Hinreißende Vehemenz

Unbarmherzig und mit klugem Witz: In "Salz des Lebens" umkreist Benoîte Groult das Alter

Von Carola EbelingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carola Ebeling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer die französische Schriftstellerin Benoîte Groult auf einer ihrer Lesungen in Deutschland erleben durfte, begegnete einer Frau von 87 Jahren; einer alten Frau also, doch ihre Ausstrahlung, ihre Gesten und ihre Rede verneinen das noch immer typische Bild einer "alten Frau". Sie geht nicht in Sack und Asche, trägt stattdessen eine sportliche Hose, einen grünen Pullover. Die Haare sind kurz geschnitten, das schöne, markante Gesicht wird durch dezente Schminke betont. Ihre Präsenz, ihre Lebendigkeit, die präzise Rede, ihr Witz - Benoîte Groult ist eine beeindruckende und einnehmende Persönlichkeit. Sie 'leuchtet' und beherzigt, was sie in ihrem Buch "Salz des Lebens" formuliert: "Aber es kommt ein Alter, da es lebenswichtig wird, in einem frischen und jungen Rahmen zu leben, wenn nicht, kann man sich gleich in seiner Urne einrichten."

Das Schreiben wird seinen Teil zur Bildung dieses 'Rahmens' beitragen. "Salz des Lebens" ist ein Buch über das Alter und was es insbesondere für Frauen bedeutet. Zu Beginn ist Alice, eine der beiden zentralen Frauenfiguren, 75 Jahre alt und sporadisch immer noch als Journalistin für eine einstmals feministisch orientierte Frauenzeitschrift tätig - autobiografische Bezüge sind unübersehbar. Aus der Perspektive von Alice schildert Groult den Prozess des Alterns; wie es sich anfühlt, seelisch und körperlich, alt zu werden, alt zu sein. Und welche Rolle dabei die Gesellschaft spielt, die das Alter und die Alten negiert und verachtet. Sie ist dabei unbarmherzig. Schwarzer Humor und viel Ironie bieten eine Erleichterung, unterlegen die klugen und grausamen Gedanken und Erkenntnisse mit Lesevergnügen - die Essenz aber bleibt bitter.

"Dass ein Tag kommen würde, da ich aus der Gesellschaft der Lebenden hinausbefördert würde. Weniger als ein Nichts. Abgelaufen wie ein Joghurt", so beschreibt Alice an einer Stelle die Ignoranz gegenüber den Alten, die einfach nicht mehr zählen - es sei denn in der geschönten Form, als Verkörperung der "jungen Alten", Ikonen der Werbung, in denen die sichtbaren Spuren des Alters, die Mängel und Einschränkungen getilgt sind.

Die Autorin erweist sich als genaue Beobachterin gesellschaftlicher Verfasstheiten und Tendenzen und kommentiert sie. Man darf in ihrem Falle davon ausgehen, dass Alice in ihrem Namen spricht, eine Art Stellvertreterin, die Groults Lebensthemen und Haltungen verkörpert.

Viel dreht sich um die Situation der Frauen, ihre Geschichte der Benachteiligung, ihr Ringen um Teilhabe - bevor Groult die feministische Haltung ihren Romanen einschrieb, verfasste sie Sachtexte zum Thema. In "Salz des Lebens" ärgert sich Alice über die Geschichtsvergessenheit junger Frauen: "'Sie bekamen erst mit dreißig Jahren das Wahlrecht? Nicht möglich!' sagen diese Hirnlosen. '›Damals‹ gab es nicht die Pille? Was haben Sie da gemacht?', fragen diese Kulturlosen, für die damals gestern beginnt und ans Mittelalter heranreicht." Die Rigorosität Groults ist wunderbar und trifft auch an vielen anderen Stellen auf den Punkt.

In der Figur Marions schließlich, Alices Tochter, nähert sich die Autorin einem weiteren ihrer großen Themen: Die unbedingte Liebe jenseits der Konventionen. Marion ist mit Maurice verheiratet, hat Kinder - und liebt ihren Mann. Aber seit langem schon gibt es auch Brian, den irischen Piloten. Mit ihm lebt sie eine Liebe außerhalb des Alltags, sie trifft in großen zeitlichen Abständen, aber doch immer wieder. Ja, das erinnert an Groults Bestseller "Salz auf unserer Haut". Und das ist manchmal ein wenig kitschig. Worum es aber im Kern geht, das sind die Möglichkeiten jenseits der etablierten Liebesvorstellungen. Das Ausformulieren dessen, was sich einschleicht in langjährige Paarbeziehungen. Marion und Maurice tragen diese Konflikte aus - und sie halten sie aus. Maurice weiß von Brian, und er leidet auch darunter. Aber eine Ehe, die auf unbedingter "Treue" basiert, wollte auch er nie führen. Dennoch ist es schwierig, so Marion, dass "ich ihm jedes Mal wieder sagen (muss), dass ich seit grauer Vorzeit und für die Ewigkeit, die uns bleibt, einen anderen ebenso liebe wie ihn."

"Salz des Lebens" ist kein fein gebauter, großartiger Roman. Groult hat zwei Frauenfiguren aus zwei Generationen geschaffen, die sie über viele Jahre begleitet. Und diese Figuren sind Trägerinnen von Ideen und Lebensversuchen - was das Buch fast zu einer Mischform aus Roman und einer Art Essay macht. Man kann einwenden, dass beide Formen nicht vollendet seien. Man kann aber auch die Vehemenz, Lebendigkeit und den schönen Witz genießen, mit denen Benoîte Groult über existenzielle und schwierige Dinge des Lebens fabuliert. Man kann ihre Klugheit darin sehen und sich darüber freuen, wie hier eine Autorin Frauen dazu auffordert, auf ihrem Glücksanspruch zu beharren. Und zwar auch dann, wenn dafür Handlungen notwendig sind, die gerade bei Frauen als egoistisch gelten. Benoîte Groult öffnet Möglichkeitsräume - und eröffnet sie einer erfreulich großen Leserschaft.


Titelbild

Benoîte Groult: Salz des Lebens. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Barabara Scriba-Sethe.
Bloomsbury Berlin, Berlin 2007.
224 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783827006967

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch