Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus

Zu Ernst Pipers "Kurzer Geschichte des Nationalsozialismus", und dem sechsten von Wolfgang Benz und Barbara Distel herausgegebenen Band zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ernst Pipers "Kurze Geschichte des Nationalsozialismus" ist zugleich auch eine der längsten. Denn sie endet nicht 1945, sondern sie reicht von "1919 bis heute". Das ist eine ungewöhnliche Perspektive und zugleich eine sinnreiche Mahnung, dass die Verantwortung der Deutschen für ihre Geschichte, auch wenn sie inzwischen Teil einer globalisierten Erinnerungskultur geworden ist, in der die "Einbettung der Analyse der Judenvernichtung in den Kontext der internationalen Genozidforschung" eine neue Herausforderung darstellt, bestehen bleibt. "Das", so Piper, "sollten wir nie vergessen."

In fünf Kapiteln unterteilt der Autor seine "Kurze Geschichte des Nationalsozialismus". Sie umfasst "die Anfänge" (1919-1924), schildert den "Kampf gegen das System" (1925-1933), beschreibt die Praxis der nationalsozialistischen Herrschaftssicherung als "formierte Gesellschaft" (1933-1939) sowie die "Volksgemeinschaft im Krieg" (1939-1945) und thematisiert schließlich "die Schuldfrage" (1945 bis heute). Eine Zeittafel, die von 1918 bis 2005 reicht, komplettiert neben einem Personenregister den Band.

Das Buch versteht sich als "populäre Darstellung". Sie soll, so verkündet der Klappentext, "Basiswissen" vermitteln und "historische Zusammenhänge" erläutern. Das Buch richtet sich also nicht an Experten, aber auch interessierten Laien wird die auf "knappem Raum" vorgelegte Darstellung zuweilen etwas zu leichtgewichtig sein. In der Tat wären viele der Zusammenhänge, die in diesem Buch in jeweils nur wenigen Sätzen skizziert werden, eine ausführlichere Darstellung wert. Entscheidend für eine "populäre Darstellung" wie die vorliegende ist aber die Frage, ob durch die verknappte Darstellung etwas Entscheidendes verloren geht, was schließlich zu Fehleinschätzungen oder gar falschen Darstellungen führen kann. Das ist indes nicht der Fall. Pipers Buch ist auf der "Höhe der Forschung", seine Darstellung ist übersichtlich und zudem gut lesbar.

Eine solche Überblicksdarstellung ist weitgehend nacherzählend angelegt. Neue oder ungewöhnliche Interpretationsansätze sind nicht zu erwarten. Nur selten versucht Piper, die historischen Geschehnisse aus rückblickender Sicht zu bewerten, um daraus Handlungsalternativen für die Zeitgenossen zu bewerten. Wenn er die erste Regierungsbeteiligung von Nationalsozialisten nach den Landtagswahlen in Thüringen 1929 ausführt und feststellt, dass für "für jeden, der es wissen wollte", erkennbar wurde, dass die "Nazis nicht nur radikale Parolen brüllten, sondern dass auch ebenso radikale Maßnahmen folgen würden, wenn sie einmal an der Macht waren", dann klingt da eher eine Mahnung an die Heutigen durch: wachsam zu sein vor jeglichen rechtsextremen Tendenzen. Interessant, wenn auch nicht weiter ausgeführt, ist seine Schlussfolgerung zur Frage, ob die Eliten der Weimarer Republik die so genannte "Machtergreifung" Hitlers hätten verhindern können: "Vieles spricht dafür, dass Hitler gescheitert wäre, wenn man ihn noch ein paar Monate vom Kanzleramt ferngehalten hätte." Und dann? Hätte man "etwas mehr Weitblick" besessen, "wäre auch in Deutschland ein autoritäres Präsidialregime möglich gewesen." Ein Regime, etwa ähnlich dem Franco-Regime in Spanien, hätte "bei aller nicht zu verharmlosenden Schrecklichkeit" nicht den Versuch gemacht, "ein ganzes Volk auszurotten oder gar die Welt mit Krieg zu überziehen."

Ein Prolog sowie ein Epilog bilden den Anfang und das Ende des Buchs. Sie stimmen das "Leitmotiv" der Darstellung an: das Schicksal der Opfer als eine Verpflichtung zum verantwortungsbewussten Umgang mit der Geschichte. Im Prolog zitert Piper eine Passage über den Tod in der Gaskammer, die der Überlebende des Sonderkommandos in Auschwitz Filip Müller in Claude Lanzmanns Film "Shoah" erzählt. Im Epilog erinnert Piper stellvertretend für die Millionen Ermordeter an die als 26jährige, in Auschwitz ermordete Künstlerin Charlotte Salomon; an die mit 18 Jahren in einem ukrainischen Arbeitslager zu Tode gekomme Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger; an das "Wunderkind" Petr Ginz, der als 16jähriger in Auschwitz umgebracht wurde, sowie an die ein Jahr jüngere Anne Frank. Sie könnten "heute noch unter uns sein und mit ihnen viele andere. Wer sich das bewusst macht, mag ermessen, was wir verloren haben."

Ermordet, zu Tode gequält, 'vernichtet' wurden die Menschen von den nationalsozialistischen Schergen auf vielerlei Art. Ein zentrales Instrument der Ausbeutungs- und Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus waren die Konzentrationslager. Das komplexe, vielfach zergliederte Lagersystem der Nazis beschreibt die mehrbändige von Wolfgang Benz und Barbara Distel herausgegebene "Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager". Im sechsten Band dieser verdienstvollen Reihe werden die 1939 bis 1941 eingerichteten Lager Natzweiler im Elsaß, Groß-Rosen in Niederschlesien und Stutthof in der Nähe Danzigs vorgestellt. Wie bereits in den vorigen Bänden verdankt sich die umfangreiche Recherche und Darstellung der Geschichte der Lager und insbesondere des weitverzweigten Außenlagersystems der jeweiligen 'Hauptlager' dem Engagement und der Kompetenz der beteiligten Autoren - aber auch der Kooperation der Gedenkstätten an den Orten des Terrors. Das betrifft insbesondere das Lager Stutthof, das, wie die Herausgeber bemerken, "bislang von der deutschen Forschung kaum beachtet" wurde. "Die polnische Historiographie hat sich des Themas freilich längst angenommen", und davon profitiert auch - einmal mehr - dieser Band. Eine solche Kooperation, dies sei nebenbei bemerkt, ist ein gelungenes Beispiel für die eingangs zitierte Internationalisierung der Forschungsarbeit zum Nationalsozialismus und speziell der Genozidforschung.


Titelbild

Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager Band 6.
Verlag C.H.Beck, München 2007.
832 Seiten, 59,90 EUR.
ISBN-13: 9783406529665

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Titelbild

Ernst Piper: Kurze Geschichte des Nationalsozialismus. Von 1919 bis heute.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007.
352 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783455500240

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