Der Bezug zu den Zeiten

William Trevor bezaubert mit sanften Geschichten voller Andeutungen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Reverend Grattan Fitzmaurice ist schon alt. Viel hat er erlebt: wie die protestantische Herrschaft zu Ende geht, wie die Schlösser der geflüchteten Landadeligen verfielen, wie die katholischen Kirchen seiner Church of Ireland immer leerer wurden: "Seine drei Sprengel [...] lagen in einem Tal mit Weideland in den Bergen, markiert von drei kleinen Kirchen, eine davon unterdessen verwaist, die zweite abseitig wie sein Pfarrei, wie sein Leben."

Er hat sich damit abgefunden. Als Con Tonan vor achtundzwanzig Jahren zu ihm kam - nach einem Unfall, bei dem er einen Arm verloren hatte und er schon über ein Jahr lang arbeitslos war - stellte der Reverend ihn ein. Dreimal die Woche fuhr Tonan zehn Kilometer zum Pfarrhaus und lernte langsam das Gärtnereihandwerk.

Jetzt ist er gestorben, an einem Hirnschlag. Einer seiner Söhne kommt im Frühsommer 1997 zum Reverend; auf demselben alten Fahrrad, auf dem Tonan immer gefahren ist. Bei der Beerdigung sagt die Witwe zu ihm: "Am Ende hat er's gut getroffen gehabt, sagte er immer. Hätte er nicht den Unfall gehabt, hätte er die Pfarrei in Ennismolach nie kennengelernt. Auch Sie hätte er nie kennengelernt."

Am Abend besucht ihn Father Leahy, der die Totenmesse gelesen hat. Der Reverend erinnert sich an Leahy, als der noch ein Kind gewesen ist, "eins von den Leahys aus dem weiß gekalkten Bauernhaus an der Straße nach Ballytoom." Sie plaudern ein wenig, hängen ihren Gedanken nach, nähern sich in all ihrer Fremdheit einander an: verschiedene Generationen, verschiedene Religionen, verschiedene Irländer. Und doch in gewisser Weise ähnlich.

Auch William Trevor ist ein Ire, und er schreibt oft über Irland. Aber es ist nicht das grobe Irland der Armut und des Alkohols, wie es das billige Vorurteil will. Es ist ein Land der Sanftheiten, der Annäherungen, der einsamen Menschen, die sich um ein lebenswertes Leben bemühen, in aller Stille, und manchmal, ohne es zu merken oder angestrebt zu haben.

So wie Reverend Fitzmaurice, der Tonan wohl das Leben gerettet hat - was sein katholischer Kollege durchaus weiß und jetzt einsam ist: "Er hatte den Bezug verloren und spürte es oft: den Bezug zu den Zeiten und was in ihnen geschah, den Bezug zu zwei Generationen der Veränderung, zu seinem Land und was aus diesem geworden war." Oder wie die Frau des Professors in der Titelerzählung: Da hat ein Witzbold die Nachricht von Professor Ormstons Tod an die Zeitungen gegeben, und die hatten Nachrufe verfasst. Während seine Kollegen beim Sherry des Rektors darüber reden, wie er die Nachrufe wohl kommentieren wird, traut sich seine Frau nicht, ihm die Zeitung zu zeigen. Das wird natürlich sehr peinlich für Ormston, aber dann umarmt ihn seine Frau liebevoll: "Was sie beschützt, ist die Vermählung ihrer Unterschiede, unerschütterlich in den Trümmern des Sturms."

Trevor ist ein Meister der Andeutung und der Aussparung. In seinen Geschichten enthüllt er mit wenigen Gesten, mit klaren Bildern ein Menschheitspanorama - aber so subtil, dass man erst am Schluss plötzlich alles versteht: die Beziehungen, die Gefühle, die Ängste, die Träume und Traumata. So wie in der Erzählung "Zu dritt", in der eine Frau an einen Mann gebunden ist, der ihr ein Alibi für den Mord an ihrer behinderten Schwester gegeben hat. Oder in "Trauer", wo ein irischer Junge von der IRA als Bombenleger rekrutiert wird. Krimis, Politthriller, Liebesgeschichten, Dramen: alles steckt in diesen nur scheinbar schlichten Erzählungen. In "Das Geschenk der Jungfrau" wird ein junger Mann von der Jungfrau Maria als Mönch in die Einsamkeit geschickt wird und am Ende seines Lebens zurück zu seinen greisen Eltern. In dieser Erzählung entfaltet sich nicht nur das Schicksal des Protagonisten, sondern das Geheimnis des Lebens selbst.

Dabei ist Trevor meist sehr lakonisch. In leisen Tönen, langsam, aber unaufhaltsam erzählt er von Menschen, die etwas erleben, das sie verwandelt. Oder was sie hätte verwandeln können. Denn nicht immer bemerkt man solche Wendepunkte, nicht immer gelingt auch die Kommunikation. Wie Father Leahy melancholisch sagt: "Wissen Sie, wie es manchmal ist, wenn man jemandem etwas mitteilen will?"


Titelbild

William Trevor: Tod des Professors. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007.
271 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783455077773

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