Prallkissen und andere Holzhämmer

Wolf Schneiders misslungener Versuch, die deutsche Sprache zu retten

Von Hans Peter RoentgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hans Peter Roentgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Rund 60 Prozent der Deutschen können gar nicht Englisch. Underdog - ist das nicht ein Unterrock? So jedenfalls eine typische Antwort auf eine repräsentative Umfrage. Drop-out? Wahrscheinlich ein Bonbonautomat; das Patchwork aber kann nur eine Fliegenklatsche sein. Von den anderen 40 Prozent bringen es die meisten über ein gestammeltes Schul-, Disco- und Touristen-Englisch nicht hinaus". Warum all diese englischen Wörter, die "human content" Wörter, die "very important persons", die sich und ihre Bedeutung mit englischen oder pseudoenglischen Fremdwörtern beweisen wollen? Können wir nicht statt Fremdwörtern verständliches Deutsch benutzen?

Wolf Schneider will das Deutsche beleben und den Deutschen die Anglizismen austreiben. Nicht alle, wohl aber die unnötigen und die lächerlichen. Seine Attacke gegen die Anglo-Manie beginnt mit einem Aufruf zur Mäßigung und der Sichtung dessen, was Englisch und Deutsch als Sprache für Vorteile haben. Und doch, so folgert er, soll man sie nicht mischen, gerade das Beispiel des Englischen zeige, wie problematisch dies sei. Denn die Mischung aus Französisch und germanischer Sprache im Englischen habe oft zur Unanschaulichkeit beigetragen. Eine Definition von verschiedenen Sorten von Anglizismen und eine historische Rückschau auf die Auseinandersetzung mit Fremdwörtern runden den ersten Teil ab.

Der zweite Teil geißelt die verschiedenen Formen von Anglizismen in Werbung und Technik. Der dritte Teil beschreibt die Lust an der Selbsterniedrigung, dass viele Deutsche die eigene Sprache nicht lieben und selbst dann, wenn sie es nicht oder kaum beherrschen, ins Englische ausweichen. Konferenzen, nur auf Englisch, obwohl nur Deutsche anwesend sind oder Simultandolmetscher zur Verfügung stehen; Fachliteratur, die von Deutschen für Deutsche geschrieben wurde, dennoch aber auf Englisch verfasst sein muss und manches mehr.

Der vierte Teil ist ein Loblied auf Schneiders eigenen Verein, den Verein für deutsche Sprache, der jeden Monat einen Vorschlag vorlegt, wie ein Anglizismus durch ein deutsches Wort zu ersetzen sei.

Der Kampf um die Fremdwörter in Deutschland ist alt, auch wenn Schneider am Anfang seines Buches das Gegenteil behauptet. Seit vier Jahrhunderten ist umstritten, welche Fremdwörter sinnvoll sind und ob wir nicht überhaupt alle verbannen sollten. Aus dem Vierzylinder Explosionsmotor wollte mancher schon vor achtzig Jahren den Viertopf-Zerknall-Treibling machen.

Sprache ist lebendig, welche Wörter entstehen, übernommen oder auch schnell wieder vergessen werden, hängt vom Sprachgebrauch ab. Der wiederum lässt sich steuern, durch Beispiele, dadurch, dass Sprachgefühl entwickelt wird. Ob Gesetzgeber und Parlamentarier, die häufig gerade dieses Gefühl vermissen lassen, die richtige Adresse sind, die Sprache zu schützen, sei dahingestellt.

Manche Polemik Schneiders nimmt sich sehr seltsam aus, etwa die gegen das Wort "Personalcomputer". Da handelt es sich nämlich nicht um eine Übersetzung, wie er fälschlich annimmt, sondern um direkte Übernahme des englischen Fachbegriffs "personal computer". Der Begriff ist übrigens heute kaum mehr gebräuchlich, jeder redet vom "Computer". Doch auch das gefällt Schneider nicht, es soll durch "Rechner" ersetzt werden. Seltsam nur, dass der Autor selbst dann auf den folgenden Seiten immer wieder "Computer" schreibt statt den von ihm propagierten Begriff zu verwenden. Auch das von ihm verdammte "Internet" verwendet er fröhlich selbst, ebenso findet sich "Personalcomputer" später wieder, obwohl er ihn zuvor für völlig unsinnig erklärte.

Überhaupt die Technik. Die ist laut Schneiders Buch eine der Hauptursachen für das gehasste Denglisch. Sicher richtig, aber genau hier sind Fachbegriffe, vor allem, wenn sie sich durchgesetzt haben, nötig. Dass es daneben jede Menge englischer Wortblasen gibt, ändert nichts daran.

So sind die Verbesserungsvorschläge, die uns Schneider vorlegt, oft von gründlicher Unkenntnis der Materie und fehlendem Sprachverständnis geprägt. "Software" ist leider nicht identisch mit "Programm", auch wenn sie aus Programmen besteht. Das Wort "Meer" lässt sich nicht durch "Wassertropfen" ersetzen, auch wenn das Meer aus solchen besteht. "Software" sollte, so ein Vorschlag vor dreißig Jahren, durch "Programmatur" ersetzt werden, doch dieses Wortungetüm hat sich nie durchgesetzt.

Die Liste lässt sich leicht erweitern. Eine "Website" dient dem "Netzauftritt", ist aber nicht das gleiche, "Corporate Identity" hat etwas mit "Unternehmensbild" zu tun, ist aber nicht damit identisch, "Flatrate" ist fast, aber nicht ganz eine "Pauschale" - und warum sollten wir statt "World Wide Web" "Weltnetz" sagen? Für das Ding hat sich längst das Wort "Internet" durchgesetzt - gar kurz und knackig: Bist du im Netz? Solche Probleme erledigen sich eben auch ohne das Zutun von Sprachwächtern.

