Die traurigen Stars in der Manege

Zu Margriet de Moors Roman "Der Jongleur"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein buntes Volk von Kleinkünstlern, das in den 1950er-Jahren in einem drittklassigen Amsterdamer Hotel abgestiegen ist, bildet die Kulisse in der neuen Erzählung der 66-jährigen Niederländerin Margriet de Moor. De Moor feierte in der Vergangenheit auch hierzulande mit "Der Herzog von Ägypten" (1997), "Die Verabredung" (2000) und mit ihrem Meisterwerk "Sturmflut" (2005) beachtliche Erfolge.

Während die Autorin in "Sturmflut" vor dem historischen Hintergrund einer Jahrhundertkatastrophe eine knallhart-realistische Darstellung des verhängnisvollen Rollentausches der Schwestern Lidy und Armanda favorisierte, wird ihr neues Erzählwerk von einem spielerisch-musikalischen Gestus getragen.

"Ein Divertimento" nennt der Hanser Verlag diese schmale Erzählung. Aus dem Italienischen übersetzt, bedeutet dies "Vergnügen". Aber ein Divertimento ist auch ein mehrsätziges, unterhaltsames Instrumentalstück für Hörner und andere Blasinstrumente.

Margriet de Moor, die selbst Gesang und Klavier studiert und sich zuletzt in "Kreutzersonate" (2002) mit dem Zusammenspiel von Musik und Literatur befasst hat, schickt ihre Leser durch ein erzählerisches Labyrinth und legt reichlich interpretatorische Fallstricke aus.

Vergnüglich ist das Leben der Jongleure, Zwerge, Zauberer und Tänzerinnen allerdings nur auf den ersten, flüchtigen Blick. Sie sitzen im Hotel zwar gemeinsam beim Frühstück, doch alle werden von Versagensängsten geplagt ("Jongleure haben immer Angst") und neiden einander die Erfolge.

Heftige Spannungen entstehen zwischen dem Zauberer Charles Pluut, den Margriet de Moor gleich im ersten Nebensatz als "hinterhältigen Kerl" in die Handlung einführt, und dem Jongleur Pieter. "Der Kegelwerfer" (so auch der niederländische Originaltitel) Pieter Newton macht keinen Hehl aus seiner Antipathie gegen Pluut. Der ehemalige Student der theoretischen Physik, der schon früh als Jongleur mit kostbarem Delfter Porzellan begann und der noch immer Geräusche aus dem Kriegsgefangenenlager nahe des Städtchens Helvoirt im Ohr hat, ist die geheimnisvollste Figur der Erzählung. Allen Freundlichkeiten Pluuts gegenüber zeigt er sich resistent.

Zauberer Pluut geht gar so weit, dass er die liebenswert-naive Daisy (ein tanzendes, polnisches Flüchtlingsmädchen) als Spielball in seinem persönlichen Kampf um Pieters Gunst einsetzt. Doch warum strebt Pluut so hartnäckig nach Pieters Sympathie? Und wodurch ist die beharrliche Ablehnung des Kegelwerfers motiviert?

Margriet de Moor hat in diesem erzählerischen Spiel um ihre traurigen Stars der Manege mit Spiegelungen und Umkehrungen gearbeitet und eine Psychologie des Gegenteils arrangiert, in der die totale Abkehr als eine Form der Liebe fungieren könnte. Auch abseits der Bühne bewegen sich all ihre Figuren (auch der Antipodist Signor Bruno und die beiden Zwerginnen) wie in einem geheimnisvollen Arrangement aus spielerischem Ernst und trauriger Ausgelassenheit - angetrieben von einer doppelten Amour fou: zwischen Pluut und Newton, und zwischen Daisy und den beiden Männern.

Der spielerische Eifer und die überbordende dichterische Fantasie, die Margriet de Moor in diesem Buch angetrieben haben, greifen allerdings auch auf die Sprache (zumindest in der Übersetzung) über und lassen uns einigermaßen irritiert zurück, wenn wir von den Artisten lesen, dass "ihre Augen wie Pferdeaugen im Kreis herum schauen. Wenn sie ihre Sache gut gemacht haben, gleicht ihr Gehirn einem uferlosen japanischen See."

Da ist man nach all den interpretatorischen Irrwegen, die dieser literarische Manegenritt in sich birgt, am Ende froh, dass alle Beteiligten einigermaßen versöhnt ("Den Pensionsgästen wurde es warm") zu den Klängen eines Hornes beieinander sitzen - Daisy und Pieter Hand in Hand - wohl wissend, dass die Schriftstellerin Margriet de Moor mehr kann als sie uns in diesem spielerischen Divertimento gezeigt hat.


Titelbild

Margriet de Moor: Der Jongleuer.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen.
Carl Hanser Verlag, München 2008.
160 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783446230002

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