Soundtrack eines Lebensgefühls

Daniel Gäsche kommt in seiner Darstellung über "die 68er und die Musik" über Allgemeinplätze nicht hinaus

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die 68er und die Musik" - das ist ein reizvolles Thema. In welcher Wechselbeziehung standen der damalige "Zeitgeist" und die Musik? Wie "gelang es den Musikern mit ihren Botschaften, die Protestkultur zu beinflussen und wie ließen sie sich wiederum inspirieren und anstecken?" Welche Songs haben in bestimmten Lebenssituationen welche Rollen gespielt? Haben sie "revolutionäre" oder "radikale" Gedanken unterstützt? Gab es Unterschiede zwischen dem deutschen Musikmarkt und dem amerikanischen oder englischen? "Was macht die Faszination bis heute aus?" Alles Fragen, die der Berliner Journalist Daniel Gäsche in einem "sehr persönlichen Vorwort" seinem Buch voranstellt.

Doch relativiert schon ein kurzer Blick ins Inhaltsverzeichnis sogleich wieder die durch das Vorwort geweckten Erwartungen. In den beiden ersten Kapiteln wird Musik nur indirekt behandelt, und zwar im Kontext der Kapitelüberschriften "Entstehung der Jugendkulturen in den 1960er Jahren" und "Ursachen für die "68er-Bewegung" in der Bundesrepublik Deutschland". Da soll Grundsätzliches abgehandelt werden. Es sind also schon viele Seiten umgeblättert, bis es endlich heißt "Die 68er und die Musik" und im nächsten Kapitel "Die Musik der 68er" die "Glorreichen7" vorgestellt werden: The Beatles, die Rolling Stones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Bob Dylan und Joan Baez. Etwas unvermittel folgt dann noch ein Kapitel über "68 und die DDR" und mit einer Bemerkung über HipHop als neues Lebensgefühl beenden die Schlussbetrachtungen "68 lebt!" den Band.

Der Verweis auf die Gliederung des Werkes ist ein erstes Indiz dafür, dass die durch die einleitenden Fragen angeregte genaue Analyse der Musik, ihrer Macher und ihrer "Konsumenten" in dieser Darstellung letztlich doch nur wieder einem oberflächlichen Standard folgt: mit der Beschreibung der zeitgeistigen Jugend- und Protestkultur einher geht eine Zuweisung bestimmter Songs, Interpreten und ausgewählter Musikereignisse wie dem Woodstock-Festival. Da ist dann Bob Dylan, einer der "Glorreichen 7", wieder mal "das Sprachrohr der Bewegung". Der Song "Blowing in the Wind" ist wie gehabt die "Protesthymne schlechthin". Und Scott MacKenzies Song über die "Hippiestadt" "San Fancisco" wird neuerlich zur "Hymne der Flower-Power-Bewegung". Warum? Weil der Song sich so gut verkaufte? Oder war nicht doch "All you need is love" von den Beatles eher die Hymne der "Love an Peace"-Szene? Die Begriffe purzeln mit den Songtiteln durcheinander. Von den "Love and Peace-Hippies" ist es nur ein kleiner Schritt zu den LSD-Freaks. "Turn on, Tune in, Drop out!" War Bob Dylans "Tambourine Man" der Verkünder von Timothy Learys Acid-Botschaften? Sangen die Beatles auf ihrem 1967er Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" nun von ihren LSD-Erfahrungen, oder war "Lucy in the Sky with diamonds" doch nur die Verarbeitung eines Schulerlebnisses von Lennons Sohn Julian mit seiner Klassenkameradin Lucy? Und was hat das alles mit "Fun, fun, fun" der Kommune 1 zu tun? Oder hiess der Slogan nicht doch "Ho Ho Ho Chi Minh..."?

Wir sind im Jahre 1968 und wieder spielt die Musi dazu! Revolutionsmusik, "Revolution", "Street Figthing Man" oder war doch der Rock'n Roll selbst die Revolution? Etwa Elvis? Im gleichen Jahr kam Jean-Luc Godards Film "One plus One" in die Kinos: mit den Rolling Stones bei den Aufnahmen für "Symathie for the Devil" in den Hauptrollen. Godard reflektierte in diesem Film die Möglichkeit der gesellschaftlichen Revolution und er politisierte für dieses Konstrukt die Rolling Stones und ihren Song. Band und ihre Fans waren verstört: Was haben die Rolling Stones mit der Revolution zu tun? Nie jedenfalls mehr als in diesem Film. Nimmt man Godards Film als Anlass, über die Bedeutung von Musik, Popkultur und ihrem Wechselverhältnis zu Gesellschaft und Politik nachzudenken, dann wird deutlich, wie wenig mehr einem heute zumeist dazu einfällt.

Daniel Gäsches Buch ist da leider keine Ausnahme. An keiner Stelle kommt der Autor in seiner Darstellung über wohlbekannte Allgemeinplätz hinaus. Er reiht sie aneinander und liefert so wenigstens fast ein Kompendium der Allgemeinplätze zur Musik und der sie bedingenden Kultur der 60er-Jahre. Der Autor ergänzt sein Buch mit Stellungnahmen einiger Zeitgenossen, unter ihnen Gretchen Dutschke-Klotz, die Politiker Heide Simonis und Rezzo Schlauch, die Schauspielerin Hannelore Hoger, der Publizist Roger Willemsen, der Kabarettist Arnulf Rating, der Musiker Heinz Rudolf Kunze. Sie beantworten fünf Fragen nach ihren Erinnerungen über die Zeit und die Musik. Einige dieser Antworten lassen erahnen, wie das Thema auch hätte bewältigt werden können: in der Konzentration auf das subjektive Empfinden wird erkennbar, wie Musik Prägungen, die zu Handlungen führen, mitbeeinflusst. Und zu erahnen ist: das hat dann weniger mit rationalen Entscheidungen etwa für eine dezidierte Protestmusik zu tun, sondern sehr viel mit "irrationalem" Sentiment. Und vielleicht muss man sich auch mal eingestehen, dass auch mal einer der so gern als verdummend und blödsinnig dargestellten deutschen Schlager den subjektiven Faktor beeinflusste. Ich geh' voran: "Junge, komm bald wieder" von Freddy war rührend schön....


Titelbild

Daniel Gäsche: Die 68er und die Musik.
Militzke Verlag, Leipzig 2008.
350 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783861898061

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