Gottlosigkeiten und andere Sünden

Karin Slaughter nimmt sich der gottesfürchtigen und nicht so gottesfürchtigen Südstaatler an

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Klaustrophobiker ist allein der Gedanke ein Horror, für alle anderen ist es auch nicht witzig: Lebendig begraben zu werden führt am Ende immer zum Tode, und, wie man liest, nicht zu einem sehr sanften. Nicht allen Betroffenen hilft dabei eine fernöstliche Nahkampfausbildung (Tigerkralle oder ähnliches) wie sie Uma Thurman in "Kill Bill" genossen hat, um sich aus einer solch misslichen Lage zu befreien,. In den letzten Jahren scheinen sich die Lebendbestattungen in diversen Krimis zu häufen. Ob das damit zu tun hat, dass selbst Krimiautoren die Ideen für Dauermarterungen ein wenig auszugehen drohen, oder ob die gruselige Faszination der lebenden Toten aus anderen Gründen wieder besonders stark auflebt, ist nicht entschieden. Die Nähe dieser Mordvariante zur Religiosität jedoch ist offensichtlich. Lebendig begraben? Da kann der religiöse Eiferer ja nicht weit sein. Auch im Krimi helfen Vorurteile dabei, nicht immer alles wirklich differenziert beurteilen zu müssen. Und solange das derart Konventionelle auch noch gut gemacht ist, bleibt wenig zu bemängeln.

Wie sieht das in diesem Fall aus? Karin Slaughter hat mit dem Polizeichef Jeffrey Tolliver und der Kinderärztin Sara Linton, die auch noch die Gerichtsmedizinerin des Bezirks machen muss, ein ganz reizendes Tandem erfunden. Beide sind seit Jahren ein Paar. Allerdings hält die Beziehungskrise an, seitdem er sie vor fünf Jahren betrogen hat. Die Krise lebt auch gleich zu Beginn des Romans heftig auf, als er ihr gestehen muss, dass er sich damals vielleicht eine Hepatitits von der Nebenbuhlerin geholt hat. Außerdem können die beiden keine Kinder haben, was ihnen nahe geht und gleichfalls nicht zum Beziehungsfrieden beiträgt. Ihr Vater, offensichtlich ein Putzteufel par excellence, trägt ihm natürlich auch immer noch den Vorfall vor fünf Jahren nach. Ihre Mutter ist zu allem Unglück auch noch sehr religiös. Ihre Schwester verliebt sich in den Prediger einer anderen Kirche. Achja, und Tollivers beste Ermittlerin, Lena, hat ein Verhältnis zu einem Nazipunk auf Bewährung, der sie schlägt und schlecht im Bett ist (Muster: Männer immer zu früh), was dazu führt, dass sie das Kind, das sie von ihm kriegt, abtreiben lässt. Das will sie aber keinem erzählen, vor allem nicht ihrem Chef, weil der ja - siehe oben - in Sachen keine Kinder etwas empfindlich ist. Und wann kommt endlich der Mord? Ja, das fragt sich so leicht.

Während des schnell eingeläuteten Initialstreits der beiden Hauptpersonen stolpern sie im Wald (natürlich, wenn ich Streit mit der Freundin habe, rennen wir natürlich erstmal in den Wald, um dort aufeinander einzuschreien und ein wenig hintereinander herzulaufen) über das Grab einer jungen Frau. Offensichtlich lebend begraben, ist sie freilich nicht erstickt, sondern vergiftet worden (Zyankali). Da sie zu einer sektenhaft lebenden Familie gehört, die in der Nähe eine Öko-Soja-Farm betreibt, und Leute, die aus dem sozialen Netz fallen, als Arbeiter beschäftigt sowie auch sonst merkwürdigen Sitten folgt, ist der Augenmerk gleich auf die anderen Mitglieder der Familie gerichtet. Wenn das Mädchen, das im Übrigen schwanger war, sehr isoliert aufwuchs (auch wenn es dauernd mit dem Bus in die Stadt unterwegs war), dann bleiben ja nicht viele Möglichkeiten. Ein Familienoberhaupt, das die Fäden fest in der Hand zu halten versucht und allen Anfechtungen von außen abwehrt, Frauen, die nicht nur in der Kirche schweigen, ein Bruder, der nicht nur Rechtsanwalt ist, sondern auch noch Maßanzüge trägt, ein ehemaliger Strafgefangener, der seit zwanzig Jahren auf der Farm lebt und gegenüber nachlässigen Arbeitern das Strafgericht Gottes beschwört. Wenn da mal nicht einiges im Argen liegt!

Karin Slaughter will offensichtlich mit aller Macht ihre 500 Seiten füllen, und wenn das nicht mit einem Fall und seiner Ermittlung alleine geht, dann müssen eben die Hauptfiguren Profil und Geschichte bekommen, unabhängig davon, ob das zu ihnen passt oder nicht und ob das die Leser wissen wollen oder nicht. Das ist im Einzelnen ja vielleicht noch ganz akzeptabel. Im Nebenthema zur Mordtat und Ermittlung noch Gewalt gegen Frauen anzuprangern, ist moralisch sicherlich kaum zu bemängeln. Erzählerisch jedoch lassen sich Zweifel anmelden, ob das wirklich mit dem nötigen Augenmaß geschehen ist.

Das scheint auch Slaughter erkannt zu haben, versucht sie doch das Thema "Gewalt gegen Frauen" an das Generalthema "religiöser Größenwahn" anzubinden. Die Konstruktion, die sie dabei jedoch benutzt, ist nicht überzeugend, wohl weil sie so unwahrscheinlich, letztlich so konstruiert wirkt. Und wie wir wissen: Nichts was gemacht ist, darf gemacht aussehen.


Titelbild

Karin Slaughter: Gottlos.
Übersetzt aus dem Englischen von Sophie Zeitz.
Wunderlich Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
512 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783805208055

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