Zwischen Anpassung und Widerstand

Einige Bemerkungen zu Hans Magnus Enzenbergers Buch "Hammerstein oder Der Eigensinn"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Geschichte und Eigensinn" brachten Alexander Kluge und Oskar Negt in ihrem gleichnamigen Collagenband von 1981 zusammen. Kluge und Negt suchten dort nach den verlorenen Fragmenten der Geschichte, in denen der Eigensinn als eine neuartige Kategorie der Aufklärung im Sinne des außenseiterischen Subjektivismus erkennbar wird: Eigensinn als widerlöckender Stachel im Lauf der Geschichte, mit dieser aber immer verbunden. Doch alsbald geriet Eigensinn zu einer ebenso bequemen wie vagen Kategorie. Eigensinn ist nunmehr eine sich der Macht verweigernde subjektive Haltung, der die politischen Folgen des eigensinnigen Verhaltens aber leidlich egal sind. Übrig bleibt eine Art schrullig-sonderbare Querköpfigkeit, die aus der Geschichte aussteigt, statt sie zu gestalten. Bewundernde Sympathie würdigt dennoch diesen eigensinnigen Charakter, da er starke Persönlichkeiten vermuten lässt.

So wie bei Kurt von Hammerstein, General der Reichswehr, Chef der Heeresleitung mit Sitz im Bendlerblock, wo sich auch die privaten Wohnräume der Familie befanden, die heute samt den Amtsräumen Teil der Gedenkstätte Deutscher Widerstand sind. In der Tat war Hammerstein ein ungewöhnlicher Charakter, allein deshalb schon, weil er sich auch im Amt eigenwillige Freiheiten gestattete, die ihn von den vielen angepasst untertänigen Amtsträgern der Weimarer Republik unterschied. Seine nonkonforme Individualität ließ ihn früh bereits zu einem ,eigensinnigen' Widersacher Hitlers werden. Nach dessen Amtsantritt reichte Hammerstein denn auch folgerichtig noch 1933 sein Entlassungsgesuch ein. Hammerstein zog sich aus dem öffentlichen Leben und der Politik zurück. 1943 starb er 64jährig in Berlin an Krebs.

Ein solcher Charakter in diesen Zeiten der kollektiven Selbstaufgabe fasziniert. Zu fragen ist, welche tatsächlich widerständigen Potentiale dieser Eigensinn birgt, woher er kommt und wie er sich politisch auswirkt. Doch Enzensberger fragt so nicht. Wer Hammerstein eigentlich war, welche Motive ihn bewegten, wie er zu dem ,eigensinnigen' Widersacher der Nazis wurde, als der er hier vorgeführt wird, davon erfahren wir recht wenig in diesem Buch. Wohl aber wird deutlich, was Enzensberger statt dessen an Hammerstein interessiert: es sind die Attribute eines elitären, sich über das alltägliche Mittelmaß erhebenden Bewusstseins, so wie es sich beispielsweise in der Frage der Amtsführung Hammersteins zeigen lässt: "Hammerstein war faul, es läßt sich keine abschwächende Bezeichnung finden." Aber, so versichert dieser von Enzensberger zitierte Zeitgenosse, zugleich war er "eine der stärksten stretegischen Begabungen der deutschen Armee", ausgesprochen intelligent nennen ihn andere. Weshalb er denn auch selbst seine Faulheit im Amt zu rechtfertigen wusste: In leitender Stellung müsse man den Mut haben, faul zu sein!

Es sind gerade diese Charaktereigenschaften, die Enzensberger anziehen. So zöge denn der elitäre Eigensinn die bewundernde Aufmerksamkeit auf sich, während das schnöde Alltagsmittelmaß mit abschätziger Wertung belegt wird. Zum Beispiel all die mittelmäßigen Politiker der Weimarer Republik. Sieht man von der unangemessenen Pauschalisierung einmal ab, so bleibt festzustellen: Unter ihnen waren immerhin diejenigen, die sich mit aller Anstrengung dem Untergang der Republik entgegenstellten. Die mit politischen Mitteln versuchten, die Republik überlebensfähig zu halten. Das ist mehr, als mancher der so genannten ,eigensinnigen' Charaktere für die Republik einzusetzen gewillt war. Sie ging zugrunde, und das findet bei Enzensberger keine Erwähnung, nicht nur an ihren offenen Feinden, sondern auch an einer Elite, deren Verachtung des Mittelmaßes als politische Naivität zu deuten ist. Dieser Eigensinn ließ die Politik im Stich, als es ernst wurde.

