Über die Gefährlichkeit der Kunst

Alexander Stephan analysiert das Verhältnis von Schriftstellern und Staat

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einem breiteren Publikum bekannt geworden ist Alexander Stephan 1995 mit seinem Buch "Im Visier des FBI - Deutsche Schriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste". Diesem folgte im selben Jahr eine gleichnamige TV-Dokumentation, die inzwischen in zahlreichen dritten Programmen ausgestrahlt wurde. Das vorliegende Buch vereint ergänzende Arbeiten Stephans zu diesem Themenkomplex sowie Studien zu den Versuchen staatlicher Einflussnahme und Kontrolle von Schriftstellern im Dritten Reich, Großbritannien und der DDR.

Da die Auswertung der FBI-Akten über exilierte Schriftsteller durch die Freigabe weiterer Akten lediglich ergänzt wird, ist dieser Teil des Buches für Kenner des oben genannten Werkes weniger informativ, auch wenn die teilweise absurden Details durchaus lesenswert sind. So haben sich wohl wenige Amerikaner so intensiv und dermaßen interpretationsfreudig mit Bertolt Brechts "Maßnahme" auseinander gesetzt wie die FBI-Agenten. Erhellend ist allerdings die Zusammenstellung mit Überwachungspraktiken entsprechender Behörden des "Dritten Reiches". Auch diese beobachteten Schriftsteller, oft weit über ihre Ausbürgerung hinaus.

Ging es zunächst vorrangig um das Sammeln von Argumenten für ein Ausbürgerungsverfahren, so spielte zunehmend auch die Beobachtung von Publikationen und öffentlichen Auftritten der Exilierten eine Rolle, da sie Auswirkungen auf das Außenbild des Regimes haben konnten. Zudem dienten die gewonnenen Informationen zur Verfolgung Exilierter in Frankreich nach dem deutsch-französischen Waffenstillstandsabkommen und wurden auch an die Botschaft in Madrid weitergegeben. Ein Umstand, der die Flucht aus Frankreich über Spanien nach Portugal noch gefährlicher machte. Ein anderes Kapitel beschäftigt sich mit der Literatur der DDR, doch geht es hier vor allem um theoretische Konzepte (Georg Lukács) und das Wirken Anna Seghers, deren Aussagen gelegentlich mit Forderungen der Partei kollidierten. Ein wenig vertan ist hier die Chance, die Bespitzelung von Schriftstellern in diesem Staat zu thematisieren, nachdem die ersten beiden Kapitel die These nahe legen, dass Geheimdienste prinzipiell eine Gefahr für Demokratie und Freiheit darstellen.

An anderer Stelle erläutert Stephan die Phasen des historischen Umgangs mit der Geschichte des "Dritten Reiches" bis hin zur so genannten "neuen Geschichtsbewegung", die sich auf lokaler Ebene in der Gründung von Geschichtswerkstätten und in einem erweiterten Widerstandsbegriff, der sich stärker um den Alltag der Menschen kümmert, zeigt. Auf dieser Folie liest er Anna Seghers' Roman "Das siebte Kreuz" und entdeckt die "produktive Affinität zwischen Literatur und Geschichtsbeschreibung", die sich in der Beschreibung Mainz', den dialektalen Begriffen und der Beschreibung der "kleinen Leuten" spiegelt. Und in der Tat ist bekannt, dass Seghers im Pariser Exil Neuankömmlinge aus Deutschland - seien es ehemalige Lagerinsassen, Widerstandskämpfer oder unpolitische Besucher - über die Verhältnisse in Deutschland befragte. Diese Quellen, sowie Zeitungsberichte, verwob sie zu ihrem authentischen Roman.

Um zu überprüfen, wie realistisch die Darstellung Seghers ist, recherchierte Stephan auch in diesem Fall in zahlreichen Landes- und Stadt-Archiven. Dabei stellte er fest, dass es weniger um eine völlige Übereinstimmung von Personen und Orten geht - zum Beispiel ist das Roman-Lager Westhofen mit dem realen Lager Osthofen nicht gleich zu setzen - sondern um exemplarische Beschreibungen, die der Realität sehr nahe kommen. Dennoch schuf der Roman Impulse zur Erforschung der lokalen Geschichte, denn erst vor einigen Jahren wurde die Existenz des KZs Osthofen mit einer Gedenktafel versehen und Lokalpolitiker verweisen nun gerne darauf, dass Seghers diesem Lager ein literarisches Denkmal gesetzt habe.

