Man trägt jetzt ocker

Dorota Maslowska reihert auf die Bühne

Von Frank HertelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Hertel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Rap Kunst ist, dann ist dieses Buch ein Kunstwerk. Denn "Die Reiherkönigin" ist ein Rap, ein Gesang, ein gelungenes Genrestück. Sie wissen was "reihern" bedeutet? Dann können Sie sich vorstellen, welche Art von Worten diesen Text dominieren. Eine Aufzählung wollen wir uns aus ästhetischen Gründen ersparen. Zaghafte Gemüter könnten sich verletzen, wohl behütete Mittelschichtgehirne Schaden nehmen. Denn die Polin wirft mit Dreck, wirbelt den Schmutz der unteren Schichten nach oben, lärmt, schreit und schlägt, ist nicht im Geringsten politisch korrekt und macht sogar - ein Novum - die Europäische Union lächerlich.

Mit 22 hat Dorota Maslowska dieses Buch geschrieben und dafür den wichtigsten polnischen Literaturpreis, die "Nike", bekommen. Mit 18 debütierte sie mit dem Roman "Schneeweiß und Russenrot", der in 13 Sprachen übersetzt wurde. Sie wird gefeiert. Sie wäre ein Star, wenn man heute als Schriftstellerin diesen Status noch erreichen könnte. Es ist der Jugendslang, den man an ihr so schätzt. Sie verfolgt in diesem Buch eine Art Projekt, das große Anerkennung genießt und das wir am besten in ihren eigenen Worten vorstellen: "Dieses Lied entstand aus Mitteln der EU. Es enthält grammatikalische Unrichtigkeiten und logische Fehler. Vergnügen soll es den Dummen bereiten und unintelligenten Lesern. Dass sie die Fehler bemerken und selbst finden, soll sie in freudiges Erstaunen versetzen. Jetzt dürfen sie mal wieder petzen, dass sie das mit einem Stock und einer Handvoll Erde besser und korrekter hätten schreiben können."

Ach so, die Handlung. Wie, Handlung? Es gibt nicht viel Platz dafür in diesem Buch. Schimpfwörter, Ausdrücke, Bezeichnungen für Genitalien und Geschlechtsverkehr, Selbstdarstellungen der Autorin, direkte Ansprache der Leser, allgemeine Reflexionen über den Text selbst, seine Kritiker und seine Fans, und natürlich die zahlreichen Illustrationen von Maciej Sienczyk machen die Räume eng für eine Handlung im herkömmlichen Sinn. Die Hauptfigur soll der Schlagersänger Stanislaw Retro sein, aber tatsächlich ist es die Interpretin MC Dorota selbst, die sich darstellt, wie man das von Rappern gewohnt ist: "Yo, Yo, Yo, Fucka, Fucka." Die Figuren dieses Buches sind holzschnittartig überzeichnet. Es sind eher Karikaturen und Comicfiguren als denkende und fühlende Menschen. Es gibt da ein Mädchen, das sich von einem Schlagerstar Liebe erhofft: "Das Gesicht total versaut, der Körper wie Hund oder Mops, die Augen eitrig, zwei ausgelutschte Drops, im Mund hinter lauter Zähnen lauert das blanke Gähnen."

Es geht in diesem Buch nicht um Handlung, sondern um Sprache, Slang, Ausdruck und Rhythmus. Die postkommunistische Wirklichkeit des heutigen Polen ist an den unteren Rändern grau und brutal. Doch MC Dorota verzweifelt nicht, kriegt keine "Depri", sondern bleibt locker und schlägt den unsentimentalen Takt zu diesem rasenden Irrsinn aus Armut und Drogen.

Rap ist keine Kunst. Jeder, der 500 Wörter kennt, kann rappen. "Alle Menschen sind Künstler", sagt Joseph Beuys, also ist entweder alles Kunst oder gar nichts? Nein! Dorota Maslowska hat ein junges, wildes Buch geschrieben, aber Kunst ist nicht daraus geworden. Es gibt auch interessante computergenerierte Gedichte, die trotzdem niemand Kunst nennt. Maslowska sind ein paar gute Wendungen gelungen. Mehr nicht. Die Rap-Sprache hat ihre eigenen Gesetze. Die ersten Worte eines Satzes fordern sich reimende Folgeworte, nur deshalb kommt ab und zu Licht ins Dunkel. Aus Zufall. Dass dieser Schreibstil nichts Neues ist, zeigt "Das ästhetische Wiesel" von Christian Morgenstern: "Ein Wiesel saß auf einem Kiesel inmitten Bachgeriesel. Wisst ihr weshalb? Das Mondkalb verriet es mir im Stillen: Das raffinierte Tier tat's um des Reimes willen."

Der Rapper dieser Zeilen starb 1914 in Meran. 90 Jahre später kopiert MC Dorota aus Warschau seine Technik, ohne es zu wissen. Originell an ihrem MC-Buch sind nur die Ausdrücke der Gosse. Gedruckt, gefördert und gefeiert, aber kein Aufbruch zu neuen Ufern, sondern ein Rückzug in den Sumpf.


Titelbild

Dorota Maslowska: Die Reiherkönigin. Ein Rap.
Übersetzt aus dem Polnischen von Olaf Kühl.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007.
191 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783462037784

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