Anti-Männer-Typen

Ildikó Vékony zur ästhetischen Inszenierung von Männlichkeit in der bundesdeutschen Prosaliteratur um 1980

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Literarische Männlichkeitsentwürfe" - mit dem Titel ihres Buches möchte Ildikó Vékony auf die "strukturlogische Vermittlungslinie zwischen allgemeinsoziologischen, psychologischen, subjekttheoretischen und ästhetischen Perspektiven der Konstruktion von 'Männlichkeit'" verweisen, denen sie anhand dreier von Männern verfasster Romane aus der - wie es im Untertitel heißt - "bundesdeutschen Prosaliteratur um 1980" nachgeht. Anhand von Martin Walsers "Seelenarbeit" (1979), Wolfgang Hildesheimers "Marbot" (1981) und Botho Strauß' "Der junge Mann" (1984) will die Autorin "verschiedene Varianten ästhetischer Männlichkeitsinszenierungen" aufzeigen. Wobei der - wie auch die folgenden Zitate deutlich machen dürften - spröde Nominalstil ihrer substantivistischen Wissenschaftsprosa die Lektüre nicht eben erleichtert.

Etliche sprachliche Unebenheiten erschweren zudem das Verständnis des Buches. Und manchmal ist man sich nicht ganz sicher, ob die Autorin wirklich sagen will, was da zu lesen ist. So erklärt Vékony etwa gleich auf der ersten Seite, das "geschlechtstheoretische Denken" habe "die feministische Bewegung der 60er und 70er Jahre an ihre Grenzen geführt und somit den Weg zu einer Radikalisierung des Zweigeschlechtermodells und zur Herausbildung der verschiedenen Orientierungen innerhalb der Gender Studies vorbereitet". Treffender wäre hingegen wohl, von einer Relativierung des Zweigeschlechtermodells zu sprechen, die darauf zielt(e), es zu überwinden.

Vékony unterzieht die drei Romane einer "grundsätzlich hermeneutisch[en]" und "gender-orientierte[n] Erzähltextanalyse", in deren Mittelpunkt "der veränderte Umgang mit männlichen Selbstdefinitionsprozessen" steht. Walsers "realistische Ausdruckspraxis" zielt Vékony zufolge sowohl auf die Beschreibung der "seelischen und psychischen Verkrüppelung" des Protagonisten als auch auf die "Bloßstellung jener gesellschaftlichen Strukturen und Machtmechanismen, welche für dessen psychische Deformation verantwortlich gemacht werden können". Vékony macht in Walsers Werk ein "vielschichtige[s] Beziehungsgeflecht der Geschlechter" aus, dem sie dafür Lob zollt, dass es "die herkömmliche Vorstellung, in der Männer als Täter [...] und Frauen als Opfer des patriarchalischen Systems verallgemeinert werden, ins Wanken bringt". Wolfgang Hildesheimers fiktive Biographie "Marbot" literarisiere hingegen die "Aporien der im 18. Jahrhundert sich herausbildenden 'idealistischen' Männlichkeitskonzeptionen", während die "postmoderne Ästhetik" von Botho Strauß' Roman "Der junge Mann" die poststrukturalistischen Denkansätze sowohl inhaltlich als auch strukturell fruchtbar mache, indem Strauß auf "spielerisch-experimentelle Weise" eine "für den Mann lebensbedrohliche Welt" entwerfe, "in der die herkömmliche Ordnung der Geschlechterverhältnisse und der darin verankerten Selbstdefinitionsprozesse der Männlichkeit in weiten Teilen des Textes verabschiedet werden".

Wie die Autorin darlegt, hat sie die zur Analyse ausgewählten Werken nicht willkürlich zusammengestellt. Vielmehr komme ihnen ein "exemplarische[r] Charakter" und zugleich ein "repräsentative[r] Wert" zu. Denn sie reflektierten die Geschichte und "das Lebensgefühl einer ganzen Männer-Generation", die nicht zuletzt aufgrund der Frauenbewegung der 1970er-Jahre "mit neuen Vorstellungen von Männlichkeitsmustern und den damit verbundenen Rollen konfrontiert" gewesen sei.

Zwar erreiche die Darstellung der "Anti-Männer-Typen" in den drei Romanen "noch keineswegs die (heute erwünschte) Produktivität der Abweichungen und die dadurch hervorgerufene Multiplizität von Männlichkeiten", sondern drücke "die Bedrohung der Männlichkeit" aus, die weiterhin auf ein "scheinbar festgeschriebenes Muster" fixiert bleibe. Doch werde die "patriarchalisch strukturierte Gesellschaftsordnung" in den Romanen nicht unreflektiert hingenommen, sondern diene als "Experimentierfeld für unterschiedliche Männlichkeitsentwürfe". Gemeinsam sei den Romanen zudem, dass die "Verabschiedung traditioneller Männlichkeitsmuster und Rollenzuweisungen" sowie "die dadurch hervorgerufene Identitätskrise" jeweils "strukturbildend" seien. Diese von der Autorin konstatierten grundsätzlichen Gemeinsamkeiten der von ihr untersuchten Werke haben sie allerdings nicht etwa veranlasst, ihre Untersuchungsgegenstände gemeinsam oder zumindest vergleichend zu analysieren. Vielmehr unterzieht sie die Romane je "einzelnen Textanalyse[n]", die "auch separat und in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können". Mit anderen Worten: Sie stehen recht unverbunden nebeneinander.

