Erstaunlich modern?

Stefanie Kuhne examiniert Helene Langes Theorie der Geschlechterdifferenz

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Helene Lange in den Jahrzehnten vor und vor allem nach 1900 gemeinsam mit Gertrud Bäumer nicht nur den gemäßigten Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung maßgeblich prägte, sondern auch eine der prominentesten Verfechterinnen eines politischen Konzeptes war, das seit den 1970er-Jahren unter dem Titel "Differenzfeminismus" firmiert, ist bekannt. Wie aber "offenbart und konstituiert sich Langes Differenzentwurf", "was sind seine Fundamente?" Und wie war es möglich, dass Lange die "traditionelle, die Frau entrechtende Auffassung von der Andersartigkeit der Geschlechter" vertrat, aber gerade diese Differenz zur Begründung einer "ebenbürtige[n] Stellung von Mann und Frau" heranziehen konnte? Wie also konnte sie "für die Bewahrung der Verschiedenheit der Geschlechter plädieren und dennoch Gleichheit derselben fordern?" Und weiter: War Langes "Konzeption der Geschlechterdifferenz" vielleicht nur "pragmatisch motiviert" oder muss es "tatsächlich als begründetes Fundament ihres Denkens begriffen werden"?

Dies sind die Fragen, denen die Erziehungswissenschaftlerin Stefanie Kuhne in ihrer Examensarbeit nachgeht. In ihrer kaum mehr als einhundert Seiten umfassenden Untersuchung kommt sie zu dem Schluss, dass "sich frauenrechtlerische Forderungen und die Vertretung der Geschlechterdifferenztheorie im Denken Helene Langes" nicht nur "miteinander vereinbaren lassen", sondern dass "der Vorstellung von der 'körperlichen und geistigen' Differenz von Mann und Frau sogar eine tragende, konstituierende Rolle, wenn nicht vielleicht sogar die entscheidende Motivation für die Forderungen und Zielsetzungen Langes zugeschrieben werden" müsse. Dabei habe Lange im "Laufe ihres Schaffens" ihre "Ansichten" zwar modifiziert, ohne allerdings den differenztheoretisch abgesteckten "Rahmen" zu sprengen. Um dies zu verdeutlichen, greift Kuhne zu dem Begriff der Polarität, die sie - nicht ganz in Übereinstimmung mit der gängigen Definition - als durchgehende, jeden Bereich des Daseins umfassende Gegensätzlichkeit bestimmt. Eine so verstandene "natürlichen Polarität" der Geschlechter habe Lange zwar in ihren frühen Schriften propagiert, doch sei es ihr "rasch" gelungen, diese "strikte Auffassung" zu überwinden, ohne sich von der These einer "fundamentalen Differenz der Geschlechter in Hinblick auf ihre Wesensart" zu verabschieden. In ihren späteren Schriften spreche Lange Frauen "das gleiche Denkvermögen wie Männer" zu, doch beharre sie darauf, dass eine auf "natürliche Umstände" zurückzuführende "geistige Verschiedenheit", "die aus ihrer durchgängig differenten Psyche entspringt und sich in sämtlichen Ausdrücken des geistig-emotionalen Lebens äußert", die beiden Geschlechter unterscheide.

Langes "innovative[r], komplexe[r] und subversive[r] Differenzentwurf" sei "überraschend modern", befindet die Autorin abschließend. Seinen überkommenen Biologismus mit den jüngeren Erkenntnissen der Gender Studies und des dekonstruktiven Feminismus' zu konfrontieren, kommt ihr allerdings nicht in den Sinn.


Titelbild

Stefanie Kuhne: Helene Lange. Die Theorie der Geschlechterdifferenz im Denken einer gemäßigten bürgerlichen Frauenrechtlerin.
Logos Verlag Berlin, Berlin 2007.
127 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-13: 9783832514952

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