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Sebastian Scheerer vergleicht die Optionen im Kampf gegen den Terrorismus

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kann eine Schrift aus dem Jahr 2002 in Anspruch nehmen, in irgendeiner Form etwas zum heutigen Verständnis des Terrorismus und des Kampfs gegen ihn beizutragen? Vielleicht ist ja gerade die Distanz von fünf Jahren hilfreich dabei, den Wert der damaligen Analyse besser einschätzen zu können. Auffallend ist in jedem Fall, dass Scheerer, Professor für Kriminologie in Hamburg, sich trotz der zeitlichen Nähe seiner Abhandlung zum 11. September 2001 einer bemerkenswerten Ruhe und Sachlichkeit befleißigt. Er nutzt eine Definition des Terrorismus, die offensichtlich nicht Partei ergreift und allein dadurch schon politisch angreifbar wird. Keine Pathologisierung, keine Mythologisierung ist seine Prämisse, und das führt schließlich dazu, dass seine kleine Studie äußerst klar die Ursachen des heutigen Terrorismus beschreibt und zu den Strategien, ihn zu bekämpfen, immer auf genügend analytische Distanz geht, um sie bewerten zu können. Zudem lässt er keinen Zweifel daran, dass er Anschläge wie die zum 11. September 2001 verurteilt. Aber er zeigt auch, dass es mit der Verurteilung nicht getan ist.

Dabei benutzt er eine Definition von Terror von Henner Hess, welche die Ereignisse zu Beginn des neuen Jahrhunderts aus ihrem Sonderstatus befreit. Terrorismus ist demnach eine Reihe von vorsätzlichen Akten direkter, physischer Gewalt, die punktuell und unvorhersehbar, aber systematisch und im Rahmen einer politischen Strategie ausgeführt werden - und zwar mit dem Ziel psychischer Wirkung auf Andere als die physisch getroffenen Opfer. Er unterscheidet zudem staatlichen von nichtstaatlichem Terrorismus und gibt damit auch der Erkenntnis Raum, dass, wer sich dem Terrorismus analytisch nähert, auch abrücken muss von wohlfeilen moralischen Urteilen, die ihren eigenen Standpunkt nicht reflektieren müssen.

Terrorismus ist zugleich als Kommunikationsstrategie gedacht, deren Taten zwar Opfer fordert, deren öffentliche Wirkung jedoch auf andere Adressaten zielt, die eingeschüchtert oder aufgewiegelt werden sollen. Symbolisch werden die terroristischen Aktionen nicht nur durch das gewählte Objekt, sondern auch durch die Wirkung auf ihr Zielpublikum. Dieses wiederum teilt sich in die Gruppe der Bedrohten und die der Parteigänger, die sich hinter der terroristischen Meinungsfront zusammenschließen sollen. Das historische Gefälle zwischen staatlichem und nichtstaatlichem Terrorismus ist dabei nicht zu übersehen: Historisch gesehen seien die Opfer des staatlichen Terrorismus zahlreicher als die des nichtstaatlichen. Solche Vergleiche und der staatliche Terrorismus interessieren den Autor jedoch nicht weiter. Zurecht, denn er ist das Phänomen einer schwach legitimierten Herrschaft, die sich nur mit Gewalt an der Macht hält.

Anders hingegen der nichtstaatliche Terrorismus. Der Rückblick, den Scheerer unternimmt, zeigt, dass er kein neues, sondern ein bekanntes und ein überaus häufiges historisches Phänomen ist, das nicht notwendig schnell wieder verschwindet. Scheerer verweist darauf, dass der Terrorismus - als nichtstaatliche Terrorismus - die Stärke hat, aus der Defensive heraus in die Offensive zu gehen, dass er aus einer Niederlage einen Sieg machen und daraus seine Stärkung ziehen kann. Seine Schwäche allerdings besteht in dem Unvermögen, in eine Phase nach dem Terrorismus überzugehen. Terrorismus ist nicht alltagstauglich. Er ist ein Lebensmodus der Extreme.

Eine solche Sichtweise auf den Terrorismus, die den Zusammenhang zwischen den einander gegenüber stehenden Parteien, hervorhebt, wird naturgemäß zu anderen Ergebnissen kommen als eine betont moralische Position, die alles verdammt, was die eigene Partei und die eigene Lebensweise angreift. Legitimität ist denn auch nicht die Grunddifferenz, die den Terrorismus von seinem Widerpart unterscheidet. Es ist lediglich seine Stellung im Handlungs- und Machtgefüge, die ihn von den Gruppen unterscheidet, die dominant sind.

Die drei Szenarien, die Scheerer entwirft, nehmen darauf Bezug. Sie spekulieren in drei Varianten darüber, was mit dem Kampf gegen den Terrorismus, der nach 2001 massiv verschärft worden ist, geschehen wird: Wird der Terrorismus besiegt werden? Wird er durch die Aktionen gegen ihn immer stärker? Oder wird man seiner nur Herr werden, wenn man sich intensiv darum bemüht, seine Ursachen und Hintergründe zu verstehen und sie zu beseitigen?

Die Abfolge lässt vermuten, dass Scheerer die dritte Option für diejenige hält, die am erfolgsträchtigsten ist. Sie impliziert jedoch, dass der Terrorismus als Phänomen des globalen Machtsystems nicht nur anerkannt, sondern mit seinen Bedingungen begriffen werden muss. Ihn vernichten zu wollen, kostet entweder einen sehr hohen Preis, wie Scheerer im ersten Szenario zeigt, oder es produziert den Terror nur neu, gerade auch dann, wenn seine Trägergruppen besiegt und zerschlagen werden.

Die Rolle zudem, die die Großmächte bei der Genese des heutigen Terrorismus hatten, sollte, was seinen Nährboden angeht, hellhörig und aufmerksam machen, so Scheerer. Zudem ist es in allen drei Szenarien unwahrscheinlich, dass der Terrorismus verschwindet. Im Szenario, in dem sich die Antiterrorkräfte bewusst und konzentriert daran machen, die Bedingungen des Terrors zu beseitigen, wird er freilich zu einem Phänomen, dessen Wirkung und Dauer nicht damit vergleichbar ist, was heute als internationales Terrornetzwerk durch die Medien und die Alpträume der westlichen Welt geistert.


Titelbild

Sebastian Scheerer: Die Zukunft des Terrorismus. Drei Szenarien.
zu Klampen Verlag, Springe 2006.
170 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3934920160

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