Bevor sich die Autorin jedoch den Analysen zuwendet, legt sie Zielsetzung und methodisches Vorgehen sowie die theoretischen Hintergründe ihrer Studie dar. Zunächst verortet Vékony ihre Arbeit innerhalb der Kritischen Männerforschung bzw. der Men's Studies, in denen sie nicht eine "eigenständige Disziplin" sieht, sondern einen "wichtige[n] Querschnittsbereich innerhalb der Gender Studies". Darüber lässt sich zweifellos diskutieren. Wenn sie jedoch erklärt, "dass das Forschungsfeld der Men's Studies zur Weiterentwicklung der Gender Studies in großem Maße beigetragen hat, indem es anstelle einer einseitigen Erweiterung der Frauenforschung einen dynamischen Dialog von Frauen- und Männerperspektiven eingeleitet hat", tut sie ihnen doch zu viel der Ehre an. Und dass es bei der Entwicklung der Men's Studies ein "wichtiger Aspekt" gewesen sei, "dass der dadurch eröffnete Zugang zu den männerspezifischen Forschungen nicht als Konkurrenz oder gar Bedrohung der Frauenforschung aufgefasst werden konnte", mag zwar sein. Es bei dieser Feststellung zu belassen, blendet jedoch aus, dass Männlichkeitsforscher in den Gender Studies durchaus als Konkurrenten ihrer Kolleginnen auftreten und agieren. So insinuiert etwa der Herausgeber des Periodikums "Kritische Männerforschung" Willi Walter, in den Gender Studies seien die Männer das unterdrückte Geschlecht, und raunte davon, dass es "in einigen Diskursen" als "skandalös" gelte, "wenn ein Mann auf eine 'Gender-Professur' berufen wird". (Siehe literaturkritik.de 6/2005)

Auch spielt Vékony den seit langem durchaus kräftig ausgeprägten maskulinistischen Flügel der Männer- und Männlichkeitsforschung (man denke nur an Robert Blys Erfolgsbuch "Eisenhans" aus dem Jahre 1991) herunter. Seine Vertreter werden gerade mal in den Endnoten erwähnt, wo sie als "so genannte 'antifeministische' Forscher" verharmlost werden, die nur "eine kleinere Minderheit innerhalb der Men's Studies" bildeten und zudem "eher im populärwissenschaftlichen Kontext diskutiert" würden.

Neben den Men's Studies bildet der "narzissmustheoretische Ansatz" die "zweite theoretische Orientierung" der Untersuchung. Zudem folgt die Autorin "Butlers These, wonach Geschlecht [...] als kulturelles Konstrukt und ein im Prozess der Signifikation diskursiv erzeugter Effekt zu verstehen ist". Ihr komme für die vorliegende Arbeit eine "besonders wichtige Bedeutung" zu. Zwar konstatiert Vékony einerseits, Butler gehe es nicht darum, "'Körper' und 'Materialität' als Begriffe aufzulösen", sondern wolle vielmehr zeigen, "dass man außer Sprache keinen anderen Zugang zum Körper hat". Zugleich erklärt Vékony jedoch, Butler zufolge sei der "'denaturalisierte Körper' [...] als eine 'durch geschichtlich spezifische Organisationsform der Sprache' erzeugte Illusion zu denken". Tatsächlich spricht Butler in dem Buch (und zwar an anderer Stelle) nur von einer "Illusion der Substanz".

Doch zurück zu Vékony. Des Weiteren betont die Autorin in ihrer Auseinandersetzung mit Butler nachdrücklich, dass sie im Unterschied zur "poststrukturalistischen Dekonstruktion des Geschlechts" der "Meinung" ist, "dass die rhetorische Verfasstheit der Geschlechter zwar einen wichtigen, aber nicht den einzigen und ausschließlichen Weg der Lesbarkeit männlicher Identität eröffnet". Da hätte man schon gerne erfahren, welche dekonstruktive TheoretikerInnen denn für sich in Anspruch nehmen, den einzigen und ausschließlichen Weg irgendeiner Lesbarkeit gefunden zu haben.

In einem abschließenden Kapitel wendet sich Vékony mit Thomas Meineckes "Tomboy" (1998) einem Roman des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu, da sich dieser Text für einen "geschlechtertheoretischen Ausblick" eigne und eine Perspektive eröffne, "die für die gegenwärtige und zukünftige Geschlechterforschung wegweisend" sei. Einen zu Recht kritischeren Blick auf "Tomboy" warf vor einigen Jahren hingegen die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Christine Kanz in ihrem 2000 erschienenen Aufsatz "Postmoderne Inszenierungen von Authentizität?". Vékony scheint dies entgangen zu sein. Jedenfalls geht sie mit keiner Silbe auf Kanz' Arbeit ein. "Letztlich", erklärte Kanz seinerzeit, handele es sich bei Meineckes Roman um einen "Text über Medien bzw. über die Medialisierung von gender, der vielfach nur reproduziert, was er darstellt". Auch ist Kanz anders als Vékony nicht entgangen, dass sich in Meineckes Buch "eine grundlegende Skepsis gegenüber den Ansprüchen feministischer Theorie artikuliert". "Im Gegenzug", so fordert Kanz aus guten Gründen, "hat die feministische Theorie verstärkt darauf zu achten, daß ihre ursprünglichen Ziele nicht 'wegrecycelt' werden".


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Ildikó Vékony: Literarische Männlichkeitsentwürfe. Zur ästhetischen Inszenierung von Männlichkeit in der bundesdeutschen Prosaliteratur um 1980.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2007.
274 Seiten, 28,00 EUR.

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