Um unseretwillen

Regina Ullmanns Erzählband "Die Landstraße" von 1921 wurde neu aufgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nun ist in diesem Jahrzehnt schon zum zweiten Mal ein Band mit Erzählungen der weitgehend vergessenen Schweizer Schriftstellerin Regina Ullmann erschienen, die von Zeitgenossen wie Thomas Mann und Rainer Maria Rilke gelobt und gefördert wurde. Letzterem war sie ebenso freundschaftlich verbunden wie Ina Seidel, Karl Wolfskehl und Hans Carossa.

Während Kindheit und Jugendalter galt die spätere Literatin als zurückgeblieben, und wenn das schweigsame Kind überhaupt einmal etwas sagte, stotterte es. Doch reimte das Mädchen schon mit fünf Jahren die ersten Zeilen. Als junge Frau gebar Ullmann zwei uneheliche Kinder, eines von dem anarchoiden Psychoanalytiker und notorischen Frauenschwängerer Otto Gross, der wie stets jede, auch finanzielle Verantwortung für seine Tochter verweigerte.

Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde die 1911 zum katholischen Glauben übergetretene Konvertitin 1935 aus dem "Deutschen Schriftsteller-Verband" ausgeschlossen. Während des "Anschlusses" von Österreich hielt sich Ullmann, die seit 1936 in dem Alpenland gelebt hatte, gerade in Italien auf. Bevor sie 1961 in dem bayerischen Örtchen Ebersberg starb, hatte sie noch eine zweibändige Ausgabe ihrer "Gesammelten Werke" und die Verleihung eines von ihrer Geburtsstadt St. Gallen gestifteten Kulturpreises erleben dürfen.

Hatte Charles Linsmayer im Jahr 2000 ein "Lesebuch" herausgebracht, das neben einer umfangreichen Auswahl aus Ullmanns erzählender Prosa auch Gedichte, Briefe und andere Texte der Autorin enthielt, so hat Peter Hamm den Erzählband "Die Landstraße" 100 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen neu herausgebracht und mit einem kenntnisreichen Nachwort versehen.

Oft leben die Erzählungen weniger von einer Handlung als von einer Stimmung, einer Lebensstimmung. Dabei vermag Ullmann Sätze von zwar nicht einmaliger, aber einzigartiger Schönheit zu bilden. Ein Schönheit, die nie anmutig daher kommt, sondern sich den Lesenden fast schon spröde zeigt. Daher muss man ihre Erzählungen langsam, sehr langsam lesen. Man muss sie sich auf der Zunge zergehen lassen, um sie schätzen zu lernen. Manchmal erschließt sich das Arkanum dieser Sätze auch nur dann: "Und die Minuten rannen, obgleich mit uns etwas Fremdes, Beschauendes in den Raum kam, reif und klar weiter und netzten, was nicht vergessen sein sollte und abgedorrt wäre."

Lebensfroh ist Ullmanns Prosa schwerlich zu nennen. Dass wir "gebunden [sind] an alle Qualen, die gelitten werden um uns", spricht sicher nicht nur von dem Leid in unserer Nähe, sondern mehr noch von dem, das um unseretwillen erlitten wird. Und die Liebe, die bei Ullmann natürlich auch vorkommt, offenbart sich nicht notwendig in der Leidenschaft zu einem anderen Menschen, sie kann sich auch in dem Verständnis zeigen, das ein Knabe einem Atlanten entgegenbringen kann.

Im Nachwort bezweifelt Peter Hamm, dass Ullmanns Stunde noch kommen wird und sie, "deren beste Prosastücke den Vergleich mit Robert Walser nicht nur nicht scheuen müssen, sondern geradezu herausfordern", wiederentdeckt wird. Möge er irren und sein Wunsch sich erfüllen: "Sie sollte den Nachgeborenen nicht verlorengehen."


Titelbild

Regina Ullmann: Die Landstraße. Erzählungen.
Mit einem Nachwort von Peter Hamm.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2007.
181 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783312004010

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