Die Gefahren der Trivialität

Neue Übersetzungen koreanischer Lyrik

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch nach dem Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2005 erscheinen dank großzügiger staatlicher und privater Förderung noch zahlreiche Neuübersetzungen aus dem Koreanischen. In der Edition Peperkorn, die sich seit langem um die Literatur des fernöstlichen Landes verdient gemacht hat, liegen nun zwei neue Gedichtbände von sehr unterschiedlicher Qualität vor.

"Hundert Sonnen" ist der eine von ihnen betitelt, der Gedichte von Chon Ponggon (1928-1988) vereint. Es handelt sich dennoch nicht um eine so wohldurchdachte Auswahl wie die je hundert Gedichte von Bertolt Brecht und Peter Hacks, die einst noch von ihren Verfassern zusammengestellt wurden. Die achtzig Texte scheinen chronologisch statt thematisch angeordnet - jedenfalls erlaubt eine allzu knappe biografische Notiz diese Vermutung. Genauere Angaben fehlen leider.

Chons Anfänge in den späten 1940er-Jahren waren, wenn dies stimmt, optimistisch, wenn auch ein wenig trivial. Mit Beginn des Koreakriegs im Jahr 1950 musste er Soldat werden; vielleicht wurde er dadurch zu einem ernstzunehmenden Dichter. Seine Kriegslyrik nimmt in dem Band zu Recht großen Raum ein. Beeindruckend sind kurze, nüchterne Notate, in denen sich bruchstückhafte Fakten, aufblitzende sinnliche Eindrücke und groteske Einfälle mischen. Die Kriegslandschaft, mag sie auch von Menschen wimmeln, ist doch leer. Das Ich ist fast ohne Kommunikation, und der Krieg wird zu einer Schule sinnlicher Wahrnehmung.

Chon dichtet überzeugend, solange er auf dieser Ebene bleibt. Wenn er sich dagegen an Sinnproduktion wagt, sich auf Große wie Rainer Maria Rilke oder Johann Sebastian Bach beruft oder gar die alles überdauernde Natur beschwört, verlässt er sein Niveau zugunsten eines falschen Allgemeinen.

Es ist nicht selten, dass Gedichte gerade da klein werden, wo ihre Verfasser sie sich besonders groß wünschen. Was Chon auch in den schwächeren der Gedichte zum Krieg vor der Trivialität rettet, sind wohlkalkulierte Brüche in der Bilderwelt. In den Texten, die vermutlich in den Nachkriegsjahren entstanden, ist dieses Stilmittel noch stärker ausgeprägt. Häufig finden sich Synästhesien, zuweilen drängt sich in gleichwohl klar strukturierte Gedichte ein Moment des Grotesken.

Indessen handelt es sich nicht um eine poésie pure, und es ist fast durchgehend ein Bezug auf außerliterarische Momente zu erkennen. Das Leid der Menschen im Koreakrieg bleibt bis in die letzten Texte des Bandes präsent; die koreanische Teilung ist immer wieder konkret als Verlust der Heimat benannt, des nun unerreichbaren Dorfs, aus dem Chon schon vor dem Krieg in den Süden geflüchtet war.

Das Spannungsfeld von poetischer Freiheit und Sinnhaftigkeit scheint Chons Gesamtwerk zu prägen. Es ist, soweit der Band erkennen lässt, mit einer Geschlechterpolarität verbunden. Chon findet in seinem Zyklus über Italowestern überzeugende Gestaltungsmittel für die einsamen, todgeweihten Helden, die sich durch leere Wüsten bewegen. Die Frauen dagegen müssen das Leben repräsentieren, als Blumen, mit Brüsten, die Chon gewöhnlich genug mit Früchten vergleicht und überhaupt mit Körpern, die Kraft spenden. Das macht sie zu Objekten der dichterischen Fantasie, die dadurch gerade nicht mehr das sein können, was sie doch sein sollen: ein Anderes. Hier liegt nicht nur die Gefahr, sondern vor allem die Grenze der Sinnproduktion und zugleich die des Dichters Chon.

Doch finden sich in der Auswahl viele Gedichte, die sich einer schnellen Entschlüsselung verweigern und von hohem lautlichen und metaphorischen Reiz sind. Die Übertragung überzeugt zwar nicht, was das Rhythmische betrifft; meist wirken die Verse wie Prosa, die nach einem Zufallsprinzip in Zeilen aufgeteilt ist. Doch ist den Übersetzerinnen das Klangliche ausgezeichnet gelungen und vermitteln sie auf dieser Ebene einen Eindruck von der Schönheit der Verse Chons.

Verglichen mit ihnen kommen die Werke von Moon Chung-hee weitaus einfacher daher. Auch hier handelt es sich um eine Auswahl, und zwar aus Gedichtbänden, die die mittlerweile einundsechzigjährige Autorin zwischen 1991 und 2004 vorgelegt hat. Eine Entwicklung lässt der Band gleichwohl nicht erkennen. Sein Titel "Die Mohnblume im Haar" trifft leider die Sache: Fast ausnahmslos handelt es sich um seichte, ein wenig sentimentale Gedichte, die gut in Poesiealben passen könnten, wie Pubertierende sie heute zum Glück kaum mehr führen.

