Ein wunderbarer Bogen

Über die Neuauflage von Joan Didions Roman "Demokratie"

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vier Jahre ist es mittlerweile her, dass Joan Didion, die große amerikanische Intellektuelle, ihren Mann verlor. 2006 erschien mit "Das Jahr magischen Denkens" ihr persönlichstes Buch. Darin berichtete sie über die Zeit nach dem Tod ihres Partners. Vor kurzem brachte der Claasen Verlag ihren 1984 veröffentlichten Roman "Demokratie" neu heraus: in überarbeiteter Übersetzung und mit einem Nachwort der Schriftstellerin Antje Rávic Strubel, die "Das Jahr magischen Denkens" übertragen hat.

Der Titel des Buches könnte große Bögen gesellschaftsanalytischen Erzählens vermuten lassen, ein hehres und unerreichbares Ziel. Didion aber setzt viel kleiner und leichter an: Sie erzählt die Geschichte der Senatoren-Gattin Inez Victor und ihrer Liebschaft zum Waffenhändler Jack Lovette. Sie erzählt von Inez' Mann Harry, dem Politiker, von ihrem zielstrebigen Studenten-Sohn Adlai und von ihrer drogenabhängigen Tochter Jessie, die lieber in Vietnam kellnert, als eine Entziehungskur zu machen.

Anhand der alltäglichen Ereignisse im Leben der Politikerfamilie Victor entfaltet sich nach und nach ein immer schärferes Bild des am Anfang noch so erschlagend wirkenden Begriffs "Demokratie", der dem Roman den Titel gegeben hat. Didion verrührt die Themen Liebe, Eifersucht, Drogen und Waffen miteinander, und macht mit dieser feinen Annäherung das große Wort "Demokratie" ein bisschen kleiner, oder besser: anschaulicher. Immer wieder, und für Didion typisch, bringt sich die Erzählerin selbst ins Spiel und macht dem Leser die verschwimmende Grenze zwischen Realität und Fiktion bewusst, an der sich beide - Erzählerin und Leser - befinden: "Nennen Sie mich die Autorin" oder "Als Leser sind Sie hier der Erzählung voraus."

Die Autorin Didion kommt als dritte Instanz hinzu. Denn wenn es auch Parallelen zwischen der Erzählerin und ihr gibt, ist "Demokratie" ein Roman, also Fiktion. Gleichzeitig aber etabliert Didion eine Erzählerin, die wiederum ihre Arbeit als recherchierende Schriftstellerin offenbart: Sie hat etwas erlebt, hat recherchiert, jetzt erzählt sie die Wahrheit, zumindest das, was sie herausfinden und als Wahrheit identifizieren konnte. Didion bewirkt mit dieser Art von literarisiertem Journalismus gleichzeitig ein höheres Maß an Authentizität wie auch an Transparenz. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass es sich bei der Geschichte um eine Geschichte handelt. Gleichwohl wirkt diese echter, weil Didion ihre Erzählerin in die Handlung hineinversetzt, weil sie dem Leser vormacht, es handle sich um recherchierte Realität. Letztlich jedoch ist es das: Didion ist genau wie die Erzählerin Journalistin, hat wie sie eine zeitlang bei der Vogue gearbeitet hat und kennt sich in den Kreisen von Upperclass und Politik aus. Das ist das eigentlich Bezeichnende, der wunderbare Bogen didionschen Schreibens. Die recherchierte, literarisierte Realität.


Titelbild

Joan Didion: Demokratie.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Karin Graf.
Claassen Verlag, Berlin 2007.
224 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783546003889

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