"Das Spiel mit dem Internatsroman"

Philip Larkins Roman "Wirbel im Mädcheninternat Willow Gables"

Von Fabienne QuennetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabienne Quennet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer war Brunette Coleman? Unter diesem Namen hat Philip Larkin (1922-1985), der zu einem der größten Nachkriegsdichtern England zählt, zwei Romane geschrieben, "Trouble at Willow Gables" und den unvollendeten "Michaelmas Term at St. Bride's".

Diese Manuskripte, die in der Brynmor James Bibliothek in Hull liegen, entstanden zeitgleich mit Larkins letzten Prüfungen an der Universität in Oxford im Jahr 1943 und waren vermutlich Teil eines Briefpaktes mit Kingsley Amis, in die Welt der englischen Mädchenschul-Literatur einzutauchen. Das Pseudonym Brunette Coleman erlaubte es Larkin, sich eine weibliche Perspektive anzueignen und in einer reinen Mädchen- und Frauenwelt zu experimentieren. Sein Ausflug in die weibliche Internatsliteratur, insbesondere in "Wirbel im Mädcheninternat Willow Gables", ist nicht nur literarisch gut konstruiert und unterhaltsam, sondern erlaubt Beziehungen zu seiner späteren Dichtung herzustellen und interessante biografische Einblicke. Erst als er Brunette Coleman ablegte, began Larkin ernsthafte Gedichte zu schreiben.

Internatsliteratur hat eine lange Tradition: Seit dem Mittelalter und in fast allen eurpäischen Literaturen ist der Blick in die soziale Struktur und das Innere der Bewohner literarisch verarbeitet worden. Seriöse Romane wie Robert Musils "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" und Herman Hesses "Unterm Rad" gehören dazu, aber auch unzählige Titel aus der Kinder- und Unterhaltungsliteratur, nicht zuletzt auch die Harry-Potter-Romane. Was all diese Internatsgeschichten gemeinsam haben, ist die Darstellung eines strukturierten (Abenteuer-) Lebens, indem zwar gegen Regeln verstoßen wird, aber diese nie in Frage gestellt werden; Geschichten, in denen der entwicklungpsychologische Konflikt eines jeden Jugendlichen, vor allen Dingen der zwischen Anpassung und Rebellion, zwischen Masse und Individuum, zwischen Fremdbestimmung und Eigenverantwortung, zugespitzt wird.

In Larkins Roman erhält die Internatsschülerin Marie eine Fünf-Pfund-Note von ihrer Tante, die aber sogleich von der Direktorin konfisziert wird, denn so viel Geld darf keine Schülerin besitzen. In einer Nacht- und Nebelaktion holt sich Marie die Fünf Pfund zurück, nur um das Geld erneut abgeben zu müssen. Sie muss es für die Turnhalle spenden.. Das Spiel beginnt von vorne und die Suche nach dem Geldschein wird zu einem überaus komischen Plot.

Die Geschichte ist flott erzählt, mit einer Aneinanderreihung von witzigen Begebenheiten, spielerischen Wendungen und leicht ironischen Dialogen voller Esprit. Larkin macht sich keinen einfallslosen Schlafsaal-Voyeurismus zu eigen, viel eher überrascht er mit einer Ernsthaftigkeit, mit der er die Perspektive eines vierzehnjährigen Mädchen einnimmt und den Schlafsaal voller Pubertierenden porträtiert. In diesem Internatsroman, der nur ein Nebenwerk zu seiner Lyrik darstellt, gelingt "Brunette Coleman" ein elegantes und unterhaltsames Spiel mit einer - oft zu Unrecht - trivial genannten Erzählform.


Titelbild

Philip Larkin: Wirbel im Mädcheninternat Willow Gables. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Steffen Jacobs.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2004.
238 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3861505223

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