Verdichtete Hoffnungslosigkeit

Die Fotos von Gregory Crewdson sind nicht nett, sondern eine psychoanalytische Höllenfahrt

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Frau sitzt auf ihrem Bett. Die linke Hand liegt auf ihrem Oberschenkel, nach oben offen, ganz entspannt. Vor ihr steht ein kleiner Weidenkorb mit gefalteter Wäsche, aus der geöffneten Tür fällt lila Licht. Von einer Lampe, die auch im Spiegel zu sehen ist, und einer Nachtischlampe werden ein paar Ecken gelb beleuchtet, der Hintergrund, eine Fensternische mit einem Rüschenstore, schimmert violett, wie die Nacht draußen. Auf dem Boden liegen verstreut einige Wäschestücke herum, die Frau schaut vor sich hin. Ein Bild aus einem Horrorfilm, von Stephen King oder David Lynch, kurz vor dem Ausbruch der Dämonen? Oder eine traurige Frau, die ihr Familienleben satt hat und gleich die Pistole zieht? Oder eine müde Frau, die eine Sekunde ausruht, bis sie sich wieder ihrem Mann, ihren Kindern, ihrem Haushalt, ihrem Hobby widmet?

Ein anderes Bild zeigt eine Stadt. Ein Auto steht mitten auf der Kreuzung, die Ampel zeigt "Gelb". Die Fahrertür steht offen, die Lichter sind an, auf dem Beifahrersitz ist eine blonde Frau zu erkennen. Links sind ein paar beleuchtete Geschäfte zu sehen, "Independent Living Center" ist zu lesen und "Jim's House of Shoes", im Hintergrund die Lichter eines davonfahrenden Autos. Ein leichter Schwefeldunst liegt in der Ferne, ein paar Wölkchen sind dunkel vor dem Himmel der untergehenden oder aufgehenden Sonne. Wo ist der Fahrer hin? Was ist passiert? Ist er von Außerirdischen entführt worden? Musste er sich übergeben, weil ihm schlecht geworden ist?

Eine nächtliche Straße im Regen. Ein Wagen steht schräg auf einem Parkplatz, die Fahrertür ist offen, der Fahrer steht im herunterprasselnden Wasser und schaut auf seine herunterhängende linke Hand. Vor der Fahrertür steht ein schnieker brauner Aktenkoffer. Ein paar Geschäfte sind noch beleuchtet und zwei, drei Fenster - aber es sieht alles leblos aus in dieser Stadt, kein Mensch ist sonst auf der Straße. Wieso steht der Mann da und betrachtet seine Hand?

Die großformatigen Fotos von Gregory Crewdson sind beeindruckend. Zum einen, weil sie eine unheimliche Atmosphäre schaffen, eine leicht bedrohliche Stimmung, die sich nicht auflösen will. Sie deuten Geschichten an, unmittelbar und sofort ist man in der Szenerie, aber sie lassen den Betrachter auch völlig im Vagen: Es sind keine Geschichten, die man erzählen könnte. Es sind Traumbilder, die ins Positive oder in den Horror umkippen können, Geschichten, die ganz genau auf diesem winzig schmalen Grat zwischen Paradies und Hölle, Normalität und normalem Grauen schweben.

Crewdsons Bilder sind immer sehr detailreich, hyperrealistisch und bis ins Kleinste durchgeplant, und immer sind sie vor allem irritierend. Man durchforscht unwillkürlich Vorder- und Hintergrund, sieht sich alle Einzelheiten an, um ein wenig mehr von dem Bild zu verstehen. Warum steht der Mann da? Was ist mit ihm passiert, dass er im Regen steht? Wieso hat er gerade seinen Aktenkoffer abgestellt? Sitzen Menschen in den Fenstern? Beobachten sie ihn?

Es ist fast wie eine Traumreise, eine psychoanalytische Hadesfahrt, die man unternimmt, wenn man sich mit Crewdsons Fotos länger beschäftigt. Sie beunruhigen, man möchte sie auch nicht in der nächsten Nacht erleben, schon gar nicht in der Realität: zu düster, zu unheimlich, zu beklemmend sind sie. Es sind dunkle Bilder aus der Bodenlosigkeit einer sich selbst zerstörenden Gesellschaft: Hier spricht niemand mit dem anderen, hier gibt es keine Kommunikation mehr. Selbst wenn eine Gruppe von Menschen über die Bahngleise stolpert und sich ein brennendes Haus ansieht, selbst wenn zwei Nackte im Garten liegen, selbst wenn Schlafzimmerszenen gezeigt werden, herrscht eine hoppersche Trostlosigkeit vor, die durch nichts aufzulösen ist. Es sei denn, die Frau drehte sich um, der Mann begänne zu sprechen, man unterhielte sich endlich, fragte die richtige Frage. Dann erst würde sich, wie bei Parzival, die Ungewissheit und das Grauen auflösen.

Crewdson gibt aber keine Hinweise außer der verdichteten Hoffnungslosigkeit und der Melancholie, die auf seinen Bildern alles überflutet und einlullt. Den nächsten Schritt muss man schon selbst tun. Und da scheint es, als wenn die unbekannte Katastrophe, die uns gezwungen hat, aus dem Auto in den strömenden Regen zu steigen, um dort unsere Hand anzusehen, als wenn diese Katastrophe sich doch noch zum Guten wenden könnte. Ist es vielleicht eine Katastrophe der Selbsterkenntnis, die uns dazu gebracht hat, den Aktenkoffer zur Seite zu stellen? Aber man findet bei Crewdson keinen Halt, keine Hilfe.

Mit einem beeindruckenden Aufwand inszeniert Crewdson seine Fotos. Mehrere Tage lang benötigt er, um ein Foto zu machen, Lastwagen voller Nebelmaschinen und riesiger Scheinwerfer werden herangekarrt, alles wird genau geplant, jedes Lichtlein steht genau auf dem richtigen Fleck und bescheint die Düsternis und vertieft sie dadurch noch. Vorortstraßen und ganze Häuserblocks werden abgesperrt, Kamerakräne aufgebaut, bis zu 150 Mitarbeiter helfen dem Fotografen, und auch die Bewohner dieser sonst so idyllischen Straßen assistieren, und manchmal schaffen sie es durch einen Zufall, die Szenerie noch zu vertiefen.

In dem neuen Band wird auch dieser Aufwand dokumentiert. Nach den Aufnahmen bearbeitet Crewdson am Computer die Bilder, kopiert ein und das selbe Motiv genau übereinander und erreicht damit eine verblüffend gleichmäßige Tiefenschärfe, eine schimmernde Mehrdimensionalität. Und damit eine beängstigende und unbehagliche Nähe, der man aber nur ausweichen kann, wenn man sie flugs verdrängt.


Titelbild

Gregory Crewdson: Beneath the roses. Werke 2003 - 2007.
Hatje Cantz Verlag, Ostfilden-Ruit 2008.
140 Seiten, 48,90 EUR.
ISBN-13: 9783775721738

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch