Aufstieg und Fall einer Familie

Rich Cohen schreibt in "Sweet and Low" über seine Familie, die Zuckerersatzdynastie Eisenstadt-Cohen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Geschäft ist die Familie, und das Blut dieser Familie ist das Geld. Die Verteilung der Aktien spiegelt die Verteilung der Liebe. Liebe ist endlich. Liebe ist ein Gut, das knapper als Wasser ist." - Es ist ein hartes Leben in einer Familie, die sich ein Familienunternehmen aufgebaut hat, mit Erfolg: "Es ist die Sehnsucht, der Hunger, die gemeinsame Tatkraft der Millionen Einwanderer, die Brooklyn zu Beginn des 20. Jahrhunderts überfluteten. Ein Ausdruck dieser Sehnsucht ist der Diätwahn, der Sweet'N Low zu einem Markenartikel machte. Diät-Cola, die Personenwaage und Sweet'N Low sind Produkte aus Brooklyn, der Wiege einer neuen Kultur, der Körperkultur. Das Verlangen danach hat ein Vermögen geschaffen und eine Familie zerstört."

Sweet'N Low ist das erfolgreiche Produkt der Familie, ein Süßstoff in kleinen rosa Tüten, es gibt sie noch heute in jedem Diner Amerikas. Es entstand, als Rich Cohens Großvater, Benjamin Eisenstadt, ein Anwalt, der gleichzeitig kellnerte und eine Verpackungsfirma managte, die geniale Idee seiner Frau Betty ausschlachtete: Warum nicht Zucker in Tütchen verpacken, so wie Tee in Teebeutel? Dummerweise meldeten sie kein Patent darauf an, und die Idee wurde gestohlen. Aber später hatten er und sein Sohn Marvin noch eine zweite, genauso geniale Idee: Warum nicht einen Zuckerersatz erfinden, der aussieht und schmeckt wie Zucker, aber keine Kalorien hat? Vorher gab es nur das flüssige Saccharin, und das war bei weitem nicht so elegant.

Es gelingt, und damit ist der Aufstieg der Familie gesichert. Glück hatten die "Sweet 'N Low"-Erfinder, weil, als sie ihr Produkt 1957 auf den Markt brachten, gerade der erste Diätboom anfing: Die Frauen mussten dünn sein und die Männer trainierten auch schon ein wenig Richtung Waschbrettbauch. Und in den 1960er-Jahren, der Twiggy- und Minirock-Zeit, kommt dann vollends der Erfolg: der Zuckerersatz "Sweet 'N Low" schlägt ein und wird beliebt, die jüdische Familie Eisenstadt wird reich. Aber natürlich bleibt das Leben nicht so einfach. Unter dem Sohn Marvin gerät das Geschäft in die Nähe zur jüdischen Mafia, später wird ein schwächlicher Spross, der eigentlich gar kein Geschäftemacher ist und eine Fehlentscheidung nach der anderen trifft, der Chef des Konzerns. Und zwischendurch wird auch noch der Familienzweig, dem Rich Cohen angehört, enterbt. Weil Tante Gladys, die unter einer starken Form von Schuppenflechte und Arthritis leidet und seit der Nixon-Zeit ihr Zimmer nicht mehr verlassen hat, überall Verschwörungen wittert, soll Cohens Mutter Ellen an allem schuld sein.

Rich Cohens Geschichte, die Geschichte seiner Familie, ist ein wenig wie "Buddenbrooks" in Brooklyn. Brooklyn war damals allerdings nicht das schicke Viertel, das es heute teilweise ist, es war ein Industriegebiet, in dem sich die Armen der Welt, vor allem aus Osteuropa, drängten, darunter viele Juden. Außerdem beschreibt Cohen seine Familie offen und parteiisch, nicht versteckt in einem Schlüsselroman. Leider bleibt er aber nicht bei seinen wunderbaren Stories, seinen kuriosen Anekdoten, die er schön zu einem bunten Reigen hätte verarbeiten können. Er versucht diese Geschichte mit allzu vielen Fußnoten und historischen Ausblicken auf die Kulturgeschichte des Zuckers, den Brooklyner Hafen, Sklavenhandel und Sklavenaufstände, die Diätrevolution und Gesundheit in einen größeren Rahmen zu betten. Aber genau damit, mit der allzu sklavischen Faktentreue, verdirbt er einen großartigen Familienroman, der vom Komischen zum Tragischen wechselt und ein schöner Einblick in eine fremde Zeit hätte sein können, mit abstrusen Geschichten, die alle wahr sind.


Titelbild

Rich Cohen: Sweet and Low. Ein Familienroman aus Brooklyn.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Nora Petra Lachmann.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
364 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783100102225

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