John Wayne in Auschwitz

Bernice Eisenstein erzählt, wie man als Kind von Holocaust-Überlebenden aufwächst

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den Holocaust zu überleben, war schon unwahrscheinlich genug. Wie aber lebt man danach weiter? Wie gibt man seinen Kindern Hoffnung und das Grundvertrauen, nach all dem, was man selbst erlebt hat? Und wie gehen die Kinder mit den Erfahrungen ihrer Eltern um, die fast nie davon erzählen konnten?

In vielen Ansätzen versucht jetzt Bernice Eisenstein, 1949 in Toronto geboren, von ihren Erfahrungen zu berichten. Von ihren Versuchen, mit ihren Eltern zu reden, sich von ihnen erzählen zu lassen, ein wenig von den Erlebnissen aufzunehmen, die die Atmosphäre in der Familie immer noch mit bestimmten. Das ist nicht neu. Lily Brett, Lizzie Doron oder Jessica Durlacher haben es schon auf ihre Art probiert, indem sie von der seltsamen Schweigsamkeit ihrer Eltern erzählt. Eisenstein beginnt mit dem Tod ihres Vaters, erzählt vom Schloschim, den ersten dreißig Tagen nach dem Begräbnis, von seiner Hinterlassenschaft, den Tupfenkrawatten, der Wildlederweste, die er in seinem Lieferwagen immer als "zweite Haut" angezogen hatte.

In Schüben berichtet sie von dem, was sie erfahren hat, über ihren Vater, der in Polen überlebte, dann Schwarzmarkthändler wurde und später Nazi-Jäger, bis er sich als koscherer Fleischer in Kanada eine neue Existenz aufbauen konnte. Sie erzählt vom Eichmann-Prozess, den ihre Familie vor dem Fernseher mitverfolgte und von der Faszination, der sie erlag: "Der Holocaust ist eine Droge. Man könnte die Filmrollen und bedruckten Buchseiten zu feinem Pulver zermahlen. Line neben Line legen und schnupfen." Sie erzählt von einer Phantasie, die sie hat, weil ihr Vater immer gerne Western sah: Da sieht sie ihn als eine Art John Wayne, der nach Auschwitz geht, ganz allein gegen die Nazis kämpft und sie wie in "High Noon" besiegt, um dann die Juden freizulassen, und plötzlich "machte Arbeit dann doch frei".

Ihr Buch ist voller Skurrilitäten wie dieser, es sind Versuche, mit einer Realität umzugehen, die sie doch nie richtig verstehen kann, weil man diesen Horror einfach nicht begreifen kann. Dazu kommt ein entwaffnender Sarkasmus, der mit der "Holocaust-Industrie" ebenso nebenbei abrechnet wie mit vielen Schlagwörtern. So bedauert sie einmal: "Es gibt keine anonymen Holocaustler, denen man beitreten könnte, es gibt kein Forum, dem man sich mitteilen könnte: 'Hallo zusammen, ich bin holocaust-abhängig. Inzwischen bin ich clean, ich brauche den Holocaust nicht mehr, um mein Selbstwertgefühl aufzubauen.'" Dennoch bleibt es ein ehrliches Buch, ein mutiger Abstieg in eine unbekannte Welt, die sie kennenlernen will, weil sie damit auch ihre Familiengeschichte kennenlernt. Dazu kommen ihre naiven Illustrationen, in denen sie manches nicht nur nachbildet, sondern auch eigene Geschichten erzählt; in der Mitte des Buches erzählen sogar einige Seiten gänzlich in Comic-Form.

Es gibt kein Selbstmitleid in diesem Buch, sondern vor allem den Versuch, sich durch die exzessive Beschäftigung mit der Shoah auf Augenhöhe mit dem Leid der Eltern zu begeben. Und selbst im Umgang mit anderen wird ihre Herkunft der Autorin zur Trumpfkarte: "Schlag mich nicht, meine Eltern haben den Holocaust überlebt."

Leider ist ihre Sprache selbst aber allzu häufig nicht ganz sicher. Zu viele pathetische und kitschige Ausdrücke unterlaufen ihr, wenn sie von ihrem eigenen Leid und von dem ihrer Eltern erzählt, und irritieren doch arg. Da wimmelt es von störenden Ausdrücken wie: "In seinen Blicken lag eine Wildheit, die durch eine unsichtbare Düsternis hindurchschien", oder: "Die Bilder waren mehr als Dokumentation, sie waren die ans Tageslicht gezerrten Eingeweide der Erinnerung."

Umso beeindruckender ist der Bericht ihrer Mutter, die einmal vom "Shoah Foundation Institute", gegründet von Steven Spielberg, gefilmt wurde und in klaren, einfachen Worten von den Lagern erzählt. Dieser Bericht ist, so sehr bekannt die Fakten inzwischen sind, um vieles eindringlicher als viele Versuche ihrer Tochter, damit umzugehen. Zu viel Kitsch, zu viel Sarkasmus deckt eben leider die wahren Emotionen, die wahre Trauer, die Unsicherheit und das Unvermögen zu.


Titelbild

Bernice Eisenstein: Ich war das Kind von Holocaust-Überlebenden. Roman.
Mit zahlreiche Illustrationen der Autorin.
Übersetzt aus dem Englischen von Henriette Heise.
Berlin Verlag, Berlin 2007.
192 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783827007568

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