Friede auf Erden

David Peace evoziert die Sehnsucht nach einer anderen Welt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Ende löst sich alles auf, in Gewalt, in die Verirrungen menschlicher Vernunft, in die Geschichten derer, die überleben und derer, die sterben. Und in die Geschichten derer, die töten. Die Grenzen von Recht und Unrecht sind in David Peaces "Red Riding Quartett" für niemanden mehr klar erkennbar. Mit den 'Jahresbänden' "1980" und "1983" wird der Zyklus nun abgeschlossen. Dabei scheint allerdings alles mögliche sichtbar zu sein, nur ein Ende nicht.

Das einzige, was zu sehen ist, sind die toten Frauen - erwachsene Prostituierte, die mit einem Hammer erschlagen werden und deren Leib mit einem Messer zerstückelt wird, und vorpubertäre Mädchen, die verschwinden und nie gefunden werden. Im dritten Band des Quartetts, "1980", widmet Peace ihnen jeweils eine eng gesetzte Seite, die zwischen der Binnenschau der Opfer und der Beschreibung des Tatorts und Tathergangs wechselt. Im letzten Band, "1983", wiederholen sich Szenen unendlich und nur in leichten Varianten.

Merkwürdigerweise sind es jetzt die Verhörszenen, die nie aufzuhören scheinen. Die Gewalt wird allgegenwärtig, sie ist überall, sie hört nie auf, sie hat keine Grenzen und sie hat keinen Grund. Sie ist nur da und grundiert eine Gesellschaft, die nur eine dünne Oberfläche von einem System aus Willkür, Macht- und Geldgier trennt. Polizisten sind keine Ordnungshüter, sondern Herren der Welt, nur sich selbst verpflichtet, niemandem sonst. Wenn sie beschließen, die Unterwelt zu übernehmen, ist es so, als ob damit alle Wälle niedergerissen worden wären, mit denen die Welt der Ordnung und die Welt des Chaos, die des Normalen und die des Bösen voneinander getrennt werden.

Wenn die These für den normalen Kriminalroman stimmt, dass das Verbrechen als Ordnungsstörung zu gelten hat, die beseitigt werden muss, dann hat Peace in der Tat ein völlig neues Genre entwickelt. Jenseits von Splatter und Pulp ist Gewalt hier ein konstituierendes Element einer Welt, die eher von Nachtmahren als von Menschen besiedelt ist. Hass, Hässlichkeit, Blut, Schweiß, Tränen, Irrsinn, Gier, Habsucht - alle schlechten menschlichen Eigenschaften sind hier versammelt und münden in der immergleichen Gewalt, die in ihren Varianten vielleicht einfallsreich ist, jedoch zugleich ihren Zeichencharakter nicht verhehlen kann. Aber sie stiftet nichts, sie zerstört nichts, sie ist einfach nur da.

Dieses England, das David Peace hier zeichnet, hat mit dem realen Vorbild nichts mehr gemeinsam als einige Namen, Plätze und Gewohnheiten. Was diese Gesellschaft zusammenhält, wird ebenso wenig erkennbar, wie das, was sie auseinander treibt. Es ist nicht einmal so, dass hier eine Normalität geschildert würde, unter deren dünner Oberfläche diese andere, absurde, rohe Welt zu erkennen wäre, in der Gewalt die alles zahlende Münze ist. Da ist keine Oberfläche mehr, von der man sagen könnte, sie überdeckt irgendetwas.

Es gibt Presseberichte, Pressekonferenzen, den Kaffee und das Bier, die Polizisten trinken, aber alles wirkt wie eine Restausstattung aus einer Zeit, in der es noch geholfen hatte, die wirklichen Täter zu überführen und nicht immer weiter Opfer auszusuchen, die als Sündenböcke herhalten können. Dass Peter Hunter in "1980" immer wieder mit seiner Frau spricht und ankündigt, nach Hause zu kommen, dass er immer wieder an ihrer beider vergeblichen Kinderwunsch denkt, hat eine Qualität wie die Bemerkung von Kevin Costner als Eliot Ness in "The Untouchables" - dass es nämlich da draußen noch eine Welt geben müsse, in der die Farbe der Küchenwand von Bedeutung sei. Wo ist diese Welt geblieben?

Die Zerrüttung der Welt setzt sich in der Form der Romane fort: Peace zerschlägt das ,realistische' Format des Kriminalromans, dem das Entsetzen vor der Tat Irritation genug ist, als dass er sich an weitere Experimente wagen würde. Hier aber baut der Autor erzählerische Endlosschleifen ein, er wechselt die sprechenden Figuren ohne Ankündigung, er bricht die Perspektiven und er lässt den Leser mit der Lektüre allein. Die Orientierungslosigkeit, die einen dabei befällt, gerät nach und nach zu einer Art Trance, in der nur noch die Opfer den Takt angeben und diejenigen, die sie töten.

Damit führt Peace den Kriminalroman und seine aufregend-beruhigende Wirkung ad absurdum. Er zeigt keine Welt mehr, sondern nur noch Fragmente. Es gibt schließlich auch keine Auflösung von Fällen mehr - welche Fälle? Wer hätte noch den Überblick? - sondern nur noch die Fortsetzung einer Kette von Gewalttaten, die weit in die Vergangenheit zurückreicht und die wohl nie enden wird, nie enden soll. Mit anderen Worten: Das ist eine bemerkenswerte Arbeit, die jede Minute wert ist, die man mit ihr verbringt.


Titelbild

David Peace: 1980. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2007.
460 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783935890434

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Titelbild

David Peace: 1983.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2008.
512 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783935890526

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