Eben doch keine ganz normalen Familienväter

In "Karrieren der Gewalt" werden fünf NS-Tätertypen vorgestellt

Von Hanna ChristiansenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanna Christiansen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In dem Band "Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien" werden Biografien von 21 Tätern und zwei Täterinnen von ausgewiesenen Experten dargestellt. Berücksichtigt werden drei Jahrgangskohorten, die hinsichtlich ihres Alters beim Machtantritt Hitlers unterschieden werden, wobei die Mehrzahl der "Kriegsjugendgeneration" entstammt. Dabei wurde kein repräsentativer Querschnitt angestrebt und es wird nicht expliziert, wie die Autoren zu ihrer Auswahl gekommen sind. Ziel des Buches sei, die Gesellschaftsgeschichte des Vernichtungskriegs der deutschen Faschisten akteurszentriert in den Fokus der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu rücken. Auf diese Weise soll nach Erklärungen für die menschenverachtenden Verbrechen und Gewaltexzesse gesucht werden, ohne Verständnis zu wecken und dennoch den Menschen "hinter dem Monster" sichtbar zu machen.

In ihrem einleitenden Beitrag fassen die Herausgeber die zentralen Forschungsergebnisse und daraus ableitbare Kategorien der einzelnen Beiträge zusammen. Zuvor gehen sie auf den Stand der Täterforschung in Deutschland ein und betonen, dass diese erst im Jahr 2001 durch die Gründung der Forschungsstelle Ludwigsburg institutionalisiert wurde. Seither dominiere, wie auch in den einzelnen Beiträgen des vorliegenden Buches, eine generationelle Prägung, die Analyse des Karriereverlaufs sowie der Weltbilder und Motivstrukturen die aktuelle geschichtswissenschaftliche Täterforschung. Sie zeichne sich durch eine Wendung zum Konkreten und explizite Distanzierung von der pauschalen Pathologisierung und Dämonisierung aus. Es leuchtet ein, dass Karrieren als abhängig von den gesellschaftlich offerierten Aufstiegsmöglichkeiten und -modalitäten sowie individuellen Fähigkeiten, Begabungen und des jeweiligen persönlichen Engagements betrachtet werden. Dieser Ansatz rückt das Individuum in den Vordergrund der Analyse und verhindert kollektive Entschuldungsstrategien. Darin liegt auch die Stärke der einzelnen Beiträge, welche die jeweils individuellen Bedingungen und Motive der verschiedenen Täter analysieren.

Die diffarmierende Abgrenzung vom "sozialpsychologischen Schwadronieren" ist dabei aber etwas pauschal. Zum einen bedienen sich die Autoren selbst eines sozialpsychologischen Jargons, indem sie von "Sample" und Jahrgangskohorten der untersuchten Akteure sprechen - ohne dabei zu spezifizieren, wie sie zu ihrer "Sample"-Auswahl gekommen sind, die doch eher den Forschungsinteressen der einzelnen Beiträger geschuldet zu sein scheint. Zum Anderen sind die von den Autoren extrahierten Faktoren bereits seit dem berühmten Stanford Gefängnisexperiments des Sozialpsychologen Zimbardo aus dem Jahr 1971 bekannt.

So werden als zusammenfassendes Forschungsergebnis der Beiträge drei Faktoren eines "radicalizing careers" genannt: die Gewaltsozialisation im Ersten Weltkrieg, die Einbeziehung in Hass- und Gewaltstrukturen und schließlich die aktive Einbindung und frühzeitige Täterschaft in faschistischen Organisationen. Wie Zimbardo folgern die Autoren, dass die Möglichkeit zur Gewaltausübung sowie ein gewalttätiges Klima Gewalt nach sich ziehen - und so sind es eben nicht die normalen Familienväter, die zu Tätern wurden, sondern vornehmlich Personen, die frühe und extreme Gewalterfahrungen machten.

Ein weiteres Forschungsergebnis nach Analyse der einzelnen Biografien sind insgesamt fünf Tätertypen: die willigen politischen Konformisten (Opportunisten), die Weltanschauungstätern, die sich für eine rassistische Neuordnung Europas einsetzten, drittens die Exzesstäter, die reinen Schreibtischtäter und schließlich die Mischung aus Schreibtisch- und Direkttäter beziehungsweise Vordenker und Vollstrecker. Diese Typologisierung lässt sich dabei problemlos auf weitere Täter und Täterinnen anwenden und stellt somit ein nützliches Forschungsdesiderat dar.

Äußerst verdienstvoll ist die Ausdehnung der Darstellung der Karrieren auch auf die Zeit nach 1945. So konnte die Mehrzahl der untersuchten Personen nach 1945 problemlos ihre bürgerliche Karriere fortsetzten, wobei sich vor allem die Polizei der 1950er- und 1960er-Jahre als "Hort und Reintegrationsinstanz alter Kämpfer" erwies. Dies unverblümt und wissenschaftlich fundiert darzustellen, stellt einen enormen Fortschritt bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit dar, war und ist es doch gängige Praxis, Täter und Täterinnen zu schonen, wie es unlängst Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger in seiner Trauerrede für den NS-Marinerichter Hans Filbinger demonstrierte.


Titelbild

Klaus-Michael Mallmann / Paul Gerhard (Hg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2004.
282 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 353416654X

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