischer, oft sehr widersprüchlicher Konzepte und Positionen vor, wie sie im Laufe der letzten Jahrhunderte seit den europäischen Religionskriegen des 17. Jahrhunderts bis in das 20. Jahrhundert hinein von unterschiedlichen Denkern entwickelt wurden.

Jedes Kapitel enthüllt eigene, mitunter auch merkwürdige Gedanken- und Weltgebäude von eigenem Gewicht, die nicht selten die Konflikte ihrer Zeit bestimmt, beeinflusst oder auch nur interpretiert haben - die aber in ihrer Gesamtheit schwerlich auf einen Nenner zu bringen sind.

Den Anfang macht ein Aufsatz über Thomas Hobbes und seinen "Leviathan", der für Hegel nur ein "sehr verrufenes Werk" war und in dem dargelegt wird, wie notwendig der Staat sei, um dem Chaos vorstaatlicher Verhältnisse ein Ende zu bereiten. Einige nennen Hobbes zwar den "Vater des Totalitarismus", Althaus jedoch sieht in ihm den "Kronanwalt der absoluten Monarchie", deren juristische Begründung im Alten Testament ihre Wurzel hat.

Blaise Pascal - Voltaire hielt ihn für geisteskrank - wiederum setzte gegen das kommende Zeitalter der Vernunft "eine vor allem auf das 'Herz' gegründete Innenwelt". Baruch Spinoza, Nachfahre spanisch-portugiesischer Sephardim aus Amsterdam, - ihm haftete der Ruf der Gottlosigkeit an - hat mit seinem Denken Gotthold Ephraim Lessing, Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottlieb Fichte, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling beeindruckt und beeinflusst und Friedrich Nietzsche herausgefordert. Er wünschte sich einen Staat, der der Religion keine weltliche Herrschaft einräumt, dem Glauben die Freiheit gewährt, die er braucht, und diejenigen an der Herrschaft hindert, die sich ihren Missbrauch anmaßen.

Wie Hobbes wurde auch Spinoza häufig ohne Kenntnis seiner Werke kritisiert. Ärgernis bereitete seine Verlegung der personalen Gottheit in eine unendliche und unteilbare Substanz, wodurch alle anthropomorphen Vergegenwärtigungen von Gott ausgeschlossen waren. Goethes "Prometheus" sowie seine Auffassung, dass die Natur "nach ewigen, notwendigen, dergestalt göttlichen Gesetzen" wirkt, "dass die Gottheit selbst daran nichts ändern könnte" deuten laut Althaus auf Einflüsse von Spinoza hin. Auch die Antwort von Faust auf die ihm gestellte berühmte Gretchenfrage nach seiner Religion: "Ich habe keinen Namen dafür [...] Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelglut" klingt nach Spinoza.

Den Philosophen Voltaire und den König von Preußen stellt Althaus als "das wohl seltsamste Liebespaar des 18. Jahrhunderts" vor - wobei er sich auf eine Aussage von Rudolf Augstein beruft - und setzt sich ausführlich mit Voltaires Antiklerikalismus auseinander.

"Kant-Lessing-Mendelssohn" stehen im Mittelpunkt eines weiteren Kapitels, und Herder im darauf folgenden. Für diesen war der Mensch, fünfundsiebzig Jahre vor Charles Darwin, ein "Mittelgeschöpf unter den Tieren der Erde". Seine "Geschichte der Menschheit" bewertet Althaus sowohl als große Gipfelbesteigung durch den Geist als auch als Schlachtfeld der von "Religionen" und "Offenbarungen" angezettelten Kriege. Doch optimistisch habe Herder in der Ferne "eine Zeit kommen" sehen, da man in Europa nicht mehr fragen werde, "wer Jude oder Christ sei". Althaus bemerkt dazu lakonisch, allerdings hätten die zweihundert Jahre, die seit Herder vergangen sind, hierfür noch nicht ausgereicht. Nach Fichtes Entdeckung der "moralischen Freiheit des Ich" gab es nur eine unumstößliche Sicherheit des Wissens, die im "Ich gleich Ich" liegt. Damit entfiel, konstatiert Althaus, die letzte Gewissheit von der "Existenz Gottes". Kein Wunder, dass Johann Gottlieb Fichte beschuldigt wurde, ein Atheist zu sein. Der Fichte der Revolutionsepoche in den 1990er Jahren sei, so der Autor, "der unzweifelhaft stärkste Verfechter der Menschenrechte und des deutsch-idealistischen Denkens" gewesen. Fichte als Demokrat, als Verfasser der Wissenschaftslehre, als kritischer Transzendentalist, als Dialektiker vom Ich und Nicht-Ich sei der eigentliche Fichte gewesen, nicht aber jener, der die "Reden an die deutsche Nation" geschrieben habe. Freilich hätten "Menschenrechte" und die Radikalität der Offenbarungskritik im damaligen Preußen nicht gerade auf der Tagesordnung gestanden und hätten keineswegs in den Rahmen einer restaurativen Politik gepasst. "Ein Staat, der die Krücke der Religion borgt, zeigt", so heißt es bei Fichte, "uns nichts weiter als dass er lahm ist."

