Rassismus und Geschichte

Wulf D. Hund und die Grenzen der sozialwissenschaftlichen Rassismusforschung

Von Felix WiedemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Wiedemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jeder Versuch, sich dem Phänomen des Rassismus analytisch zu nähern, sieht sich zunächst mit begrifflichen Problemen konfrontiert. Zum einen ist 'Rassismus' ein ausschließlich negativ konnotiertes Schlagwort des politischen Diskurses und als solches relativ unbestimmt. Das Hauptproblem aber besteht wohl darin, dass sich 'Rassismus' auf den Begriff der 'Rasse' bezieht: Die Vorstellung, die Menschheit ließe sich in wie auch immer definierte, scheinbar natürliche 'Rassen' einteilen, ist aber längst als bloße Erfindung entlarvt worden. Mithin gibt es zwar keine Rassen, aber zweifellos Rassismus.

Aus der Erkenntnis, dass der Rassenbegriff eine kulturelle Konstruktion darstellt und an bestimmte historische und soziale Kontexte gebunden ist, sind in der Forschung unterschiedliche Konsequenzen für die Definition des Rassismus gezogen worden: Unterscheiden lässt sich dabei eine engere, vornehmlich in der historischen Rassismusforschung verwendete Bestimmung, die den Begriff explizit an das erst in der europäischen Moderne entstandene Rassenkonzept und somit an bestimmte historisch-politische (Kolonialrassismus, Apartheid, Nationalsozialismus) und ideologische (Pseudowissenschaften wie Rassenanthropologie und Rassenhygiene, rechtsextreme Bewegungen) Kontexte koppelt. Das Problem dabei ist freilich, dass sowohl vormoderne und außereuropäische Legitimationsstrategien vermeintlich natürlicher Ungleichheit als auch neuere Ideologien, die den Rassenbegriff umgehen und in denen stattdessen etwa von der Unvereinbarkeit von 'Kulturen' oder 'Ethnien' die Rede ist, aus dieser engeren Definition herausfallen.

Eine weitere Definition löst demgegenüber den Begriff des Rassismus vom Rassenbegriff und versucht ihn, in einem allgemeinen Sinn als Legitimationsideologie sozialer Ungleichheiten zu fassen. Wulf D. Hund gehört zu den wichtigsten Vertretern dieses zweiten Ansatzes. In seinem jüngst erschienenen Einführungsband zum Thema (der allerdings im Grunde lediglich eine komprimierte Fassung seines 2006 erschienenen Buches "Negative Vergesellschaftung. Dimensionen der Rassismusanalyse" [siehe literaturkritik.de 5/2007] darstellt) beabsichtigt er entsprechend, den Begriff des Rassismus als grundlegende sozialwissenschaftliche Kategorie zu bestimmen.

Ein einleitendes Kapitel über die "Grundlagen" des Rassismus behandelt Mechanismen und soziale Funktionen der Konstruktion vermeintlich natürlicher Ungleichheiten sowie das Verhältnis des Rassismus zu anderen Formen sozialer Ausgrenzung. Zu Recht betont Hund hier die Notwendigkeit, nicht bei der Feststellung des Konstruktionscharakters von Rassen stehen zu bleiben, sondern Rassismus als umfassendes soziales Verhältnis zu begreifen. So beschreibt er die Naturalisierung gesellschaftlicher Ungleichheit als Grundmechanismus des Rassismus und hebt dessen Funktion zur Herrschaftslegitimation hervor. Das zweite Kapitel untersucht Differenzierungsraster, die sich neben dem klassischen Rassenbegriff als weitere Formen rassistischer Ausgrenzung beschreiben ließen, wie etwa die Unterscheidung zwischen Reinen und Unreinen, Auserwählten und Teufeln in religiösen oder die Differenz von Zivilisierten und Wilden in säkularen Diskursen. Im letzten Teil geht es schließlich um unterschiedliche Formen rassistischer Konstruktionen und Praktiken. Dabei unterscheidet er verschiedene Strategien zur Ausgrenzung und Entmenschlichung bestimmter sozialer Gruppen wie Desozialisation, Entfremdung, Differenzierung, Inferiorisierung und Stigmatisierung. Nicht immer ist allerdings nachvollziehbar, was unter den einzelnen Begriffen genau zu verstehen ist.

Vor allem aber von den vornehmlich auf die europäische Kolonialgeschichte bezogenen historischen Beispielen her (die ausschließlich anhand von Sekundärliteratur und nicht durch Quellen belegt werden) hinterlässt das Buch einen eher vagen Eindruck. So gelingt es Hund zwar durchaus überzeugend, Analogien zwischen europäischen Rassenkonstruktionen und dem traditionellen indischen Kastensystem oder der antiken Sklaverei zu erstellen, inwieweit sich diese verschiedenen Ausgrenzungssysteme aber adäquat unter den Begriff des Rassismus subsumieren lassen, bleibt fraglich. Auch andere Konsequenzen seines sehr weiten Rassismusbegriffs sind eher verwirrend: So schlägt er für den 'klassischen' Rassismus den tautologischen Begriff "Rassenrassismus" vor und macht daneben andere Formen wie "Nationalrassismus", "Klassenrassismus" und "Geschlechterrassismus" geltend.

Den Nachweis des begrifflichen Vorteils dieses Vokabulars bleibt er hingegen schuldig. Dass sich der Rassismus in der Moderne vielfach mit dem Nationalismus verbunden hat, stark sexuell konnotiert ist und sich Überschneidungen zwischen Rassen- und Geschlechterkonstruktionen nachweisen lassen, ist hinlänglich bekannt. Warum man aber etwa die in den Traktaten der Kirchenväter verbriefte Misogynie als "rassistische Verachtung der Frauen" bezeichnen sollte, ist nicht unbedingt ersichtlich. Hund behauptet schließlich, dieser europäische "Geschlechterrassismus" sei in der Hexenverfolgung kulminiert und schreckt dabei auch nicht vor begrifflichen Ausrutschern des vulgärfeministischen Hexendiskurses der 1980er-Jahre wie "Gynozid" zurück. Mit dieser Darstellung der Hexenprozesse als von oben initiierte Frauenvernichtung stellt er aber lediglich seine Unkenntnis der jüngeren historischen Hexenforschung unter Beweis.

Letztlich bestätigt das Buch somit den häufig gegen sehr weit gefasste sozialwissenschaftliche Bestimmungen des Rassismus vorgebrachten Verdacht, Verallgemeinerungen und fragwürdige Gleichsetzungen zu provozieren sowie durch den inflationären Gebrauch des Begriffs letztlich zu dessen Entwertung beizutragen. Dies muss allerdings nicht unbedingt heißen, zum engeren, rein historisch verstandenen Begriff des Rassismus zurückzukehren.


Titelbild

Wulf D. Hund: Rassismus.
Transcript Verlag, Bielefeld 2007.
166 Seiten, 15,80 EUR.
ISBN-13: 9783899423105

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