Schiffbruch im Pazifik 1783

Eine Neuausgabe von Georg Forsters Übersetzung der "Nachrichten von den Pelew-Inseln"

Von Gerhart PickerodtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhart Pickerodt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer heute auf den Palau (Pelew)-Inseln mit einer Plastiktüte angetroffen wird, muss mit einem Dollar Strafe rechnen - zweifellos ein Zeichen für das Umwelt-Bewusstsein, welches in dem Inselstaat eingekehrt ist. Der Palau-Archipel, etwa 900 Kilometer östlich der Philippinen gelegen, besteht, je nach Zählweise, aus 250 bis 350 Inseln und Inselchen und ist, zumindest auf dem Papier, ein souveräner Staat, wenngleich er außenpolitisch von den USA vertreten wird und einen Verfassungsartikel streichen musste, der die Region zur atomwaffenfreien Zone erklärt hatte. Die Kolonialgeschichte der Palau-Inseln kennt unterschiedliche Herren: unter anderen Nationen Spanien, Deutschland und Japan, und je nach Betrachtungsweise wird man auch die heutigen USA dazurechnen dürfen.

Im ausgehenden 18. Jahrhundert, als die Inseln - abgesehen von zwei Missionaren, die dort schon früher angelandet sein sollen - erstmals von Europäern betreten wurden, herrschten auf ihnen steinzeitliche Verhältnisse. Die Insulaner ernährten sich von Wurzelwerk und Kokosnüssen, gebratene Tauben indessen waren dem Adel vorbehalten. Die Befehlsgewalt hatten kleine Insel-Könige, die häufig untereinander Kriege führten und ihre Gefangenen töten ließen, nicht aus Rache oder zur Abschreckung des Feindes, sondern weil es praktischer war. Verspeist hingegen haben sie sie offenbar nicht.

Im August 1783 erlitt die Antelope, ein Postschiff unter dem Kommando des englischen Kapitäns Henry Wilson, das von Makao aus gestartet war, Schiffbruch an einem Korallenriff vor der genannten Inselgruppe. Die Mannschaft, dreiunddreißig Männer sowie sechzehn chinesische Matrosen - die im Bericht kaum Erwähnung finden - rettet sich einschließlich des Kapitäns an Land einer kleinen Insel. Nach einem abenteuerlichen Aufenthalt kann sie am 12. November 1783 auf einem aus Inselholz und Resten des gestrandeten Schiffs neu erbauten Schoner die Insel wieder Richtung Makao verlassen. In der Zwischenzeit hat sich ein intensives Austauschverhältnis mit den Insulanern entwickelt, das zumindest in den Augen der Europäer einen freundschaftlichen Charakter besaß, wenngleich diese ein gewisses Grundmisstrauen den Fremden gegenüber niemals ganz zu überwinden vermochten.

Was uns heute vorliegt, ist ein abenteuerlicher Reise- und Schiffsbruchbericht, zugleich aber ein Text über den stolzen Überlebenswillen und Konstrukteursgeist der Engländer, denen es gelang, in wenigen Monaten gleichsam aus dem Nichts ein seetüchtiges Schiff zu erbauen, bewundert von den Eingeborenen, die sich ihrerseits mehrfach die überlegene Waffentechnologie der Europäer für ihre Kriegszüge zunutze machten und ihre Gegner mithilfe der englischen Schießgewehre in Angst und Schrecken versetzten. Der vorliegende tagebuchartige Bericht gibt minutiös Auskunft über die Ereignisse, über die Besorgnisse und Befürchtungen der Engländer, über die sprachlichen (durch malaische Dolmetscher auf beiden Seiten) und gebärdensprachlichen Kontakte, über die Lebensweise der Eingeborenen, wobei zu bemerken ist, dass das wechselseitige Verständnis kaum über ein Bestaunen des jeweils anderen hinausgelangte.

Der Text hat mehrere Verfasser. Den Kapitän Wilson mit seinen Tagebuchaufzeichnungen, die in ihrer Grundstruktur erhalten geblieben sind, den englische Autor George Keate, der das Tagebuch zu einem literarischen Text verarbeitete, mit Fußnoten und einer Vorrede sowie mit einem Glossar des Grundwortschatzes der Einheimischen versah. Darüber hinaus den deutschen Übersetzer Georg Forster, seinerseits Weltreisender, Naturforscher, Zeichner und Autor wichtiger Texte sowie Revolutionär in Mainz und Paris. Er begnügte sich nicht mit einer blanken Übersetzung, sondern ordnete 1789 in einer Vorrede den Text in die zeitgenössische Debatte über Naturvölker und deren moralisch-gesellschaftliches Leistungsvermögen ein. In eigenen Fußnoten ergänzte er die kommentierenden Passagen des Keate-Textes, modifizierte oder korrigierte sie, ganz wie es seinem eigenen Wissen über Südseevölker und insbesondere seinen philosophischen Auffassungen entsprach. Forsters deutscher Text gehört gewiss nicht zu seinen literarischen Meisterleistungen. Zu sehr merkt man ihm einen gewissen verbalen Schematismus und die Eile bei der Abfassung an, nicht zuletzt auch eine gewisse Überheblichkeit dem englischen Autor gegenüber. Ihm kreidet er an, zu sehr mit europäischen Projektionen gearbeitet zu haben, statt die Eingeborenen nach deren eigenem Wesen zu beurteilen - Forderungen, denen mit dem damaligen Instrumentarium ethnologischer Forschung wohl kaum ein Europäer, einschließlich Forsters, der sie erhob, zu genügen vermochte.

Zum Textcorpus gehören auch zwei Schlussessays, der eine verfasst von Harald Eggebrecht, der die Geschichte der Palau- beziehungsweise Pelew-Inseln kenntnisreich mit der gegenwärtigen Verfassung des Inselstaates in Beziehung setzt, der andere von Volker Röhnert, der den Text im Zusammenhang mit anderen aus der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar betrachtet, in der sich auch ein Exemplar von Forsters Übersetzung befindet. An Goethes freundliches Urteil über jene Übersetzung wird ebenfalls zitierend erinnert.

Die "Nachrichten von den Pelew-Inseln in der Westgegend des Stillen Oceans" lesen sich insgesamt als spannender, exotischer Reise- und Schiffbruchsbericht des ausgehenden 18. Jahrhunderts, vergleichbar mit Defoes "Robinson Crusoe", jedoch mit unterschiedlicher Situation und Personal. Der Text hat seine Vorzüge vielleicht weniger in der Darstellung des Lebens der Insulaner als in der indirekten Selbstpräsentation der Europäer. Zivilisationsgeschichtlich wie kulturanthropologisch dürfte beispielsweise von Interesse sein, dass die Engländer es nach dem Schiffbruch für notwendig hielten, die unbeschädigten Branntweinfässer aus dem Rumpf der "Antelope" zu vernichten, um zur Neukonstruktion eines Schiffes fähig zu sein, und dass sie umgekehrt, als sie später noch ein Arrak-Fass fanden, dieses nicht zerstörten, sondern den Inhalt ökonomisch verwalteten, um sich nach getaner Arbeit am Abend einen kleinen Erholungstrunk zu genehmigen. Ob die chinesischen Matrosen davon etwas abbekamen, wird nicht überliefert.

Der Name des neuen Schiffes lautete auf Bitten des einheimischen Königs "Orulong". Dies ist der Name der Insel, auf der die Engländer während ihres dreimonatigen Aufenthalts verweilten. Dem König war offenbar daran gelegen, der Welt durch dieses Namenszeichen Kenntnis von seinem Reich zu vermitteln. Hätte er es nicht gewünscht, wäre den Insulanern der Kampf mit den Plastiktüten vielleicht erspart geblieben. Zumindest lässt sich die kulturgeschichtliche Ambivalenz des Aufenthalts der gestrandeten Europäer bei den Palau-Bewohnern kaum übersehen. Dem Zivilisationsmüll stehen diese heute nicht weniger ohnmächtig gegenüber als atomaren Waffen.


Titelbild

George Keate / Georg Forster: Nachrichten von den Pelew-Inseln.
Übersetzt aus dem Englischen von George Forster.
Süddeutsche Zeitung, München 2007.
395 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783866154131

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