Besonders am Anfang ist viel von Traurigkeit und Melancholie die Rede, häufig in abgegriffenen Bildern. Moon bemüht fleißig Herbst und Winter, und noch da, wo sie eine originellere Metapher findet, macht sie meist durch einen geschwätzigen Vers alles wieder zunichte. Überhaupt scheint es ihr darum zu gehen, noch vom stumpfesten Leser verstanden zu werden. Viel deutlicher als nötig erklärt sie fast jedes Gedicht im Gedicht selbst, und kaum je bleibt ein Rätsel.

Das ist peinlich insbesondere da, wo sie die Familie verklärt. Die Mutter des lyrischen Ich geistert durch den Band, siebzig- oder achtzigjährig, blind, abgearbeitet von einem natürlich ebenfalls traurigen Leben - aber doch irgendwie als Verbindung zu einem Elementaren missbraucht, als wäre der Gedanke unerträglich, dass ein Leben durch schlechte Umstände zerstört wurde. Purer Kitsch ist das "Lied für ein Neugeborenes". Auf die Frage "Kleines, mein strahlendes Kleines! / Woher bist du gekommen, / daß du wie ein heller Sonnenschein / in meinen Armen liegst", ist man versucht, mit Informationen aus dem Sexualkundeunterricht zu antworten, doch unterbricht Moon: "Mein Kleines, / der, der dich gesandt hat, / er muß ein Gott der Liebe sein. / Es erscheint geheimnisvoll, - / und von Dankbarkeit erfüllt / kann ich die Tränen nicht zurückhalten."

"Für Männer" ist ein anderes Gedicht überschrieben, das nicht besser ist: "Männer, / die Vater einer Tochter werden, / verabschieden sich von dem Tier, / das in ihnen knurrt. /[...] Sie begreifen, daß Gott / auf dem gleichen Weg wie Kinder zur Welt kam / und erröten vor Scham." Die Zitate verdeutlichen auch ein Hauptproblem zumindest der deutschen Fassungen: Nur durch willkürliche Einteilungen in Verse ist angedeutet, dass es sich um Gedichte handelt. Klangliche oder rhythmische Momente fehlen völlig. Wenn die Ko-Übersetzerin Sophia Tjonghi Seo in ihrem Nachwort von dem "lebhaften Rhythmus der Gedichte" Moons schreibt, so verweist das nur auf eine Qualität, die ihre Übertragungen vermissen lassen. Nur in wenigen Texten scheint auf, dass Moon für ein freieres Leben von Frauen im traditionell konfuzianistischen und neuerdings evangelikal repressiven Korea schrieb. Wenn etwa angedeutet wird, dass das Ich mit mehreren Männern geschlafen hat oder wenn das in Korea fast allgegenwärtige Gerede über Potenz und die Mittel, sie zu erhalten und zu steigern, unterminiert wird. Solche Signale der Opposition erkennt indessen nur, wer das Land gut kennt, und sie dürften für den deutschen Leser eher uninteressant sein. Wenn der Körper einer Frau, die ihre Sexualität hat leben können, dennoch als "Kathedrale der Reinheit" bezeichnet ist, wirkt das nur regresssiv, nicht aber als Normverstoß - wobei es sich doch im sexualpolitischen Kontext Koreas um eine Provokation handelt, die sich gleichwohl von der herrschenden Denkweise, die "Reinheit" fordert, nicht zu lösen vermag.

Ungerecht wäre es zwar zu verschweigen, dass es unter den 135 Gedichten des Bands auch eine Handvoll gibt, die gelungen sind. Wenn etwa Moon im "Lied von der Alkoholflasche" die explosive Mischung von Aggression und Traurigkeit in eine eben nicht erklärte Metaphorik fasst, die eng mit dem Konkreten, nämlich dem Saufen, verknüpft ist, überzeugt das ebenso wie "Der Orchideenzüchter", der nicht etwa seine Blumen zurichtet, sondern, für sie sorgend, von den Blumen zu einem aufmerksamen Menschen erzogen wird. Solche Bilder, die aus sich heraus wirken, tauchen jedoch allzu selten auf. So stellt sich die Frage, für wen hier übersetzt wurde. Große Kunst liegt nirgends vor, Landeskundler kommen einfacher an wichtige Informationen. Man könnte dem Lebensgefühl einfacher Leserinnen in Korea nachspüren - aber um ein solches soziologisches Interesse zu befriedigen, fehlt ein Nachwort, das es erlaubte, die Autorin und ihr Werk in die heutige literarische Landschaft Koreas einzuordnen. So bleibt nur die Hoffnung auf künftige Übersetzungen besserer Gedichte - dass es für deutsche Leser noch koreanische Lyriker von Rang zu entdecken gibt, hat jedenfalls vor zwei Jahren die Neuausgabe der von Marion Eggert unter dem Titel "Wind und Gras" herausgegebenen Sammlung gezeigt.


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Chung-hee Moon: Die Mohnblume im Haar. Gedichte.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Sophia Tjonghi Seo und Margret Stradal.
Edition Peperkorn, Thunum 2007.
176 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783929181777

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Titelbild

Chon Ponggon: Hundert Sonnen. Gedichte.
Edition Peperkorn, Thunum 2007.
160 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783929181791

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