Die Schöne und das "Kremlmonster"

Elena Tregubova erzählt von ihrem lebensgefährlichen Job als kritische Kreml-Korrespondentin

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ihr Tod hat dem Ruf Russlands mehr geschadet, als das, was sie geschrieben hat." Wir erinnern uns noch gut. So zynisch hatte Wladimir Putin im Oktober 2006 das tödliche Attentat auf die unbequeme Journalistin Anna Politkovskaja kommentiert. Ähnliche Worte hätte der russische Staatspräsident wohl auch schon für Elena Tregubova gefunden, hätte sie die handgranatenstarke Bombe an ihrer Haustür vor drei Jahren denn in Stücke gerissen. Lediglich ihre notorische Unpünktlichkeit und Eitelkeit retteten der Putin-Kritikerin das Leben. So schildert es die inzwischen nach London emigrierte Journalistin in ihrem Enthüllungsbuch "Die Mutanten des Kreml", das Putins freiheitsfeindliche Medien- und Machtpolitik grell beleuchtet.

Natürlich wissen wir, dass regierungskritische Journalisten in Russland jeden Tag um ihr Leben bangen müssen. Dass die Presse- und Meinungsfreiheit seit Putins autokratischer "Regentschaft" systematisch ausgehöhlt wird, liberale Journalisten und Medienmanager bedroht, bestochen oder notfalls auch beseitigt werden, ist leider nur allzu bekant. Doch so lebensnah wie die heute 35-Jährige Elena Tregubova hat noch kein anderer Journalist über den realexistierenden Maulkorb für russische Medienschaffende geschrieben.

Das mag wohl auch daran liegen, dass sie Wladimir Wladimirowitsch ein Jahr vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten, im Dezember 1998, bei einem Sushi-Essen persönlich kennen lernen "durfte", sich während dieses Mittagmahls aber seinen Schmeicheleien verweigerte und professionelle Distanz wahrte. Ob Putin ihr diese emotionale Abfuhr verübelte und dies der "indirekte Grund" für ihre "Vertreibung aus dem ,Kremlpool'" war, wie die Autorin schreibt, lässt sich nur vermuten. In erster Linie dürften es dann doch ihre kremlkritischen Interviews und Artikel für die Zeitung "Kommersant" gewesen sein. Über den konkreten Inhalt ihrer Texte erfahren wir in der vorliegenden Abrechnung mit Putin allerdings nur wenig.

Dafür erfahren wir umso mehr über die fortlaufenden Demütigungen und Einschüchterungsversuche, denen sie als kritische Berichterstatterin seit dem Wechsel von Jelzin zu Putin ausgesetzt war. Aus der Tatsache, von der Pressestelle des Kreml kaum oder nicht mehr akkreditiert zu werden, machte sie eine journalistische Tugend und schrieb über die ebenso plumpen wie perfiden Versuche des Kremls, sich der schreibenden und sendenden Plagegeister zu entledigen. Oder aber sie nahm die medial manipulierten Auftritte Putins als aufopferungsvollen und gewissenhaften Landesvater ins Visier. Das war für den ersten Mann im Staate mitunter gefährlicher, als ausschließlich über seine skrupellose Tschetschenien-Politik, die unsichtbare Macht der Geheimdienste oder die gewaltsame Enteignung der Oligarchen zu berichten. Hierin liegt denn auch der eigentliche Informationswert ihrer "ganz persönlichen 382 Seiten dicken Zeitung".

Seit der Veröffentlichung ihres Bestsellers wissen wir Genaueres über das Innenleben und die Mechanismen des russischen Machtapparats. Allerdings auch mehr über das Leben einer russischen Journalistin, die nach eigenen Aussagen unter der "Folter" der Zensur gelitten und mit "Herzblut" für die Freiheit der Presse gekämpft hat. Was ihr flammendes Plädoyer für die Meinungsfreiheit und gegen Putin indes trübt, ist ihr allzu unkritisches Urteil über Boris Jelzins labilen Charakter und dessen korrupte Privatierungspolitik. Im Kontrast zu Putins autokratischer Herrschaft mögen die liberalen Jelzin-Jahre wie ein Leuchtfeuer der Demokratie erschienen sein. Doch auch solche politischen Hoffnungsschimmer sollten eine unabhängige Journalistin nicht blenden.

Geblendet ist die attraktive Autorin bisweilen auch von der Wirkung und Bedeutung ihrer publizistischen Arbeit. Es steht außer Zweifel, dass ihr Enthüllungsbuch international für großen Wirbel gesorgt und ein wichtiges Zeichen für die Pressefreiheit gesetzt hat. Die selbstherrliche Art, mit der sie im zweiten Teil ihrer "Kreml-Geschichten" die Suche nach einem mutigen Verleger und die überschwänglichen Reaktionen des Publikums auf ihr Buch beschreibt, lassen ihre hehren Absichten leider nicht ganz so uneigennützig erscheinen. Selbstlob muss nicht zwangsläufig zu den Überlebens- und Kompensationsstrategien einer Ausgeschlossenen unter lauter Angepassten gehören. Anna Politkovskaja konnte auf solch eitle Eskapaden gut verzichten und war deshalb besonders glaubwürdig.

Trotzdem haben die privaten wie polemischen Enthüllungen von Elena Tregubova nichts an Aktualität und Relevanz verloren. Sie sollten westliche Politiker daran erinnern, Putin im Rahmen ihrer diplomatischen und wirtschaftlichen Potenzen zu mehr Demokratie und Freiheit zu zwingen. Denn Zensur, Verfolgung und Gewalt verletzen nicht nur elementare Bürgerrechte, sondern auch die Psyche. Vom ehemals bitterironischen und angriffslustigen Witz der Elena Tregubova ist heute nichts mehr zu spüren. Ihre im Sommer dieses Jahres gegebenen Interviews aus dem Londoner Exil zeugen zwar immer noch von Kampfeswillen, doch noch vielmehr von der unauslöschlichen Angst, permanent verfolgt und doch noch getötet zu werden. Solange Putin an seiner repressiven Politik festhält, wird diese Furcht wohl immer eine begründete bleiben.


Titelbild

Elena Tregubova: Die Mutanten des Kreml. Mein Leben in Putins Reich.
Übersetzt aus dem Russischen von Olga Radetzkaja und Franziska Zwerg.
Tropen Verlag, Köln 2007.
380 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783932170911

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