Der "vaterländische" Kriegsreporter

Gelernt hat Theodor Fontane sein Handwerk als Verfasser von akribisch recherchierten Büchern über deutsche Kriege. Ein Sammelband informiert über "Neue Wege der Forschung"

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wussten Sie schon, dass Theodor Fontane jahrzehntelang darauf pochte, als "vaterländischer" Schriftsteller Preußens rezipiert zu werden? War Ihnen klar, dass er fast zwei Dekaden seines Lebens an der Vorbereitung und Niederschrift mehrerer Bücher über die preußischen Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 arbeitete - Werken, die bis heute nur in Faksimiledrucken der Erstausgaben vorliegen, obwohl sie mit insgesamt 3.400 Seiten den größten Textkorpus in Fontanes Gesamtwerk ausmachen? Nein? Halten Sie sich fest: Fontane betonte sogar ausdrücklich, erst beim Schreiben seines Buchs über den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 sei er "ein Schriftsteller" geworden, "d.h. ein Mann, der sein Metier als eine Kunst betreibt, als eine Kunst, deren Anforderungen er kennt".

Es ist kein Ruhmesblatt für die germanistische Aufarbeitung und Kanonisierung der Literatur dieses großen Autors des 19. Jahrhunderts, der erst mit knapp 60 Jahren als Romanautor ("Vor dem Sturm", 1878) debütierte und zuvor hauptsächlich als Journalist arbeitete, diesen von ihm selbst so hoch eingeschätzten Werk-Komplex mehr als hundert Jahre lang weitgehend ignoriert zu haben. Ungläubig reibt man sich die Augen, wenn man in den zitierfähigen Fontane-Werkausgaben nach den Kriegsbüchern des Autors sucht und tatsächlich feststellen muss, dass sie dort nur in zusammengekürzten Schrumpfformen abgedruckt worden sind, ohne dass dieses Manko bis heute durch neue (textkritische) Ausgaben behoben wäre.

Wer Genaueres über derartige Zusammenhänge erfahren will und einen ersten Überblick über die "Neuen Wege der Forschung" bekommen möchte, die sich dem Werk Fontanes widmet, sollte sich den von Bettina Plett herausgegebenen Band aus der gleichnamigen Reihe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft besorgen. Plett hat darin wichtige, an verstreuten Orten erschienene Aufsätze der letzten zwei Jahrzehnte zusammengestellt. Dazu zählen John Osbornes Beitrag über "Theodor Fontane und die Mobilmachung der Kultur", der sich besagtem Buch "Der Krieg gegen Frankreich 1870-71" widmet, sowie Christian Grawes eindrücklichen Aufsatz über "Fontanes Kriegsdarstellungen im Kontext".

Zur mittlerweile allgemein feststellbaren Tendenz in der Germanistik, endlich auch 'kulturkritische' Themengebiete wie das des Antisemitismus in der Literaturgeschichte zu untersuchen, passt unter anderem Hans Otto Horchs Beitrag "Von Cohn zu Isidor. Jüdische Namenspolemik bei Theodor Fontane", der ebenfalls in den Band mit aufgenommen wurde.

Damit bietet das Buch erhellende Einblicke in die gravierendsten Forschungsdesiderate der Fontane-Philologie - beziehungsweise versammelt Beiträge, die zuletzt wichtige Gedankenanstöße geliefert und so die Sekundärliteratur bereichert haben. Jetzt muss man diese Aufsätze nicht mehr mühevoll zusammensuchen, sondern hat zumindest einige von ihnen auf einen Blick gebündelt vorliegen. Möge dies kommende Fontane-Arbeiten inspirieren: Das Buch eignet sich zumindest als Einführung für Studenten gleichermaßen wie für Lehrer und Literaturwissenschaftler, die vor dem Aufwand einer Sichtung der mittlerweile schier unüberschaubaren Masse von Publikationen zurückschrecken, die in den letzten Jahrzehnten zu Werk und Leben Fontanes erschienen sind. Dazu ist zu Zeiten der Bachelor-Studiengänge ohnehin keine Zeit mehr vorhanden.


Titelbild

Bettina Plett (Hg.): Theodor Fontane. Neue Wege der Forschung.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2007.
256 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783534186471

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