Not just boys' fun

In Darcy Pattisons Buch "19 Mädchen und ich" ist ein Erstklässler allein unter Mädchen

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Henning eingeschult wird, ist ihm mulmig zumute: er ist der einzige Junge in seiner Klasse; außer ihm sind da nur neunzehn Mädchen. Unangenehmer wird es noch, als sein zwei Jahre älterer Bruder ihn verspottet und ihm prophezeit, dass diese vielen Mädchen ein "Weichei" aus ihm machen werden. Henning will es so weit nicht kommen lassen. Stattdessen will er versuchen, "harte Burschen" aus den Mädchen zu machen. Er muss sich nicht bemühen: in jeder Pause auf dem Schulhof folgen ihm seine Klassenkameradinnen in wilde imaginäre Abenteuer. Eine Leiter auf dem Pausenhof führt sie auf den Mount Everest, wo sie den Yeti mit Schneebällen bewerfen; ein Wasserschlauch bringt sie zum Amazonas, wo sie erfolgreich gegen Krokodile kämpfen.

Aber in diesem Kinderbuch geht es nicht nur darum, dass Mädchen auch das können, was Jungs können. Es geht auch darum, dass Jungs auch das mögen, was Mädchen gefällt. 'Jungenhaft' und 'mädchenhaft' können miteinander vertauscht werden und diffundieren ineinander; die Grenzen von sex und gender verlieren ihre Starrheit. Auf den Abenteuerreisen trinkt man auch eine Tasse grünen Tees, spielt Verstecken mit schönen bunten Vögeln oder singt dem Mann im Mond ein Lied.

In Zeiten, da die simple Offensichtlichkeit der sozialen Konstruktion von Geschlecht in esoterische diskurstheoretische akademische Zirkel abgeschoben ist, und sich dort - aller immer wieder behaupteten Immaterialität der Körper zum Trotz - ganz einfach biologisch lösen wird (nämlich wenn eine Generation von Lehrkräften in Rente gehen wird); in Zeiten, da diese Tatsache als Hirngespinst von fanatisierten menschenfeindlichen Weltverbesserern verschrien oder als weltfremdes Gutmenschentum verlacht wird, um einer ebenso dummen wie brutalen Re-Naturalisierung von Geschlecht zu folgen, durch die man sich aktiv zum Subjekt der Herrschaft erhebt, indem man sich zum Objekt von Beherrschung macht; in diesen Zeiten wächst ein Kind in einer Welt auf, in der die Welt der Zeichen streng schematisiert und die Dinge starr geordnet sind. Vom Spielebuch und von der Kleidung über die Kindergartentasche, die Trinkflasche und die Butterbrotdose bis hin zum Drei-, Lauf- und Fahrrad wird einem Kind vorgeschrieben, wo sein (respektive ihr) Platz ist, welche Farbe sein Geschlecht hat und ob Glitzer drauf gehört oder nicht. Es ist, als hätte sich die Warenwelt verschworen und hermetisiert. In diesen Zeiten ist ein jeder Versuch zu begrüßen, der diese Hermetik, wenn schon nicht zerstört, so doch zumindest attackiert.

Henning verschweigt den 'weiblichen' Aspekt der Abenteuerreisen seinem Bruder, nachdem dieser ihn dafür verspottete. Es fällt ihm schwer einzugestehen, dass er hier nicht nur mitmacht, um den Mädchen einen Gefallen zu tun, sondern weil es ihm gefällt. Es geht in diesem Buch also weder darum, dass Mädchen auch ,Jungs' sein können, noch darum, dass Jungs eben ,Jungs' und Mädchen nun mal ,Mädchen' seien und dass man diese Verschiedenartigkeit anzuerkennen und dabei nicht wertend zu verstehen habe. Vor Hennings großem Bruder können die Mädchen als "harte Burschen" bestehen; Henning selber aber schätzt sie zum Schluss nicht als jungenhafte Mädchen, sondern als Kinder, mit denen er sehr gut spielen kann. Die Erfahrung, dass es auf das Geschlecht nicht immer anzukommen braucht, diese Erleichterung und diese Überwindung eigener Sicherheitsgefängnisse von Identität, die sollte möglichst vielen möglichst früh, häufig und prägend beschert werden.

Dieses sehr empfehlenswerte Kinderbuch vermittelt eine solche Haltung auf eine unbeschwerte Weise und vor allem nicht als moralischen Appell, sondern als selbstverständliche Offensichtlichkeit. Die Illustrationen von Steven Salerno sind schön bunt-kräftig und farbenfroh. Der einfache Zeichenstil erinnert an "Der kleine Nick" von René Goscinny und Jean-Jacques Sempé, teilweise auch an die Zeichentipps von James Krüss in "Wir zeichnen Tiere" (vergleiche literaturkritik.de 10/2007). Die rhythmisierte, iterative Erzählweise kommt der Wahrnehmung und den Vorlieben von Kindern entgegen.


Titelbild

Darcy Pattison: 19 Mädchen und ich.
Mit Illustrationen von Steven Salerno.
Boje Verlag, Köln 2007.
32 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783414820211

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