Auch seine Polemik gegen das "Mountain Bike" ist durch Unkenntnis geprägt. Das sei nur für Berge geeignet, folgert er aus dem Wort - offensichtlich ist er noch nie mit Gepäck über einen matschigen Waldweg in der Ebene gefahren oder unvermutet über eine Bordsteinkante. Dass er das alte Vorurteil wiederkäut, der Abrollwiderstand sei dreimal so hoch, macht es auch nicht besser. Da hätte sich der Autor besser vorher informieren - oder Radfahren - sollen.

"Mountain Bike" ist überhaupt ein interessanter Begriff. Ursprünglich gab es einen zweiten, "All Terrain Bike (ATB)", der besser beschreibt, was gemeint ist, sich aber dennoch nicht durchsetzte. Vermutlich lag's an der Länge des Wortes.

Manche von Schneiders Eindeutschungsversuchen sind sinnvoll, ("Junkbonds" = Schrottanleihen), viele lassen aber jedes Sprachgefühl vermissen. Prallkissen? Da kriegt man ja Zahnschmerzen, dann doch lieber Airbag. Und Schnellkost statt "Fastfood"? "Kost" ist leider nicht das gleiche und so werden wir wohl weiter mit dem ungeliebten Fremdwort leben müssen.

Worte haben auch Färbungen. Sie lassen sich nicht einfach durch andere mit scheinbar gleicher Bedeutung ersetzen, auch wenn das manchem Anhänger des "lean Deutschen" so vorkommen mag. Wählen sie das passende Wort, nicht seinen Cousin, mahnte Mark Twain - und es ist niederschmetternd zu lesen, wie in dem Buch mit dem Holzhammer alles gleichgebügelt werden soll. Da hätte sich der Autor besser seiner eigenen Worte im ersten Kapitel erinnert: Mehr Augenmaß hätte dem Buch sehr, sehr gut getan.

Denn tatsächlich sind viele Anglizismen ein Ärgernis. Nicht die Fachwörter, um die werden wir nicht herumkommen, nicht die Wörter, die Nuancen ausdrücken, für die es fast, aber nicht ganz gleiche deutsche Wörter gibt. Wohl aber all die Wortungetüme, die pompös nichts sagen, all die modischen "beautiful speaking People", die nur ihre Einfallslosigkeit kaschieren wollen.

Da wären wir aber auch schon bei einem weiteren Problem des Buches. Für Schneider sind all die Anglizismen Zeichen des Kniefalls der Deutschen, die nicht 'stolz' auf Deutschland sind. Doch warum steht vor dem Cafe "Coffee to go" statt "Kaffee zum Mitnehmen"? Weil der Besitzer einen Kniefall ausführen wollte? Oder doch nicht eher, weil es schlicht kürzer ist, leichter auf die Tafel passt und schneller gelesen werden kann?

Was ist mit all den Marketingsprüchen, die ach so verliebt ins Denglische sind? Wohl eher Größenwahn als Kniefall dürfte da die Ursache sein. Denn wer nichts Neues anzukündigen hat, aber was sagen muss, was tut der? Richtig, er erfindet ein paar englische Phrasen, die niemand so recht versteht. Wäre all dies besser, wenn die Inhaltsleere auf Deutsch ausgebreitet würde?

Deshalb wird das modische Gejammer über Anglizismen kaum irgendetwas daran ändern. Die, die jammern, sind oft die gleichen, die die Anglizismen einführen. Der Spiegel, der einen umfangreichen Artikel über den Untergang der deutschen Sprache durch Denglisch druckte, ist tatsächlich eines der Haupteinfallstore der Englisch-Manie. Seltsam, dass Schneider in seinem Buch Marketing, Technik und Sport für ihre Anglizismen geißelt, aber die Journalisten kein einziges Mal erwähnt.

Wer mit unsinnigen oder falschen deutschen Wörtern als Ersatz für Fremdwörter hausieren geht, wer jedes Sprachgefühl vermissen lässt, tut leider genau das, was er verhindern will: Er verhunzt die Sprache. Sprache ist etwas, das sich gerade durch Beispiele durchsetzt und nicht durch den Ruf nach dem Gesetzgeber, der vorschreibt, dass man in Zukunft nur noch Prallsäcke in den Autos haben darf. Martin Luther hat die deutsche Sprache durch seine beispielhafte Bibelübersetzung geprägt, nicht durch den Zeigefinger eines Oberlehrers. Bastian Sick hat mit "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" gezeigt, wie man mit Witz und schlechten Beispielen Sprachgefühl schärfen kann. Firmen bekämpfen mittlerweile mit "Bullshit Bingo" die Sucht ihrer Mitarbeiter, mit pompösen englischen Worthülsen nichts zu sagen. Das bringt mehr fürs Sprachgefühl als all die beliebten Jammereien, die immer wieder den Untergang des Deutschen prophezeien.

Bemerkenswert ist auch, dass Schneider, der soviel für die deutsche Sprache und deren richtige Anwendung getan und geschrieben hat, im Mittelteil zeitweilig in einen selten drögen und umständlichen Stil verfällt. Schneider präsentiert ein Sammelsurium gängiger Klischees und Sprachjammereien, gemischt mit unsinnigen Eindeutschungen, an die sich nicht mal der Autor selbst hält, und durchaus richtigen Beobachtungen, die allerdings in der Regel nicht neu sind.


Titelbild

Wolf Schneider: Speak German! Warum Deutsch manchmal besser ist.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008.
192 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783498063931

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