Kein Krieg der Welten

Die biologische Invasion kümmert nicht

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lange schon bebrütet die Henne Karlotta ihr Ei und bald muss es so weit sein, denn schon kann sie ein leises Piepsen aus dem Inneren des Eis vernehmen. Doch dann, als sie sich gerade einmal kurz erhebt, wird es ihr gestohlen. Wir sehen, wie sich eine dunkelgrau behaarte, krallige Pfote von hinten durch ein Loch in der Holzwand des Hühnerstalls schiebt und das Ei mitnimmt. Der Hahn des Hofs ist tot, also forscht Hofhund Harri zusammen mit Karlotta nach dem Täter. Aber weder das Wildschwein war es, noch der Fuchs oder der Dachs, weder das Eichhörnchen, der Marder, der Biber, der Fischotter, noch der Uhu.

Weil auf der Suche nach dem Täter die Pfoten verglichen werden, hat dieses Bilderbuch auch einen naturkundlichen Aspekt, für den das Buch aber kein Vorwand ist. Diesem nützen die sehr fein gezeichneten und gestrichelten Zeichnungen, die allerdings keinen Wert auf naturalistischen Realismus legen. Alle Tiere haben Charaktergesichter mit einem ausgeprägt emotionalen Ausdruck, der zwar humorvoll gestaltet ist, aber nicht den gängigen Niedlichkeitsschemata folgt.

Per Zufall stoßen Karlotta und Harri auf den Dieb. Es ist jemand, den sie bislang noch nicht kannten, nämlich ein Waschbär. Alle Tiere zusammen umzingeln ihn und sperren ihn ein. Der Waschbär klagt laut "Kwikwi!", was nur so lange keiner versteht, bis ein Küken - es ist Karlottas - angelaufen kommt und mit einem lauten "Papa!" dem Waschbären in die Arme läuft.

Auch die Handlung enthält sich jeden Naturalismus'. Es folgt nun kein pädagogisch wert- und ressentimentvolles Lehrstück über "Neozoen" und "biologische Invasoren", die einheimische Biotope verletzen, sondern der Waschbär kann kurzerhand im Hühnerhof einziehen. Auch wenn der Waschbär das Ei stahl, um es zu essen - die Tatsache, dass das kurz vorher schlüpfende Küken ihn zum Vater machte und er sich dazu machen ließ, reicht, um ihn zur Hofgemeinschaft dazugehören zu lassen. Diese Offenheit für intergenerische und biologisch unbekümmerte Elternschaften machen die Menschen diesen Tieren erstmal nach!


Titelbild

Doris Lecher: Gesucht: Eierdieb.
Bajazzo Verlag, Zürich 2008.
32 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783907588918

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