Nach dem Fazit

Hans Blumenberg über Ernst Jünger

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Knapp sechs Jahre genügten Hans Blumenberg, um zu einem definitiven Urteil über Ernst Jüngers Werk zu kommen. Sein frühester Beitrag, ein Vortrag, den er Ende 1949 hielt, hatte noch "Ernst Jünger als geistige Gestalt" vorgestellt. Was der Titel an beschaulichem Einverständnis verspricht, war hier eingelöst: Blumenberg pries die Figur des Dichters mit zeittypischem Pathos als allgemeingültige Existenz und glaubte Jünger, dass dessen Tagebücher authentischer Ausdruck eines Augenblicks seien - statt, wie tatsächlich, Ergebnis rücksichtsloser Aus- und Umarbeitung sowie ästhetischer und politischer Kalkulation. Zudem war ein Topos aufgeboten, an dem sich Jünger-Verehrer bis heute festklammern: dass der Dichter mit einer "überscharfen Beobachtung [...] gestraft" sei - so Jünger über Jünger, von Blumenberg beifällig zitiert.

Nichts ist falscher als dies. 1949 lobte Blumenberg zwar noch die "realistische Schärfe" von Jüngers Sehen, das "überall an den Phänomenen das Archetypische, den schöpferischen Urgedanken wahrzunehmen" suche. Ein Zeitungsartikel vom März 1955 ist jedoch überschrieben: "Ernst Jünger - ein Fazit", als müsse danach nichts mehr kommen. Tatsächlich ist die Wertung nun umgekehrt und Blumenberg erkennt die "Ungeduld" von Jüngers Stil, "die stets im Begriff steht, von der Erscheinung zur Idee abzuspringen". Folglich "vibrieren" unter Jüngers Blick die Dinge "vor Bereitschaft, ihr individuelles Dasein an einen allgemeinen und großen Sinn preiszugeben." Das könnte die Grundlage sein für Philosophie oder für Theologie; doch versäumt Blumenberg nicht den Nachweis, dass beides bei Jünger der Identifikation von Wissen und Macht, wie sie der imperatorische Blick des Essayisten verkörpert, geopfert ist.

Mit dieser Erledigung, einem scharfsichtigen Gruß zu Jüngers 60. Geburtstag, hätte die Beschäftigung enden können, zumal dieser in den folgenden Jahren aus dem Fokus der Öffentlichkeit geriet. Allenfalls späte, pflichtschuldige Einwände gegen den Schriftsteller, der von der Zeit Helmut Kohls und Francois Mitterrands an allmählich zum Nationaldichter emporgewürdigt wurde, wären noch zu erwarten gewesen. Doch folgte sogar noch der weitaus größere Teil von Blumenbergs Auseinandersetzung mit Jünger. Zum 95. und zum 100. Geburtstag publizierte er Artikel in der "Neuen Zürcher Zeitung", die wesentlich festtagsbezogener, das heißt auch: freundlicher ausfielen als das frühere Fazit zum ähnlichen Anlass. Im gleichen Zeitraum, vielleicht auch schon früher, entstanden zahlreiche Notizen zu Jünger, kurze Texte, die teils in die publizierten Beiträge eingingen, teils eine Auseinandersetzung mit Werk und Haltung darstellen, teils aber auch lediglich eine Passage Jüngers zum Anlass essayistischer Überlegungen nehmen, die sich vom Zitat recht weit entfernen konnten.

Diese spätere Auseinandersetzung nimmt den überwiegenden Teil des von Alexander Schmitz und Marcel Lepper herausgegebenen Bandes ein. Nun billigt Blumenbach Jünger erneut viel zu, vielleicht mehr als notwendig. Das gemeinsame Interesse für den Mythos bildet einen allzu verlockenden Anknüpfungspunkt: Blumenberg liest Jüngers häufige Bezüge auf Mythologisches entsprechend der widersprüchlichen Logik der Überlieferung und macht dies produktiv, indem er eigene Gedanken anknüpft. Der allzu häufig pragmatische Aspekt von Jüngers Umgang mit Mythen: die Entschlossenheit, mit der der Schriftsteller die alten Geschichten für je neueste Konstellationen umdeutet, entgeht ihm dabei völlig.

Fast alles ist auch dem umstrittensten Buch, dem "Arbeiter" von 1932, zugebilligt: Es gilt Blumenberg wenn zwar nicht als Warnung vor der Tyrannei, so doch als Versuch, die Entwicklung zu erfassen und mit einem Sinn in Verbindung zu bringen. Das nietzscheanische Unterfangen des Nationalrevolutionärs Jünger, die fallende bürgerliche Welt noch zu stoßen, spielt zumindest im umfangreichen Artikel zum 100. Geburtstag Jüngers keine Rolle. Ganz anders stellt Blumenberg hingegen im unveröffentlichten Text "Nach Programm" den Unwillen des Autors heraus, sich mit Inhalt und Wirkung seiner früheren Schrift auseinanderzusetzen.

Ansatzpunkt ist eine Stilfrage im doppelten Sinne: der gesucht zynische Ton von Jüngers später Bemerkung, die Entwicklung seit 1932 verlaufe "programmatisch, wenn auch nicht angenehm". In einem anderen Notat vermerkt Blumenberg es als "Unsicherheit im Geschmack", als Fehlgriff in "Takt" und "Ton", wenn Jünger das Wohlwollen der Kanzler Adolf Hitler und Helmut Schmidt parallelisiert. Dabei sind die Fehlgriffe nicht so randständig wie es hier scheint: Die Diffamierung der Nachkriegsordnung mittels ihres Vergleichs mit dem deutschen Faschismus war schon 1951 ein Kernpunkt des "Waldgang"-Essays. Die Pose des distanzierten Beobachters, der noch die mörderischsten Ereignisse als Verwirklichung eines Urbilds zu deuten vermag, ist wirkungsstrategisches Kernelement in Jüngers Werk von den ersten Kriegstagebüchern an.

Deshalb überrascht zweierlei. Zum ersten stört sich Blumenberg an Stil und Geschmack, aber nimmt Jüngers Inhalte ernst, wo doch jedes Konkrete im Diktum des Platonikers, der nur wechselnde Erscheinungsweisen eines Immergleichen erkennen will, zur Erstarrung gebracht wird. Im Laufe seines langen Lebens beharrte Jünger nicht immer darauf, was da gelten soll; aber dass es absolut gelten soll und der autoritative Schreibgestus jeder Nachfrage den Atem nehmen soll - das blieb gleich. Schon das Schreibkonzept verlangte, dass die Shoah keine Katastrophe sein darf, sondern als wenn auch vielleicht unangenehme Bestätigung der platonischen Sicht gelten muss. Den Inhalt zu retten, den Stil hingegen als Snobismus abzutun, ist bei Jünger nicht möglich.

Blumenberg benannte in unveröffentlichten Notaten durchaus Schwächen der Jünger'schen Metaphorik, doch er versuchte sie zugleich dadurch zu retten, dass sie mittels Abstraktion fruchtbar werden könne. Einmal aber gelang ihm ein Nachweis all der Schiefe und Konstruiertheit von Jüngers Bilderwelt, der geeignet wäre, den Gefeierten auf ein angemessenes, durchschnittliches Maß zurechtzustutzen; im "Nachtrag zur Probe auf die Probe" wird Jüngers Beschreibung, wie er einmal fast ertrunken wäre, Satz für Satz gerade mangelnder Präzision überführt. Doch überrascht zum zweiten, dass Blumenberg mit dieser Ausnahme die Kritik den damals unpublizierten Notaten vorbehielt und öffentlich zwar mit einer gewissen Reserve, doch umso wirksamer Jüngers Rang bestätigte. Das war kein Opportunismus - den hätte Blumenberg nicht nötig gehabt; auch intellektuelle Zögerlichkeit bietet keine Erklärung, denn kurz zuvor hatte Blumenberg die politischen Optionen Carl Schmitts überzeugend auf dessen ideologische Kernbegriffe rückgeführt. Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass Jünger sich 1933 nicht offen auf die Seite des NS-Regimes gestellt hatte - vielleicht aber billigt Blumenberg dem Dichter, anders als dem Staatsrechtler, eine Freiheit der Imagination zu, die ihn allzu präziser öffentlicher Nachfrage enthebt. Darüber sollte sich der Dichter nicht zu früh freuen, wird er doch so zum praktischen Idioten erklärt. Noch der späte Blumenberg nimmt, wie 1949, den Dichter als Seher ernst. Im Versuch aber, Verirrungen im Stil vom Zentrum des Werks zu trennen, erniedrigt er ungewollt, gerade durch sein Lob, Jünger zum Lieferanten origineller Gedanken, die man besser nicht auf ihren Bezug zu einer Realität befragen sollte.


Titelbild

Hans Blumenberg: Der Mann vom Mond. Über Ernst Jünger.
Herausgegeben von Alexander Schmitz und Marcel Lepper.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
186 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783518584835

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