Kurz verfasst und gut gefüllt

Warum Christiane Tewinkels "Kurze Geschichte der Musik" anders ist

Von Agnes KoblenzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Agnes Koblenzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Musikgeschichte zu schreiben, dazu noch eine kurze, ist kein leichtes Unterfangen. Wer sich daran wagt, sieht sich vor der Wahl, entweder einen historisch vollständigen, positivistisch konzipierten Abriss zu verfassen, der nur in konservativen Fachkreisen Zulauf findet, oder ein breites Nichtkennerpublikum anzusprechen, jedoch mit dem Opfer inhaltlicher Kürzungen.

Für die zweite Lösung mit dem Ziel, unter den Musikliebhabern auch Neuzugänge unter den Lesern anzusprechen, hat sich die Musikwissenschaftlerin Christiane Tewinkel entschieden. Tewinkels Buch "Eine kurze Geschichte der Musik" stellt eine Mischung aus historischem Gesamtbild mit einer durchaus befriedigenden Faktenvielzahl und einer methodisch leicht zu überschaubaren, kulturwissenschaftlich orientierten Geschichtspraxis des europäischen Abendlandes dar, worin die Musikgeschichte in einem großen Zusammenhang der Allgemeingeschichte erscheint. Entgegen den üblichen historischen Buchprojekten bringt Tewinkel die sonst als unbedeutende Hintergründe der Musikgeschichte ausgelassenen Fakten ans Licht und weckt neben der Musik Neugierde auf die Kulturgeschichte überhaupt.

Trotz verknappender Auslassungen erweist sich die bescheiden als kurz deklarierte Geschichte wegen der Inhaltsfülle dennoch als recht lang. Die ersten drei Kapitel bilden den ersten Block, der von den Anfängen der Klangpraxis bei den Urmenschen, über eine ausführliche theoretisch-ästhetische Grundsteinlegung der Antike, bis hin zu den Praxisanfängen des Mittelalters und der Renaissance reicht. Auf diesem, für die weitere Musikentwicklung und das abendländische Musikverständnis maßgeblichen Abschnitt, baut die Autorin die späteren Epochen wesentlich gewählter und exemplarischer auf. Ob und wann welche Auslassungen vorgenommen und welche Perspektiven aufgegriffen werden können, beschäftigt auch die Schreibende. Sie entscheidet sich für eine Vorgehensweise, die sich diplomatisch auf das Aufgreifen einiger weniger personaler und in Relation zueinander gestellter Stränge beschränkt. Die bekannten Hauptakteure Monteverdi, Händel, Mozart, Beethoven erscheinen in alltäglichen und dadurch für den musikhistorischen Kontext neuartigen Lebenszusammenhängen, die dem Leser neben der Vermittlung sachlicher Musikinhalte die historische Distanz nehmen und die Dargestellten als "gewöhnliche" Menschen in zeitlich fernen, doch kulturell nachvollziehbaren Epochen aufzeigen.

Ob als Adressat oder als Gegenstand der Darstellung - Tewinkels Hauptbezugspunkt ist stets der Mensch selbst. Musikalische Neuerungen wie der Durchbruch der mittelalterlichen Motette oder Wagners Tristan setzt Tewinkel in Relation mit der heutigen Hörpraxis, die sozusagen als Maßstab in der Beurteilung und im Verständnis der damaligen Musik gilt und zudem eine Art ästhetische und psychologische Aufklärung hinsichtlich eigener Ängste und Verständnisprobleme bietet.

Die Musik ist ein Glied in einem Nebeneinander von Kunst, Anschauung und Politik. Am stärksten wird dies in dem letzten, das 20. Jahrhundert umschließenden Inhaltsteil der Publikation spürbar. Stärker als Schönbergs Dodekaphonie, Debussys impressionistischen Klangbildern und Stravinskis Volksrhythmik widmet sich Tewinkel den politisierten Musikphänomenen und der Machtmittelfunktion der Musik. Eines von ihnen war die Wandervogelbewegung - ein Sing- und Spielkreis der Jugendmusikbewegung aus der Zeit der Jahrhundertwende - deren Idee später zu Nazipropagandazwecken von kirchlichen Gruppen und Spielkreisen bis hin zu Radiojingles missbraucht werden sollte.

Anschauliche Beispiele und eine feine Prise Humor laden zum schnellen Lesen ein. Was an "Eine kurze Geschichte der Musik" also tatsächlich kurz wirkt, ist lediglich die Lesezeit.


Titelbild

Christiane Tewinkel: Eine kurze Geschichte der Musik.
DuMont Buchverlag, Köln 2007.
245 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783832197346

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