Grundlegende Kalenderreform

Rainer-K. Langner erzählt vom Jesuiten Johannes Schreck in China

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben war gefährlich im 17. Jahrhundert: In Europa tobte ein grausamer Religions- und Eroberungskrieg, und die Inquisition verbot und verbrannte nicht nur Bücher. Es war die Zeit der großen Auflösung. Ein paar Jahre zuvor war die Welt noch einfach: Da gab es einen Gott, der Bischof von Rom war sein Stellvertreter, was er sagte, stimmte, und die Erde war flach. Jetzt stimmte plötzlich gar nichts mehr. Alles war in Aufruhr, das Leben wurde schrecklich und ungewiss.

Und auch in der Mission war es nicht mehr so einfach wie ehedem, wo man im Besitz der richtigen Religion war und alle anderen als Heiden galten. Die konnte man taufen, man konnte sie aber auch abschlachten - es spielte keine Rolle. Dann traf man auf die Chinesen. Und die waren recht selbstbewusst, ließen nicht mit sich umspringen, wie man wollte, und man merkte, dass sie auch selbst ziemlich zivilisiert waren. Die großen Missionsorden stritten, wie man ihnen begegnen sollte. Die Jesuiten, selbst uneins, waren dafür, dass man zunächst auch ihre Kultur studieren sollte, Literatur und Philosophie, die Beamtenprüfungen machen sollte, um sie dann quasi mit ihren eigenen Begriffen überzeugen zu können.

Im 17. Jahrhundert war das nicht ganz so einfach: Da war der Obereunuch Wei Zhongxian jahrelang der mächtigste Mann, erst als er selbst Kaiser werden wollte, spielten seine Helfer nicht mehr mit: Kaiser werden, den Himmelsthron besteigen, das war denn doch zu heikel. Der rechtmäßige Kaiser bestieg den Thron, Köpfe rollten, die himmlische Ordnung wurde mit reichlich Gewalt wieder hergestellt.

In dieser Zeit kam der Bingener Jesuit Johannes Schreck (1576 bis 1630) nach China. Er kannte sich, wie viele seiner gebildeten Missionskollegen, in Astronomie und Mathematik so gut aus wie in Theologie, Musik und Botanik. Anders als Matteo Ricci, Adam Schall von Bell, Ferdinand Verbiest und Giuseppe Castiglione aber ist Schreck heute kaum noch bekannt. Dem hilft jetzt ein populäres Sachbuch von Rainer-K. Langner ab, der anhand der verfügbaren Quellen sein Leben spannend nacherzählt.

Schon sein Freund Galileo Galilei sagte: "Welch ein Verlust", als Schreck sich entschloss, zu den Jesuiten zu gehen, statt sein wissenschaftliches Talent für weltliche Entdeckungen zu nutzen. Er hatte Erfolg. Denn der neue Kaiser musste sich nach all den Wirren neu legitimieren, und das ging in China auch über den chinesischen Kalender, mit dem man etwa Sonnenfinsternisse exakt vorhersagen können musste. Und da war Schreck den chinesischen Astrologen weit voraus. Wegen seiner exakten Kenntnisse, die er in Auseinandersetzung mit Galilei und Kopernikus erwarb, wurde Schreck 1629 gebeten, eine grundlegende Kalenderreform durchzuführen. Etwas sehr abrupt starb er, bis heute ist sein Tod nicht aufgeklärt. Ob es ein fehlgeschlagener medizinischer Selbstversuch mit Kräutern war (Schreck war ein bedeutender Arzt und Pflanzenforscher) oder ein Mord, wie Langner andeutet, weiß man nicht.

In manchmal etwa ausufernder Manier erzählt der Biograf höchst spannend ein aufregendes Kapitel Wissenschafts- und Missionsgeschichte, macht uns mit einem aufregenden Schicksal, einem viel zu unbekannten Forscher vetraut und mit einer Zeit in China, die ebenso aufregend wie die europäische ist, aber auch hier kaum bekannt. Leicht fasslich erzählt er von den Welten, die damals zusammenkrachten: die alte christliche, die uralte chinesische und die naturwissenschaftliche, die mit neuen Methoden alles, aber auch alles in Frage stellte: die Himmelsmodelle, den Stand der Herrscher, den Glauben. Bei Chinesen und Europäern war alles im Fluss, Sicherheiten schwanden, aber ein neues, faszinierendes Wissen kam dazu. Und davon kann man noch heute lernen. Gemeinsam.


Titelbild

Rainer K. Langner: Kopernikus in der verbotenen Stadt. Wie der Jesuit Johannes Schreck das Wissen der Ketzer nach China brachte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
310 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783100439321

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