Hegel hat in seinem System, in der die Religion an erster Stelle steht, als letzter alle Disziplinen noch einmal zusammengefasst. Aber schon zu Hegels Lebzeiten habe es große Einbrüche in seiner Geltung erlebt, stellt der Verfasser fest. Gleichwohl habe der Philosoph noch posthum einen gewaltigen Einfluss ausgeübt, wobei er seine Berühmtheit sowohl seinen Anhängern als auch seinen Gegner verdankte, fügt Althaus hinzu.

Mit und nach Hegel kam es zu Umbrüchen zum dialektischen Materialismus, zur Entdeckung der Klassenkämpfe, zur Religionskritik und Auseinandersetzung mit dem Monotheismus auf einer breiten, die Systeme sprengenden Linie. Arthur Schopenhauers "Pantheismus ohne Gott" gab mit seiner Lehre von der Willensverneinung als Schlüssel der "Erlösung" das monotheistische Prinzip auf, an das sich weder die englische und französische Aufklärung noch Voltaire herangewagt hatten.

Wie David Friedrich Strauß fragt sich auch heute mancher hin und wieder: "Sind wir noch Christen?" Ist das noch möglich im Zeitalter Darwins, des aufkommenden Sozialismus, der Eisenbahn, des Versicherungswesens, der Feuerbestattung? Das überlegte auch Strauß. Seine Antwort lautete: "Im Sinne des alten Glaubens irgendeiner Konfession nicht mehr."

Für Althaus ist Sören Kierkegaard durchaus kein Abtrünniger der christlichen Kirche. Er habe, meint er, ihr lediglich in ihrer Erstarrung die Zugehörigkeit verweigert, da er in der Verfälschung das Original nicht mehr habe wiederentdecken können. Joseph Arthur Gobineau, Richard Wagner, Ernest Renan, Benjamin Disraeli und Houston Stewart Chamberlain gehören dagegen mit ihren Ansichten und Rassentheorien schon in die Vorgeschichte des Genozids.

Nietzsche, Ankündiger des "kommenden Zeitalters großer Kriege", der dem Christentum, nicht dem Judentum den Krieg erklärte, sah im Menschen Gottes Mörder: "Wir alle", so bestimmte er, "haben ihn getötet." Allerdings war für Nietzsche der Nihilismus nicht das Ende der Geschichte. Nach seiner Überwindung, so glaubte er, kommt eine neue Erde und ein neuer Mensch.

Die Kultur des Wiener Fin de Siècle verkörpern für Althaus Sigmund Freud, Theodor Herzl und Otto Weininger. Weiter geht es unter der Überschrift "Religion-Ökonomie-Zins" mit Max Weber, Ernst Troeltsch und Nicolaus Sombart, dann mit Hermann Cohen und unter dem Titel "Wertverfall und Resignation" mit Schelers Werteethik. Viele Überschriften sprechen für sich, und dem Leser dämmert alsbald: "die alten Gewissheiten sind dahin [...], selbst der Fels, auf dem Jesus seine Kirche bauen wollte".

Horst Althaus verfolgt ferner Martin Bubers Weg von der Mystik zum Dialog, setzt sich mit Oswald Spenglers umstrittenem Werk "Der Untergang des Abendlandes" auseinander sowie mit Karl Jaspers, der auf die Frage "Was bleibt" mit dem Credo des philosophischen Glaubens geantwortet hat, eines Glaubens im Sinne von Humanität, Liberalität, Kommunikation und dem Willen, sich den Kräften der Zerstörung entgegenzustellen.

Nach Martin Heideggers Verdikt "Nur ein Gott kann uns noch retten", Arnold Toynbees "Aufstieg und Fall der Zivilisationen", nach Ernst Bloch, dem Mann der Utopie im Sinne der Heilserwartung, nach Max Horkheimer und Theodor W. Adorno sowie Hannah Arendts "Banalität des Bösen" bildet ein Aufsatz über den umstrittenen Carl Schmitt den Schluss des Buches, dessen Werk und Gedankenwelt sich mit der obligaten Verurteilung noch keineswegs erledigt habe, so Althaus. Er empfiehlt, nicht sehr hoffnungsfroh, Schmitts Philosophie für den Ernstfall, die dann ansteht, wenn die Stränge der internationalen Friedenssicherung reißen, wenn ihre theoretischen und praktischen Mittel versagen, womit immer gerechnet werden müsse.

Der Band, in den der Autor zweifellos viel Fleiß und Gedankenarbeit investiert hat, dürfte, nicht zuletzt auch dank seiner zahlreichen Anmerkungen und seines ausführlichen Namenregisters, vor allem philosophisch aufgeschlossene Leser ansprechen.

Allerdings gibt es auch diesmal wieder Mängel zu beklagen. Von orthographischen Fehlern abgesehen, erweist sich das Register am Ende des Buches als nicht ganz zuverlässig. So wird zum Beispiel unter "Alfred Adler" auf die Seite 284 verwiesen, obwohl diese Seite nicht beziffert ist und sich an dieser Stelle nur ein leeres Blatt zwischen zwei Kapiteln befindet. Fehler, die vorkommen.


Kein Bild

Horst Althaus: "Heiden", "Juden", "Christen". Positionen und Kontroversen von Hobbes bis Carl Schmitt.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2007.
556 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-13: 9783826021695

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch