Die Einsamkeit des Strohwitwers

Magdalen Nabbs lässt Maresciallo Guarnaccia ein letztes Mal ermitteln

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Florenzkrimis leben - für Nicht-Florentiner - vom besonderen Ambiente der toskanischen Metropole. Jeder Gang durch die Stadt ist ein Gang durch eine bekannte historische Stätte, jeder Blick gibt den Blick auf berühmte Sehenswürdigkeiten preis. Jeder Blick hinter die Kulissen bedient zugleich den Wunsch, zu wissen, wie man in einer solchen Stadt wirklich lebt. Unabhängig davon, dass das Florenz, wie es Nabb über die Jahre hinweg entwickelt hat, vor allem ein eigenes Kulissenbild ist, eine imaginierte Stadt, die in diesem Fall die Italiensehnsucht bedient, ist das Bild Nabbs in sich geschlossen und schlüssig. Niemand wird diesem Konstrukt also Authentizität zuweisen wollen, auch wenn die Örtlichkeiten, Figuren und Strukturen stimmig sein mögen, möglicherweise sogar genau so exisitieren. Darauf kommt es nämlich nicht an. Nabbs Florenz muss eine internationale Leserschaft bedienen, und deren Bild muss befördert und bedient und darf keinesfalls zerstört werden, wenn die Autorin Erfolg haben will. Dass sie selbst als Engländerin zugewandert ist und mit einem über die Jahre hinweg entwickelten Blick auf die Stadt und ihre Menschen schaut, der von Distanz und Vertrautheit zugleich geprägt ist, hat es ihr möglicherweise erleichtert, diese Anforderung zu erfüllen.

Auch Krimileser sind Touristen, und als Touristen haben sie das Bedürfnis, die Stadt näher kennen zu lernen, ohne wirklich dazuzugehören. Immerhin will man nach zwei Wochen Urlaub oder zwei Tagen Lektüre wieder nach Hause zurückkehren.

Das legt den Vorwurf nahe, Nabbs Szenerie und Personal sei am Ende zu klischeehaft und nicht realistisch genug - und gelegentlich ist es in der Vergangenheit des Touristischen auch zuviel gewesen. Aber dieser Vorwurf geht eigentlich an der Autorin, ihrem Genre, ihren Texten wie an Texten überhaupt vorbei - solange damit nicht ein angeblicher Mangel an der handwerklichen Umsetzung beklagt werden soll, mit dem sich nicht zuletzt Hoch- von Unterhaltungsliteratur unterscheiden lässt. Aber auch da lässt sich nur raten, die Kirche im Dorf zu lassen und von einem Text nicht etwas zu verlangen, was er weder liefern kann noch will. Mit anderen Worten, Nabbs Krimis liefern genug für den, der Florenz-Ambiente sucht und finden will, der bei der Beschreibung von florentinischen Villen an den Reiseführer vom letzten Jahr denkt und der sich am Getöse inneritalienischer Städte erfreut.

Aber was immer Gutes oder Schlechtes über Nabbs Roman zu sagen ist, ist nur Rückblick: Magdalen Nabb ist im vergangenen Sommer in Florenz verstorben. Guarnaccias vierzehnter Fall ist auch sein letzter. Wir müssen uns von einer geschätzten Autorin und einer lieb gewonnenen Figur verabschieden.

Also ein letztes Mal: Maresciallo Guarnaccia wird zu einer erschossenen, jungen Frau gerufen, die in der stillos renovierten Villa eines zwielichtigen Florentiner Vorort-Neureichen aufgefunden wurde. Das Opfer muss den Täter gekannt haben. Aber der Vater selbst - ein Signor Paoletti - der schnell die Aufmerksamkeit des bedächtigen, weil so unsäglich unflorentinischen Maresciallo auf sich zieht, kann es nicht gewesen sein, da er zum Mordzeitpunkt definitiv im Krankenhaus lag. Das Gebaren des Staatsanwalts legt allerdings nahe, dass es sich hier um einen Fall gegenseitiger Verpflichtungen handelt, die nie ohne Verlust zu lösen sind.

Dass Paoletti einiges zu verbergen hat, zeigt sich schnell. Unter dem Deckmantel einer Stellenvermittlung schleust er junge osteuropäische Frauen nach Italien und lässt die gutaussehenden in seinem Puff tanzen, die schlecht aussehenden fremder Leute Wohnungen putzen. Die Auswahl nimmt der Bösewicht höchst selbst vor, was ihm in einem Fall schlecht bekommen sein muss, denn er hat just bei einer solchen Auswahl seinen Anfall bekommen, der ihn ins Krankenhaus befördert hat.

Auch beim Opfer zuhause und am Tatort ist nicht alles so, wie es vielleicht sein sollte. Dass die Bewohner ihre Nachbarn nicht kennen, wird den sich ändernden Verhältnissen zugeschrieben. Die Dame des Hauses würde freilich auch unter anderen Verhältnissen kaum jemanden wiedererkennen. Schon mittags ist sie nicht mehr ganz bei sich und hält sich nur mit Mühe auf den Beinen. Der Tod der Tochter lässt sie unberührt. Die Schwester des Opfers hingen löst sich in hysterischen Weinkrämpfe auf und will sich nicht fassen. Die Dienstmädchen sind kaum zu einer normalen Reaktion fähig und tanzen offensichtlich nach der Pfeife des Hausherrn, was offensichtlich wird, sobald er sein Heim wieder betritt. Insgesamt scheinen das Ambiente und das Verhältnis der Familienmitglieder untereinander wenig entspannt zu sein.

Guarnaccia verbeißt sich allerdings nicht wegen solcher Auffälligkeiten in den Fall. Bei seinen Recherchen, bei denen er auch eine Nacht im Club des Vaters verbringt, erfährt er von zwei kleinen Mädchen, die dort versteckt gehalten und für besondere Dienste herangezogen werden. Nicht also der Mord, sondern das Mitleid mit den Kindern lässt ihn alle Vorsicht vergessen, vor allem gegenüber dem die Ermittlung leitenden und zugleich behindernden Staatsanwalt. Guarnaccia fürchtet um seine Karriere und seinen Job - aber am Ende ist er eher bereit, beides zu riskieren, als sich wegzuducken, wie viele seiner Kollegen. Manchmal ist es eben dann doch von Vorteil, kein alerter Florentiner zu sein, der gelernt hat, die Machtspielchen mitzumachen, um zu überleben.


Titelbild

Magdalen Nabb: Vita Nuova. Guarnaccias vierzehnter Fall Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulla Kösters.
Diogenes Verlag, Zürich 2008.
321 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783257066418

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