Sex und Leid am Vorabend

"Marienhof" in Philippsburg: René Hamanns Sozio-Roman "Schaum für immer"

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Unerfreuliche zuerst: Tisch 7 lügt. "Schaum für immer", das späte Romandebüt von René Hamann (geboren 1971), ist keine "Telenovela in Buchform. Alle Folgen auf einmal. Ohne Werbeunterbrechung". Hier kommt kein Soap-Roman, keine Soap-Parodie, Soap-Persiflage, kein postmoderner Abgesang aufs Vorabendprogramm. Es gibt viele Hauptfiguren. Alle stehen zueinander in Beziehung. Und "immer gibt es ein Lieblingscafé, immer gibt es eine Lieblingsimbissbude mit einem dämlichen Namen", heißt es an einer Stelle. An einer anderen: "Das geht jetzt so nicht, man kann nicht einfach eine Figur aus der Serie verschwinden lassen, sie rausschreiben, durch eine andere ersetzen, aber anscheinend geht das doch, nach einer kurzen Periode der Umgewöhnung, nach einigen kurzen Momenten des Stutzens, der Irritierung spielt sich alles wieder ein." Das war's. Hier enden die Gemeinsamkeiten. Falls René Hamann jemals Seifenopern sah, dann haben sie keinen starken Eindruck bei ihm hinterlassen. Inhaltlich wird das Pandämonium "Seifenoper" in "Schaum für alle" kaum genutzt. Und formal noch viel weniger.

Schade ist das für jeden, der medial gewitzte Widerhaken sucht, ein reflektiertes Spiel mit Figuren und Dramaturgie: "Schaum für immer" bleibt brav erzählte Berlin-Mitte-Literatur. Mit verflochtenen Figuren und Episoden zwar, doch dabei nicht soapiger als "Magnolia" oder "Short Cuts" - und jedes andere Ensemblestück. Deshalb lesen Fernsehkinder stattdessen besser Thomas von Steinaeckers kluge Medien-Realsatire "Wallner beginnt zu fliegen", Dietmar Daths essayistische Liebeserklärung an "Buffy", "Sie ist wach - über ein Mädchen, das hilft, schützt und rettet" oder Rainald Götz' fluffige Pop-Romanze aus dem Sommer 1999, "Dekonspirazione". René Hamanns Roman dagegen bleibt - in Sachen Thema, Habitus, Experimentierfreude und Zeitgeist - stets auf der sicheren Seite. Die 150 Seiten lesen sich wie ein Nachklapp zu Martin Walsers schönem Debüt "Ehen in Philippsburg", erschienen im Jahr 1957.

Wenn indes im 22. Jahrhundert dann eine SZ-Buchreihe mit Prosa seit dem Jahr 2000 erscheint, dann wäre "Schaum für immer", immerhin, eine recht gute Wahl für einen typischen Hauptstadt-Frust- und Single-Frust-Roman. Wo dem Text inhaltliche Extravaganzen fehlen, da übt er sich im scharfen, feuilletonistisch-soziologischen Blick aufs Nicht-mehr-ganz-so-jung-Sein in der Berliner Republik. Das elende Auf-der-Caféterrasse-Sitzen. Das elende Auf-die-E-Mail-Warten. Das Mixtape-Hören. Das Video-Gucken. Die billigen Ausweichmanöver beim zweiten Date. Der billige Sex beim dritten Date. Acht Figuren aus dem Medien-Prekariat, die durch Szenerien schlafwandeln, zum Kotzen vertraut. "Schaum für immer" handelt nicht von der Vorabend-Welt aus dem Fernsehen. "Schaum für immer" handelt von den öden Stunden jener Menschen, die sich dazuschalten zu diesem Programm. "Betäubt schaut Linda in den Fernseher, stochert im Plastikessen, sieht schlechten Schauspielern bei der Imitation von Leben zu und schläft irgendwann ein. Erschöpft und billig."

"Das Personal", von Hamann übersichtlich vor dem Inhaltsverzeichnis aufgelistet, besteht aus vier Männern und vier Frauen zwischen 25 und 36: der DJ Ralf, die Bürokauffrau Valerie, der Horoskopschreiber Lukas, die Schauspielerin Stina, der Komparse Franz, die Soziologin Linda, die Arbeitslose Nadja und Schumann, ein naiver Elektriker mit dem Herz am rechten Fleck. Ralf trennt sich von Valerie und schläft mit Stina. Stina schläft mit Franz. Schumann schläft mit Valerie und verliebt sich in Linda. Ralfs Mutter ist todkrank. Auch Nadja geht es schlecht, "erst starb Karin an einer Überdosis, dann hat mich Fabian verlassen." - "Sie stehen im Vorhof der Liebe", beschreibt Hamann diesen lustlosen Reigen, "und langweilen sich."

