Bericht aus dem Geisterhaus

Martin Cruz Smiths neuer Russlandkrimi

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das postkommunistische Russland ist in der Krimiwelt so etwas wie die Parallelwelt zum amerikanischen Alptraum der Vernunft: gewaltsam, korrupt, surreal in einem, dazu unglaublich groß, ziemlich kalt und weit weit weg. Das alles untermischt mit einem Schuss Reminiszenz an die gute, alte Zeit, in der Väterchen Stalin sein Russland vor der faschistischen Invasion zu retten vermochte, in der er Generäle besonders schätzte, wenn sie in der Lage waren, Ströme von Blut zu vergießen, ohne es je zu bedauern.

Das 20. Jahrhundert ist voller blutrünstiger Geschichten, gegen die jeder Splatter matt wirkt, die russische Geschichte ihrerseits hat davon einen Teil geschrieben. Das setzt sich im Krimi, so er in Russland spielt, fort. Martin Cruz Schmith hat daran seinen Anteil, mit "Gorki Park" bereits unter Vorwendezeiten "Stalins Geist" - eine weitere Folge seiner Arkadi Renko-Romane - setzt seine Geschichtsschreibung fort, die naheliegend nur eine Geschichtenschreibwerkstatt ist. Denn wie in der amerikanischen Variante sind diese russischen Geschichten nicht die Wirklichkeit, sondern nur eine Möglichkeit unter vielen und zudem eine Interpretation der Realität.

Seit der Perestroika sind beinahe zwanzig Jahre vergangen. Das russische Imperium ist beinahe zerfallen und wieder auferstanden, politisch und ökonomisch hat sich Russland selber wieder aus dem Sumpf gezogen, wenngleich niemand so recht zu sagen weiß, wohin die Reise geht.

Arkadi Renko ist der Sohn eines alten Stalin-Generals, und er ist ein Polizist, der anscheinend weder zum Russland der Neureichen noch zum Russland der Altstalinisten gehört. Er ist so etwas wie die polizeiliche Variante der freien Presse, ein Hüter der Gerechtigkeit und des Rechts. Ein Gerechter, wie man in einem anderen Kulturkreis sagt, der dafür keinen Lohn erhält, außer vielleicht zu überleben.

Dabei verliert er jedoch nach und nach alles, was ihm lieb und teuer ist. An korrupte Konkurrenten, an seine Feinde, an diejenigen, die die Richtung bestimmen, in die sich dieses große Land bewegt.

Geschichte und Zukunft bilden dabei eine Gemengelage, die kaum zu klären ist. Die Repräsentanten des neuen Russland - wir reden hier vom fiktionalen Russland in Martin Cruz Smiths Krimi - wuchern immer mit dem Pfund der alten Zeit, mit einer Tradition, die zwar Sicherheit und Klarheit verspricht, aber vor allem Macht einbringt und Gewalt sät.

Im Kern hier ein Kandidat, Isakow, der eine Eliteeinheit im Tschetschenienkrieg geführt hat, die in einer heldenhaften Verteidigungsschlacht eine Brücke gegen tschetschenische Rebellen verteidigt und die übermächtigen Angreifer in die Flucht geschlagen hat. Zwei Mitglieder der Einheit werden zu Kollegen Renkos, denen nicht Mord, sondern ein Ehestreit und ein Unglück in die Fallliste geraten. Ein Ehestreit, in dem die volltrunkene Gattin dem Gatten mit einem Schlag und einem Schlachterbeil den Nacken durchtrennt? Ein Fotoreporter, der überfahren wird, als er plaudern will? Zufall? Auffallend nur, dass all diese Toten Mitglieder dieser ominösen Eliteeinheit waren oder in die Nähe der angeblichen Heldentat geraten sind. Auffallend auch, dass niemand von ihnen nach der Heldentat befördert wurde. Auffallend schließlich, dass der Leiter der Stelle, der solche Beförderungen bewilligen soll, geschasst und unschädlich gemacht wurde. Auffallend auch, dass auf den Fotos, die von der Heldentat erzählen, alle gefallenen Tschetschenen so ausschauen, als hätten sie kurz vorher noch zusammen mit den Russen am Lagerfeuer gesessen und die Wodkaflasche kreisen lassen.

Alles nur ein Fake? Für den Kandidaten Isakow wäre es ein Desaster, wenn das bekannt würde. Denn sein Ruhm gründet darauf, dass er ein Held ist. Und Helden dürfen vielleicht fehlen, aber einfach keine Helden mehr sein, das geht nicht. Deshalb gerät Renko in die Schussliste des neuen patriotischen Kandidaten. Er muss sich qua Amt mit dem Gerücht herumschlagen, dass Stalin in einer alten Moskauer U-Bahn-Station gesichtet wurde (ein Wiedergänger kaum anders als Elvis), dann überlebt er einen Kopfschuss nur knapp, nach Monaten Rekonvaleszenz kehrt er aber nicht nach Moskau zurück, sondern lässt sich nach Twer versetzen, in die Stadt, in der der vermeintliche Held des Tschetschenienkriegs, der eigentlich nur ein mittelmäßig talentierter Schmuggler war, als Kandidat zur Wahl steht. Spätestens hier nun gerät die Geschichte, die Martin Cruz Smith erzählt, ins Fantastische: Politik verbindet sich mit der Suche nach den Toten des "Großen Vaterländischen Krieges", der junge Ziehsohn Renkos sucht nach einem sagenumwobenen Fabelwesen, und am Ende ist diese Stadt Twer ein reiner, weißer Ort voller Geister, nicht nur dem Stalins.


Titelbild

Martin Cruz Smith: Stalins Geist. Ein Arkadi-Renko-Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Rainer Schmidt.
C. Bertelsmann Verlag, München 2007.
364 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783570009192

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