Einiges deutet darauf hin, dass das vorliegende Buch das letzte Alexander Stephans ist. Der inzwischen 62 Jahre alte Literaturwissenschaftler deutet im Vorwort mehrmals an, dass die hier versammelten Aufsätze Studien zu Buchprojekten darstellen, die nicht mehr verwirklicht werden. An einer Stelle schreibt er explizit, dass eine Erkrankung die Ursache hierfür sei. So lässt sich insbesondere das letzte Kapitel als eine Art Vermächtnis lesen. Hier widmet sich Stephan, dessen Forschungsobjekte doch zumeist inzwischen verstorbene Literaten und die untergegangenen politischen Strukturen, denen sie zum Opfer fielen, sind, aktuellen politischen Verhältnissen: dem neuen Konfliktpotential zwischen Deutschland und den USA. Dabei begegnet der Deutsch-Amerikaner den Befindlichkeiten auf beiden Seiten mit großer Aufmerksamkeit und kritischer Distanz.

In dem Manifest "What We're Fighting For: A Letter from America" entdeckt er den Widerspruch, dass einerseits eine Trennung zwischen Kirche und Staat postuliert wird, man sich in der politischen (den Krieg befürwortenden) Argumentation aber ständig auf Gott und Religion berufe. Wenn in diesem Manifest die Rede von der "Chance auf ein gutes Leben" ist, folgert er, dass "sich der Durchschnittsamerikaner [darunter] Golf spielende Pensionäre in Florida" vorstelle. Die Antwort deutscher Intellektueller dagegen sei pazifistisch - und unkonkret. Da ist die Rede vom kritischen Dialog, dem Einsatz rechtsstaatlicher Mittel statt Krieg, vom Dialog der Kulturen. "Kurz: Amerikaner und Deutsche tauschen Offene Briefe aus, in denen die Notwendigkeit für einen Dialog beschworen wird, und reden doch mehr als zu anderen Zeiten seit Ende des Zweiten Weltkrieges aneinander vorbei."

Denn statt wirklich einen Dialog voran zu treiben, verloren sich europäische Intellektuelle in dem Versuch, Europa neu zu definieren - allen voran Jürgen Habermas und Jacques Derrida. Monologisierend suchen sie in erster Linie den Gegensatz zu den Vereinigten Staaten. Da wären das Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit versus freie Märkte, Trennung von Politik und Religion versus "God bless America" und Pazifismus versus präemptive Handlungen. Die abendländische Wertegemeinschaft, die nach Samuel Huntingtons Theorie des "clash of civilizations" gegen den Rest der Welt steht und jahrzehntelang gegen den Feind im Osten zusammengeschmiedet wurde, zerbröckelt. Zu Tage tritt, was lange verdrängt wurde: der Gründungsmythos der USA als auserwählte Nation, die nicht nur den Anspruch erhebt, ihr Land zu verteidigen, sondern die Menschenrechte weltweit. Hilfreich wäre ein "gesunder Wettbewerb der System, bei dem sich beide Seiten lernfähig zeigen".

Als Studie über die Überschneidungen zwischen Kultur, insbesondere Literatur, und Politik ist das Buch eine Bereicherung. Zu kritisieren ist ein wohl allzu oberflächliches Lektorat. Die oft mehrmals in den deutschen Satzbau integrierten englischsprachigen Originalpassagen der Geheimdienstakten, sowie die "Geschwärzt"-Hinweise erschweren den Lesefluss immens, auch wenn sie für Authentizität sorgen. Dadurch, dass bereits veröffentlichte Artikel nebeneinander gestellt werden, entstehen Redundanzen. Ein Exil-Überblicksartikel, der einführenden Charakter haben könnte, findet sich mitten im Buch - und die Analyse des wiedererwachten Systemkonflikts zwischen den USA und Europa bildet nicht etwa den krönenden Abschluss zu den Beschreibungen des transatlantischen Verhältnisses, sondern ist der Bestandsaufnahme der Amerikanisierung westdeutscher Kultur nach 1945 vorangestellt. Eines aber ist Stephan hoch anzurechnen: Er widerlegt all diejenigen, die behaupten (und fordern), dass Kunst unpolitisch ist.


Titelbild

Alexander Stephan: Überwacht Ausgebürgert Exiliert. Schriftsteller und der Staat.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2007.
432 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783895286346

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