Die Szenen sind alle bekannt: "Immer ist da jemand, der zwischen Valerie und dem Glück steht. Wer ist es diesmal? Marie? Schumann?". Die Stimmungen sind vertraut: "Das Konto ist voll, Lukas kann sich nicht beklagen. Ob es ihm besser geht als vor zehn Jahren, weiß er nicht." Es gibt auch reichlich Popkultur: das Würge-Wichsen aus "Ken Park" von Larry Clark, Tennisspielerinnen mit und ohne Achselbehaarung, Catherine Schell als hübsche Gestaltwandlerin in "Mondbasis Alpha Eins", pathetische Zitate von Erich Kästner und Anja Kruse, schlechte Songs von PJ Harvey, Michael Braun sagt: "Die gelebte Biografie schrumpft zu Spiegelungen der eigenen Verlassenheit", die Bunte sagt: "Harrison Ford spielt Ersatzvater für Neurosenbraut Calista." Hamann zitiert den Titelsong zu "Veronica Mars". Hamann lässt Judith Hermann kurz durchs Bild huschen. Hamann weiß, wer Melanie Safka ist.

"All die schönen Menschen. All die schönen Lichter. All die schönen Dinge." So weit, so farblos. Das Erfreuliche jedoch: Auch der Deutschlandfunk lügt. Jedenfalls, wenn Olaf Karnik in seiner "Schaum für immer"-Besprechung sagt, "als Erzählung" sei "Hamanns riskante Roman-Unternehmung eine Quälerei für den Leser." Zum einen sind die sauber formulierten 150 Seiten beileibe nicht "riskant". Zum anderen aber gibt's schöne Dialoge ("Vielleicht werden wir uns immer an diesen Sommer erinnern." - "Nein."). Einen unheimlich sympathischen Subplot über internationale Stars, Schriftsteller und Astronauten, die von gesellschaftskritischen Scharfschützen (!) kaltgestellt werden. Und wenn man ans Zitieren kommt, dann haltlos, ohne Unterbrechung. Zum Beispiel hier: "Metalle. Freies Schweben. Die Hand auf dem anderen Körper, ein Bild, ein Gefühl, eine Berührung, die man hinter sich her zieht, eine Bestrebung. Das lose Atmen, die Entspannung, die Konzentration auf die Flächen, über die etwas streicht, das Bestreben, eine Raumkapsel zu sein. Ein schummriges Licht, ein zerlegter Körper, wie zwei Hände, eine Person, die Astronauten hinter sich her schleift, der Rest Blut, der aus dem Helm auf die Erde tropft und allmählich versickert, die Bilder der großen Paraden, die ein letztes Mal vorm geistigen Auge vorüberziehen. Die glänzenden Metalle, die Schippen, die schwebenden Partikel in der Luft, wieder pueril werden auch, das Streben des Kleinkinds."

Lesbar? Ja. Lesenswert? Hm. Hamann, als Lyriker schon länger etabliert, dankt auf der letzten Seite seiner Kollegin Nikola Richter. Die veröffentlichte kurz vorher ihren Debütroman "Die Lebenspraktikanten" bei S. Fischer. Richter zeigte dort den Alltag von sieben Akademikern, die sich als medialer Wanderzirkus vom miesen Job ins unbezahlte Praktikum hangeln: stilistisch viel, viel glatter, inhaltlich journalistischer, ein überlanger - lesenswerter - Magazinartikel, think "Generation Golf". Beide, Richter wie Hamann, wollen mit ihren Figuren etwas illustrieren. "Die Lebenspraktikanten" ist sozialer Kommentar. "Schaum für immer" auch. Aber viel wilder, wirrer, affektierter. René Hamann geht stilistisch viel weiter, sagt dabei aber deutlich weniger.

"Ralf macht sich Sorgen. Ist Liebe wichtiger als Arbeit? Was will ich eigentlich?" Als Medienkritik ist das zu lasch, als Großstadtroman zu knapp. Und als Charakterstudie zu flach. Längst über dreißig, veröffentlicht ein Lyriker einen 150 Seiten dünnen Debütroman, irgendwie kritisch-soziologisch, irgendwie poppig, es geht ums Unglück des Alltags in Berlin. Viele intelligente Momente. Viele schöne Sätze. "Die Nacht ist ein feuchtes Handtuch, der Mond ein trauriger Volleyball." Doch neulich starb in "Alles was zählt" der wichtigste Mann, kurz nachdem er der Hauptfigur das Ja-Wort gegeben hatte. Der Bruder des Toten saß in seiner Wohnung, schlug alles kurz und klein - und räumte dann, ganz langsam, wieder auf. Die Nahaufnahmen von Händen, die Streichhölzer zurück in die Schachtel sortieren, zärtlich, eines nach dem anderen. In diesen zwei Minuten lag die Sorte Dringlichkeit, das künstlerische Feuer, das "Schaum für immer" fehlt. Falls René Hamann jemals Seifenopern sah, dann hat er dabei nie geweint.


Titelbild

René Hamann: Schaum für immer. Roman.
Tisch 7 Verlagsgesellschaft, Köln 2007.
160 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-13: 9783938476147

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