Verlauf einer Revolte

Tilmann Fichter und Siegward Lönnendonker erzählen die "Kleine Geschichte des SDS"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tilman P. Fichters und Siegward Lönnendonkers "Kleine Geschichte des SDS" kann mittlerweile selbst als zeitgeschichtliches Dokument angesehen werden. Erstmals erschien sie 1977, nur sieben Jahre nachdem "am 21. März 1970 eine mehr oder minder zufällig zusammengewürfelte Versammlung im Frankfurter Studentenhaus auf Antrag des SDS-BV-Mitglieds Udo Knapp per Akklamation den SDS-Bundesvorstand und damit den SDS als Bundesverband" auflöste. Mittlerweile liegt die kleine Geschichte in der vierten neu bearbeiteten und ergänzten Auflage vor. Ein Bildteil mit Fotos von Klaus Mehner zur Berliner "SDS-Story" vervollständigt den Band.

Die "Kleine Geschichte des SDS" lebt im Wesentlichen von der Zeitzeugenschaft der Autoren. Der 1937 geborene Tilman Fichter und der zwei Jahre jüngere Siegward Lönnendonker waren seit 1963 beziehungsweise 1962 Mitglied beim Berliner Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Fichter war von 1965 bis 1966 Landesvorsitzender des Berliner SDS. 1982 trat er der SPD bei, für die er bis 2001 als Referent für Schulung und Wissenschaft beim Parteivorstand tätig war. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er in den frühen 1990er-Jahren mit missverständlichen Beiträgen zur Wiederbelebung eines nationalen Selbstverständnisses der Deutschen bekannt. Der Titel des vorliegenden Bandes, dies sei nebenbei bemerkt, deutet eine Reminiszenz an die populäre "Kleine Geschichte der SPD" von Susanne Miller und Heinrich Potthoff an.

Der SDS gehört zur Geschichte der SPD. Als ihr nahe Studentenorganisation wurde er im September 1946 in Hamburg gegründet. Zur "ersten Generation" der SDSler gehörten zumeist männliche Kriegsheimkehrer, unter ihnen auch der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt, der von 1947 bis 1948 Vorsitzender des SDS für die britische Zone war. Verstand man sich einerseits zunächst als "fester Bestandteil des sozialdemokratischen Milieus", so legte man doch andererseits auch Wert auf Eigenständigkeit durch organisatorische Autonomie. Als Ende der 1950er-Jahre die Auseinandersetzungen mit der SPD um das Godesberger Programm der Partei eskalierten, kam es schließlich 1961 zum berühmten Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD-Parteiführung: eine Mitgliedschaft im SDS war nicht vereinbar mit der Mitgliedschaft in der SPD. Bereits ein Jahr zuvor war der Sozialdemokratische Hochschulbund, später Sozialistische Hochschulbund (SHB), gegründet worden, nunmehr die ,offizielle' Studentenorganisation der Partei.

Die schmerzhafte und unfreiwillige Trennung von der SPD forcierte "den langen Marsch nach links", den weite Teile des SDS bereits in der Frage der Wiederbewaffnung und der Anti-Atomtod-Bewegung in Abgrenzung zur SPD begonnen hatten. Insbesondere die "Konkret-Fraktion", eine Gruppierung von Studenten aus dem Umfeld der Zeitschrift "Konkret" um Ulrike Meinhof und den 1958 zum SDS-Vorsitzenden gekürten Oswald Hüller, versuchte den Verband auf eine linke Politik festzulegen, die einigen Zeitgenossen als "kommunistische Infiltration" erschien. Der damalige Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer der SPD Karl Mommer sprach von "sozialistischen Studenten" als "trojanische Esel für Pankow" und forderte eine "klare Trennungslinie". Dem kam daraufhin der SDS nach: Hüller verlor seinen Vorsitz und der neue Vorstand fasste seinerseits einen Unvereinbarkeitsbeschluss: eine Mitarbeit bei "Konkret" war unvereinbar mit der Mitgliedschaft im SDS.

Doch der "Ausgrenzungsprozess" der SPD gegen den Verband konnte so nicht aufgehalten werden. Einzig aus gewissen opportunistisch-strategischen Erwägung trennte sich die SPD vom SDS, verzichtete so für mehrere Jahre auf eine Meinungsführerschaft an den zum Aufbruch bereiten Universitäten und verlor ein klares Profil als Linkspartei - wenn man so will, eine bis heute nicht überwundene Folge.

Der Einfluss des SDS auf die ,Umgestaltung' der Universitäten, die bis in die 1960er-Jahre von rechtskonservativen Traditionen und Strukturen dominiert waren, ist von besonderer Bedeutung. Obwohl der Verband nur zu seinen besten Zeiten 1967/68 deutlich über 2.000 Mitglieder zählte, konnte er doch aufgrund seines hohen Grads an Politisierung die Meinungsführerschaft an den sich neu orientierenden Hochschulen und unter der rebellischen Studentenschaft sichern. Zentrale Formen der politischen Aktion waren die gegen den Vietnam-Krieg der Amerikaner oder gegen die Notstandsgesetze gerichteten Demonstrationen und Kongresse, durch die eine beträchtliche politische Gegenöffentlichkeit mobilisiert werden konnte.

Der SDS wurde auch gesamtgesellschaftlich relevant, als im September 1967 der Chefdenker aus der Schule der Frankfurter Kritischen Theorie, Hans-Jürgen Krahl, und der führende Kopf des Berliner SDS, Rudi Dutschke, gemeinsam eine zielgerichtete Politik der "Umwandlung der Institutionen der öffentlichen Meinungsbildung" im Interesse einer "Demokratisierung der Öffentlichkeit" konzipierten. Diese vor allem gegen den Springer-Konzern gerichtete Oppositionspolitik des SDS mündete in eine Entschließung, die, so das Urteil der Autoren, "für die außeruniversitäre und außerparlamentarische Praxis des SDS ebenso wichtig [war] wie die Hochschuldenkschrift aus dem Jahre 1961 für die inneruniversitäre Diskussion."

Doch im Moment, als die Revolte der Studenten die Straße zu erobern schien, war sie bereits zu Ende. Während einerseits die Protestaktionen zunehmend einer aktionistischen Hektik verfielen, "kniff" der SDS nun auch vor inhaltlichen Diskussionen, die vor allem durch Kritik aus dem Umfeld der Kritischen Theorie geäußert wurde. Jürgen Habermas bezweifelte den revolutionären Charakter der Proteste, da sie von falschen Einschätzungen der gesellschaftlichen Realität ausgingen. Das schnelle Ende des SDS mutet in der Rückschau wie eine Bestätigung der Habermas'schen Kritik an. Unfähig, eine politisch handlungsfähige "Organisation" zu schaffen, zerfiel der Rest des SDS in sich zusammen wahlweise ins sich zermürbend oder spektakulär bekämpfende Partikularinteressen.

In einem "Postscriptum" vermerken die Autoren, dass die SPD 1988 ihren Unvereinbarkeitsbeschluss aufhob.


Titelbild

Tilman Fichter / Siegward Lönnendonker: Kleine Geschichte des SDS. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von Helmut Schmidt bis Rudi Dutschke Mit einem Vorwort von Wolfgang Kraushaar.
Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2007.
255 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783898618250

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