Vor diesem Hintergrund ist eben auch der Eigensinn Hammersteins kritisch zu betrachten. Wechselt man allerdings die Perspektive und betrachtet ihn als jemanden, der sich nicht wie Millionen andere Deutsche von den Nazis ,gleichschalten' ließ, so wird sein Eigensinn doch wieder zu einem Exempel. Denn abseits der elitären Sonderlichkeit birgt der Eigensinn natürlich immer auch ein beträchtliches widerständiges Potential. Die Tugend des aufgeklärten autonomen Individualismus schützt vor kollektiver Vereinnahmung. Er ist gewissermaßen eine Voraussetzung für ein demokratisch zivilgesellschaftliches Bewusstsein.

Im Falle Hammersteins wurde es eine Voraussetzung für das politsche Handeln seiner Kinder. Es besteht eine direkte Verbindung vom Hammerstein'schen Eigensinn zur politischen Widerstandsarbeit seiner Kinder. Sie zogen die politischen Konsequenzen, vor denen der Vater noch zurückscheute. So verändert sich fast zwangsläufig auch der Schwerpunkt des Buchs: zunehmend gewinnen die Lebensverläufe der Töchter und Söhne Gewicht in Enzensbergers Buch. Ihre im Umfeld des kommunistischen Widerstands ebenso wie im Umfeld des 20. Juli 1944 auftauchenden Aktivitäten, ihre teils dramatischen, teils kuriosen Verwicklungen in die zeitgeschichtlichen Ereignisse machen das Buch an diesen Stellen zu einem spannenden Geschichtslesebuch.

Enzensberger nähert sich seinem Thema nicht als Historiker, sondern als Schriftsteller. Hintergründig analysierende Feinarbeit liegt nicht in seiner Absicht. Infolgedessen ist der Erzählton einfach und direkt. Das macht die Schilderung der ansonsten gründlich recherchierten Lebensgeschichten der Protagonisten einfach lesbar. Die Sprache vermittelt eine naive Selbstverständlichkeit der Ereignisse und der sie bedingenden Geschichte. Diese Reduzierung wirkt zuweilen oberflächlich. Das gilt in besonderem Maße für die anderen Freiheiten, die sich der Schriftsteller bei der Aneignung und Gestaltung des Stoffes nimmt. So führt Enzensberger fiktive Gespräche mit Kurt von Hammerstein oder Personen aus seinem Umfeld. Diese "posthumen Unterhaltungen" sind bloße Spielereien. Das trifft noch mehr auf die sieben in den Text eingegliederten Glossen zu. Mit diesem literarischen Instrument versucht Enzensberger sich wenig ergiebig an einigen erläuternden Bemerkungen zu einzelnen Themen wie etwa dem der Weimarer Republik; er lässt "einiges über den Adel" fallen oder auch über das deutsch-russische Verhältnis.

Trotz dieser Einwände ist Enzensbergers Buch über Kurt von Hammerstein lesenswert. Es ,erinnert' an eine unentbehrliche Voraussetzung einer jeden Zivilgesellschaft: das mündige aufgeklärte Individuum. Diese Haltung ist bei Hammerstein nah an dem, was man heute Zivilcourage nennt, und eben deshalb weist sein Beispiel auch über die Rechtfertigungsmetapher der ,inneren Emigration' hinaus. Rückblickend erstaunt es, dass dieser Stoff erst jetzt entdeckt wurde. Da hat man sich seitens der ,Experten' etwas entgehen lassen.


Titelbild

Hans Magnus Enzensberger: Hammerstein oder Der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
376 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783518419601

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